Samstag, 13. Juni 2015

Der Schubert Franzl tanzt die Polka

Vom rustikalen Untergrund der noblen Klassik: Die Osttiroler Musicbanda Franui mischt bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen Stile und Stimmungen

Ludwigsburg - Franui war wieder da. Zum vierten Mal beglückte die Osttiroler Musicbanda die Ludwigsburger Schlossfestspiele. Diesmal mit ihrem neuesten Programm „Tanz Boden Stücke“: eigenen anarchischen Bearbeitungen von Schubert-Tänzen und auch ein paar von Béla Bartók. Die Karlskaserne war voll, und das Publikum nahm sich die einleitenden Worte von Intendant Thomas Wördehoff zu Herzen, der da sagte: „Wenn Sie das Gefühl haben, plötzlich lachen zu müssen: Nicht nervös werden, tun Sie’s einfach!“

Franui spielt eine wilde Stilmischung und nimmt die Tatsache sehr ernst, dass alle abendländische Musik - und damit auch Brahms, Schubert und Mahler - in der Volksmusik wurzelt. Das zeigte dann sehr konkret das „Menuett mit Dirndl“, in dem Mozarts berühmtes „Don-Giovanni“-Menuett von drei alpenländischen Volksliedern „übermalt“ wird. Man hat meist das Gefühl, man tanze auf einer Bauernhochzeit, lausche in der Kirche einem Chor, der gerade Volkslieder probt, folge auf dem Friedhof einer Trauermarschkapelle - alles natürlich gleichzeitig!

Die Arrangements von Kontrabassist Markus Kraler und Bandleader Andreas Schett sind subtil. In Trauermärsche schleicht sich Humoristisches ein, Melancholie paart sich mit Witz, Lachen mit Weinen, das Schwere wird leicht: Plötzlich erklingen in einem wunderschönen Trauermarsch Männerstimmen im Chor: „Eine Viertelstund’ vor seinem Tod - ja da war er noch am Leben!“ Die meisten Mitglieder der zehnköpfigen Band, die seit 1993 in derselben Besetzung spielt, haben sich in ihrer Jugend in einer Friedhofskapelle im Osttiroler Dorf Innervillgraten kennengelernt. Der Gruft-Sound aus weich harmonierenden Blasinstrumenten ist daher unverkennbarer Teil im genialen Stilmix. Aber der typische Franui-Klang ergibt sich erst im Zusammenspiel mit Geige, Kontrabass, Hackbrett, Harfe und Akkordeon.

Sanft, jaulend, rasend

Hart geschnitten wechseln sich ruhige Walzer und Märsche, aufjaulende Lärmophonien und rasend schnelle Tänze ab. Dann wird es plötzlich ganz sanft, wie im „Schneekugelwalzer“ nach Schubert, in der zunächst nur Hackbrett, Geige, Harfe und Bass die Töne tupfen. „Wenn man Trauermärsche viermal schneller spielt, ist es eine Polka“, sagt Schett. Franz Schuberts berühmtes As-Dur-Impromptu geht auf in einer „Boarischen“ Polka, gleich mehrere Komponisten - auch Bartók und Ligeti - liefern die Motive für den „Vielfach Zwiefachen“, in dem Franui der komplexen Rhythmik alpiner Volksmusik auf den Grund geht. Ob „Tanzfolge der entfernten Verwandtschaft aus Wien“ oder „Alptraum eines österreichischen Pianisten“ - die originalen Melodien der Schubert-Tänze werden meist aufgeteilt auf mehrere Blasinstrumente, drehen von ruhigem Maß auf bis zur furiosen Raserei, um sich dann wieder mit Trauerflor zu umgeben. Schubert und der Tod - ein weites Feld: Sein „Totengräberlied“ spiegelt sich bei Franui folgerichtig in seinen „Deutschen Tänzen“ wider. Oft wird das eine vom anderen überschrieben oder durch wild bewegte, oft äußerst schräge Mehrstimmigkeit überlagert, in der sich dann irgendwo das Original versteckt.

Daneben hat Andreas Schett eine ganz eigene Moderation kultiviert: In seinem unnachahmlich zerdehnten Osttiroler Dialekt - auf zwei Monitoren deutsch übertitelt - erzählt er skurrile Geschichtchen: etwa von Wirtshausschlägereien und -demolierungen, deretwegen halb Innervillgraten in den 60er-Jahren fliehen musste, um auf einem Ozeandampfer in spanisch sprechenden Gefilden zu landen, um dann nach Verjährung der Sachbeschädigungsvorwürfe in die Heimat zurückzukehren - weswegen so manche Innervillgratener Familie heute gleichzeitig einen Emi- wie Immigrationshintergrund habe. Wolfgang Mitterer unterlegt das vom präparierten Flügel aus melodramatisch mit pointiert schrägen Klängen und Soundteppichen aus allerlei Animalischem wie Ziegenmeckern, Schweinegrunzen und Pferdgalopp. Sehr, sehr lustig!

Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 13. Juni 2015.

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