Samstag, 10. Januar 2015

Lachen tötet Angst

Meinungsfreiheit mit spitzem Stift: Wie weit darf Satire gehen?

Von Verena Großkreutz

Paris – Ein Blutbad: Zwölf Tote in Paris. Zwei Islamisten schießen mit Kalaschnikows die Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ nieder. Wegen gezeichneter Witze. Vielleicht nicht immer besonders geschmackvolle Bilder: Mohammed mit entblößtem Gesäß – als Brigitte-Bardot-Parodie, die fragt: „Und mein Hintern, gefällt er dir?“ Oder Mohammed, der unter der Überschrift „Mohammed von Fundamentalisten überwältigt“ schreit: „Es ist hart, von Idioten geliebt zu werden!“

Aber was heißt Geschmack schon in der Welt der Satire? Sie darf doch alles, sagte Kurt Tucholsky. Tabu-Grenzen überschreiten, mit Stereotypen arbeiten, dabei auch politisch unkorrekt werden. Die ermordeten „Charlie Hebdo“-Karikaturisten Cabu, Tignous, Charb und Wolinski haben sich übers Christen- und übers Judentum und über den Islam gleichermaßen lustig gemacht. Sie haben für ihre Mohammed-Karikaturen jahrelang Todesdrohungen erhalten, haben trotzdem immer weitergemacht und bewusst ihr Leben riskiert.

Die Botschaft des Bleistifts

Jetzt, nach dem Massaker in Paris, trauerte die Welt. Aber sie erstarrte nicht. Sie regt sich und reagiert mit ihrer eigenen „Waffe“ der spitzen Feder, in Worten und Zeichnungen. Der gute alte Bleistift ist seit Mittwoch zum Symbol für die Werte der europäischen Aufklärung geworden: für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Presse- und Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung. Wer hätte das gedacht in unseren digitalen Zeiten? Ein Bleistift! Karikaturisten zeichneten damit ihre Kommentare zum Attentat. Gespitzte Stifte ragen als flugzeugdurchbohrte Twin Towers in die Höhe oder prasseln in Mengen vom Himmel hinunter auf einen erschreckten Dschihadisten.

Satire als Inbegriff der Meinungsfreiheit, in der krassen Form der „Charlie Hebdo“-Macher nur möglich seit Abschaffung der Zensur. Die Botschaft heute: Wir dürfen keine Furcht zeigen, wir sind doch alle Charlie. Nicht nur die Berufsstände, die in Paris angegriffen wurden: die Karikaturisten, Journalisten, Satiriker. Das deutsche Satiremagazin „Titanic“ ließ unmittelbar nach dem Attentat in seinem „Liveticker in eigener Sache“ verlauten: „TERRORHINWEIS: Für 16 Uhr ist in der TITANIC-Redaktion eine Pressekonferenz angesetzt, bei der RTL, Hessischer Rundfunk, Frankfurter Rundschau und sämtliche weitere Privat- und Systemmedien anwesend sind. Für Terroristen bietet sich hier die Möglichkeit, nicht nur eine Satireredaktion auszulöschen, sondern auch die gesamte deutsche Lügenpresse. Es gibt Schnittchen (hinterher)!“ Man mag das geschmacklos finden, aber es ist die konsequente und richtige Reaktion der Satiriker auf den Angriff auf die Satire. Sie können dem Unbegreiflichen nur mit der Distanz des Humors, und sei es des schwarzen, beikommen.

