Samstag, 3. Dezember 2016

„Eine schlechte Kritik bedeutet ein leeres Haus“


Armin Petras über seine aktuelle Inszenierung von Jacques Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ an der Stuttgarter Oper und seinen Rückzug als Schauspielchef


petras

Stuttgart - Armin Petras bringt Jacques Offenbachs Operette „Orpheus in der Unterwelt“ auf die Bühne der Stuttgarter Staatsoper. Premiere ist am morgigen Sonntag. Vor zwei Wochen erklärte Petras, seine im November 2015 vereinbarte Vertragsverlängerung bis 2021 als Stuttgarter Schauspielintendant nun doch nicht zu erfüllen und das Haus frühzeitig zu verlassen. Verena Großkreutz sprach mit ihm über seine Entscheidung und seine jüngste Inszenierung.

Herr Petras, Sie verlängern Ihren Fünf-Jahres-Vertrag als Intendant nun doch nicht um drei Jahre, sondern hören im Sommer 2018 auf. Sie nennen persönliche und familiäre Gründe für den verfrühten Rückzug. Aber klar, dass sich jetzt jeder fragt: Wenn Sie sich hier künstlerisch zuhause fühlten, würden Sie doch trotzdem bleiben, oder?

Petras: Die Familie ist leider nicht da, wo ich bin. Sie ist 900 Kilometer von hier weg in Brandenburg. Und das ist mein Problem. Ich fühle mich hier durchaus künstlerisch wohl. Wir hatten im letzten halben Jahr ganz großartige Produktionen. Es war bisher die spannendste Zeit. Vieles wurde vom Publikum gut angenommen, anderes lief schlechter - wie etwa Sebastian Hartmanns „Im Stein“. Dafür wird seine neue Inszenierung „Der Raub der Sabinerinnen“ geradezu euphorisch gefeiert.

Wie kommen Sie mit der schwäbischen Mentalität klar?

Petras: Ich habe zu Beginn meiner Intendanz mal gesagt: Stuttgart ist für mich der fremdeste Ort in Deutschland. Das hat sich mittlerweile geändert. Ich habe in den drei Jahren sehr viele Menschen kennengelernt und künstlerisch spannende Kooperationen in die Stadt hinein erlebt, wie mit dem Kunstmuseum Stuttgart, dem Württembergischen Kunstverein, dem Literaturhaus Stuttgart, der Akademie Schloss Solitude und den Hochschulen. Da gibt es nach wie vor seltsame Dinge, mit denen ich nicht klar komme. Etwa eine bestimmte Art, auf die Dinge zu schauen, sie zu bewerten, Dinge, die sehr viel mit Zahlen, mit Geld, mit Nummern zu tun haben. Anderes habe ich schätzen gelernt: etwa bei unseren Technikern, bei den Gewerken. Sie haben eine derartige Genauigkeit. Kein Wunder, dass Porsche und Mercedes hier entstanden sind. Die Arbeit hat hier einen hohen, auch moralischen Wert. Schätzen gelernt habe ich auch diese große Ernsthaftigkeit des Publikums, sich mit den Dingen zu befassen.

Zuletzt waren Sie wegen sinkender Zuschauerzahlen kritisiert worden, wofür viele Ihre Spielplangestaltung und den Inszenierungsstil einiger Regisseure verantwortlich machen. Es gibt auch Stimmen, die sagen, dem Publikum fehle das politisierte Theater Ihrer Vorgänger.

Petras: Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich Hasko Webers Arbeit und die von Herrn Lösch sehr schätze. Aber natürlich werde ich hier nicht ein Stück machen, dass sich eins zu eins mit Stuttgart 21 beschäftigt. Ich glaube, dass Theater a priori immer politisch ist. Nur die Art und Weise, wie Zeichen benutzt werden, ist sehr unterschiedlich. Ich bin keine Volkshochschule, ich bin keine politische Partei, ich gebe keine Antworten und mache keine Propaganda. Wir sind Künstler, die sich mit der Welt beschäftigen und eine Haltung zu ihr haben. Wir sind in dem Augenblick politisch, in dem wir auf der Bühne die drängenden Fragen der Gegenwart stellen. Ich bin angetreten mit dem Ziel, viele unterschiedliche Fragen zu stellen und viele verschiedene Handschriften, viele neue Ästhetiken zu zeigen. Und das muss sich ja auch erst mal durchsetzen bei den Zuschauern.

Sie haben kürzlich geäußert, dass schlechte Kritiken in einer bestimmten hiesigen Zeitung sich massiv auf das Publikumsverhalten auswirken ...