Eine der besten Karikaturen, eine aus der Feder des Niederländers Joep Bertram, zeigt einen verdutzten Turbanträger mit Backenbart und blutigem Schwert, der sein kopfloses Gegenüber, gekleidet in ein T-Shirt mit „Charlie Hebdo“-Aufdruck, verdutzt anstarrt: Denn aus dessen blutigem Halsstumpf streckt sich ihm eine riesige Zunge entgegen. Eine triftige Karikatur, in der sich nicht nur jener Humor artikuliert, „wenn man trotzdem lacht“, sondern einer, der angesichts der Schrecken dieser Welt die einzig mögliche Überlebensstrategie darstellt: die Selbstbehauptung in unerträglichen Zeiten. Sigmund Freud hat das einmal treffend formuliert: „Der Humor hat nicht nur etwas Befreiendes wie der Witz und die Komik“, schreibt er, „sondern auch etwas Großartiges und Erhebendes. Das Großartige liegt offenbar im Triumph des Narzissmus, in der siegreich behaupteten Unverletzlichkeit des Ichs. Das Ich verweigert es, sich durch die Veranlassungen aus der Realität kränken, zum Leiden nötigen zu lassen, es beharrt dabei, dass ihm die Traumen der Außenwelt nicht nahegehen können, ja es zeigt, dass sie ihm nur Anlässe zu Lustgewinn sind.“ Sigmund Freud nennt als Beispiel für diesen sprichwörtlichen Galgenhumor den Delinquenten, der, als er am Montag zur Hinrichtung geführt wird, spricht: „Na, die Woche fängt ja gut an“.

Satire darf alles. Die Grenzen setzt sie sich selbst. Sie darf sich über Regierungen lustig machen genauso wie über Religionen. Das ist die Errungenschaft der Aufklärung: alles, wirklich alles hinterfragen und aufs Korn nehmen zu dürfen, das Licht der Vernunft noch in den finstersten Winkel der Unvernunft scheinen zu lassen. „Habe Mut“, schrieb Immanuel Kant, „dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, um dich aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien.“

Subversives Lachen

Das betrifft auch die Religion. Aber das Lachen hat in seinem Kern etwas Subversives. Auch in Umberto Ecos Roman „Der Name der Rose“, der im Mittelalter spielt, ist es Motiv für zahlreiche Morde. Der blinde Kloster-Bibliothekar Jorge von Burgos ist der Bösewicht. Er will der Menschheit das offiziell als verschollen geltende „Zweite Buch der Poetik“ des Aristoteles, in dem die Komödie behandelt wird, vorenthalten. Über sein Motiv sagt der Mönch: „Lachen tötet die Furcht. Und ohne Furcht kann es keinen Glauben geben.“ Wer den Teufel nicht mehr fürchte, brauche keinen Gott mehr: „Dann können wir auch über Gott lachen.“

Die fanatischen, fundamentalistischen Vertreter eines Islam ohne Aufklärung vertreten „eine todernste, einzige ewige Wahrheit, und der Witz – egal wie klug oder lustig er im Einzelfalle sein mag – bedroht diese Wahrheit“, schrieb Tim Wolff, Chefredakteur der Titanic, anlässlich des Pariser Attentats. Religion sei Wahnsinn im Kleide der Rationalität, Satire und Komik Rationalität im Kleide des Wahnsinns, schreibt er weiter. „Das eine muss das andere missverstehen.“ Es sei das gute Recht der „Vertreter des heiligen Ernstes“, der Komik mit Zorn zu begegnen: „solange sie dies mit denselben Waffen wie Satiriker tun: mit Wort und Bild. Und nicht mit Maschinenpistolen.“

Blasphemie und Demokratie

Witze über die Gottheiten der Weltreligionen werden moralisch gerne als Gotteslästerung oder Blasphemie bewertet. Sogenannte Gotteslästerung war das Motiv für die Morde in Paris. Aber gerade sie gehört auch im aufgeklärten Deutschland noch immer zum unangreifbaren Tabu. In seinem Kommentar für „Spiegel online“ schrieb Markus Becker gestern: Vor dem Hintergrund des Attentats sei es „ein Skandal, dass Religionen und andere Weltanschauungen in Deutschland noch immer gesetzlichen Schutz vor allzu harter Kritik genießen.“

Im Paragraph 166 des Strafgesetzbuchs heißt es nämlich: „Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die gee ignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Eine freiheitliche Demokratie brauche aber Blasphemie, so Becker. „Denn Blasphemie stellt Dogmen infrage. Und Dogmen – seien es religiöse oder politische – sind mit ihrem absoluten Wahrheitsanspruch der natürliche Feind des kritischen Denkens.“

Beitrag für die Eßlinger Zeitung vom 10. Januar 2015.

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