Petras: Absolut. Wie jetzt wieder bei „Lolita“. Da gab es einen sehr harten Verriss, und da bleibt das Publikum weg. Ich kenne das aus meiner Zeit in Kassel. Eine schlechte Kritik in der Lokalzeitung bedeutete ein leeres Haus. So was gibt’s in Berlin oder Frankfurt/Main natürlich nicht. Das hat immer etwas mit der Monopolstellung einer Zeitung zu tun.

Sie inszenieren aktuell Jacques Offenbachs Operette „Orpheus in der Unterwelt“, die am morgigen Sonntag Premiere hat. Das Genre Operette verpflichtet einen ja regelrecht, sich zu Aktuellem zu verhalten. Was ist Ihre Inszenierungsidee?

Petras: Wir fragen uns in unserer Konzeption, was damals los war zu Offenbachs Zeiten. „Orpheus in der Unterwelt“, 1858 in Paris uraufgeführt, spielt zur Zeit Napoleon III. Und da liegt noch ein politisches Ereignis sehr nah dran: die Pariser Kommune. Was die Kostüme und die Bühne angeht, bleiben wir in Offenbachs Zeit. Aber wir haben dem Ganzen ein Vorspiel in Form eines Filmes vorangestellt, in dem die Figur Eurydike zurückversetzt wird in eine plebejische Figur. Sie wird dann aus diesen proletarischen Verhältnissen vom Professor alias Orpheus gerettet und macht dementsprechend den Schritt in eine bürgerliche Welt. Unter dieser Welt leidet sie aber: Ihr ist langweilig, und sie verliebt sich in einen Schäfer, der sich dann als Gott der Unterwelt, Pluto, entpuppt. Dann gibt’s einen Abstecher in die Oberwelt, wo wir im Himmel die oberen 5000 sehen. Da steckt wohl auch ein bisschen Sozialkritik drin, und vielleicht sind das auch reiche Bürger aus der Umgebung, die sich da oben sehr langweilen. Sie haben dann die Superidee, einen Trip in die Unterwelt zu machen, quasi einen Betriebsausflug, weil ihnen so langweilig ist. Dort landen sie in einem Club, der ein wenig an die Fabrik erinnert, aus der Eurydike eigentlich kommt. Interessant fanden wir, daraus einen Kreislauf zu machen, in dessen Zentrum Eurydike steht, also, eine junge Frau, die lebenssüchtig ist und die versucht, das Beste für ihr Leben zu bekommen, und dann an verschiedenen Welten scheitert.

Warum ist denn für Sie die Pariser Kommune naheliegender als aktuelle Themen?

Petras: Mich interessiert gerade bei der Oper, die ja im doppelten Sinne - also was den Text und die Musik betrifft - historisch ist, genau das freizulegen. Ich glaube nicht, dass es sehr sinnvoll wäre, den Jupiter, mit dem Offenbach ja Napoleon III. karikierte, mit Frau Merkel oder Herrn Kretschmann gleichzusetzen.

Was ist für Sie der Unterschied zwischen einer Schauspiel- und einer Operninszenierung?

Petras: In der Oper hat man weniger Endprobenzeit und muss am besten schon gestern fertig sein. Dafür kommen die Sänger und Sängerinnen perfekt vorbereitet zur ersten Probe. Das gibt’s im Schauspiel nicht, dass die Darsteller schon zu Beginn den kompletten Text können. Opernsänger sind ungeheuer professionell. Gleichzeitig kann man aber mit ihnen nicht so lange probieren, weil Singen natürlich anstrengender ist als Sprechen. Fantastisch an der Staatsoper ist auch die Zusammenarbeit mit Sylvain Cambreling, der allen meinen Fragen sehr offen gegenübersteht.

Was wollen Sie denn dann in Zukunft machen, dort in Brandenburg?

Petras: (lacht laut) Ich glaube, dass ich weiter inszenieren und weiter schreiben werde - und vielleicht auch wieder Intendant sein werde. Das schauen wir mal.

Sie wären dann auch wieder näher an Berlin?


Petras: Auf jeden Fall. Sie haben ja sicher auch in der Presse gelesen, dass ich schon als Volksbühnen-Intendant nominiert worden bin. Was ich sehr lustig finde! Ein Jahr bevor ich hier aufhöre, soll ich schon Volksbühnen-Intendant sein. Aber das ist völliger Quatsch. Es gab keine Gespräche mit politisch Verantwortlichen in Berlin.

Die Premiere von Jacques Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ beginnt am morgigen Sonntag in der Stuttgarter Staatsoper um 18 Uhr.


Interview für die Eßlinger Zeitung vom 3.12.2016.

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