Montag, 6. Dezember 2010

Kämpferische Träume

Finale beim Stuttgarter Theaterfestival SETT mit deutsch-mosambikanischer Produktion

Martin König (Tom), Yahi Nestor Gahe (Vater von Tom), Steve Bimamisa (Musiker), Cathrin Zellmer (Marie), Lucrécia Paco (Mutter von Tom). Foto: Stefan Kirchknopf

Stuttgart - Am Ende griff man auf den Anfang zurück: Das politisch ambitionierte zweiwöchige Stuttgarter Europa-Theater-Treffen (SETT), das seit 1993 alle zwei Jahre von der Tri-Bühne veranstaltet wird, ging jetzt mit der Produktion „Kämpferische Träume“ zu Ende, mit deren Uraufführung das Festival begonnen hatte. In dem Stück der mosambikanischen Schriftstellerin Paulina Chiziane wird das diesjährige Thema des Festivals - „Symphonie des Geldes“ - in einer liebenswürdigen Romeo-und-Julia-Geschichte mit Happy End verarbeitet, die in Namibia spielt, wo die Apartheid zwar offiziell beendet ist, aber in den Köpfen und vor allem in der „Apartheid des Geldes“ weiterlebt: Tom, ein Landarbeiter, liebt Marie, die Tochter eines deutschstämmigen Großgrundbesitzers, für den er schuftet. Und Marie liebt Tom. Er ist bitterarm und schwarz, sie ist reich und weiß. Beide könnten eigentlich nicht zueinanderkommen, die Eltern verbieten der Tochter jeglichen Kontakt.

Aber als Marie schwanger wird, flieht sie mit Tom zu dessen Eltern, die über die Liaison zunächst auch nicht gerade glücklich sind, sie dann aber liebevoll aufnehmen. Hier lernt Marie, mit bitterer Armut zu leben. Doch es tut sich was in ihrer neuen Heimat, dem kleinen Dorf Otjivero, das es tatsächlich gibt. Hier startete ein Pilotprojekt mit der Einführung eines kleinen, bedingungslosen Grundeinkommens für jeden, das nicht nur kurzfristig die Not lindern, sondern auch neues Potenzial freisetzen soll hin zu einer selbständigen Arbeit. Die macht selbstbewusst. Am Ende des Stückes steht der Widerstand gegen die Ausbeutung.

Mitreißende Energie

Die Tri-Bühne-Intendantin Edith Koer­ber hat „Kämpferische Träume“ selbst inszeniert: mit Schauspielern der Tri-Bühne und des Teatro Avenida aus Maputo in Mosambik. Und aus dieser Kooperation nährt sich die mitreißende Energie dieser Produktion. Zwar wird die Rolle des Tom von Martin König gespielt, der mit dunkler Farbe angemalt ist - das wird gewiss ironisch reflektiert, wirkt dennoch im Rahmen einer Koproduktion mit einem afrikanischen Theater befremdlich.

Aber mit der Mosambikanerin Lucrécia Paco und Yahi Nestor Gahe von der Elfenbeinküste als Eltern von Tom hat man ein quirliges Darstellerpaar gefunden, das durch lustige Tanzeinlagen und afrikanische Gesänge für gute Stimmung und Wärme sorgt und durch veritable Slapstickeinlagen überrascht - etwa wenn beide nacheinander beim Anblick der zukünftigen weißen Schwiegertochter wie ein Brett nach hinten kippen und auf den Bühnenboden donnern. Bis dahin hatte es der parabelartigen Erzählung der Liebesgeschichte ein wenig an Tempo gefehlt, auch wenn Cathrin Zellmer die unschuldig mädchenhaften Rolle der Marie überzeugend gestaltet.

Koerbers Inszenierung schafft mit einfachen Mitteln Atmosphäre. Im Hintergrund leuchten die Umrisse des afrikanischen Kontinents auf. Auf der Bühne von Renáta Balogh wird mit buntgemusterten afrikanischen Stoffen, mit Holz, Blech und Pappe gearbeitet. Für feine Stimmung sorgt auch die Musik von Steve Bimamisa (Gitarre) und Sebastian Huber (Bass, Djembé).

Wirklich virtuos ist in dieser Produktion der Umgang mit den vielen Sprachen: Alle Mitwirkenden sprechen in ihrer Heimatsprache - also deutsch und verschiedene afrikanische Sprachen. Die Rahmenerzählung wird auf Portugiesisch, in der Amtssprache Mosambiks, präsentiert, auch Englisch und Französisch sind zuweilen zu hören. Und alles wird übersetzt. Aber nicht durch ablenkende Übertitel oder per Kopfhörer, sondern durch einen Kunstgriff. Koerber hat eine zusätzliche Rolle geschaffen: Bettina Kenter als deutsch sprechendes alter ego der Erzählerin Lucrécia Paco. Beide kommen sich im Spiel gelegentlich in die Wolle, etwa wenn Kenter übersetzt: „Ich bin die Mutter“. Dann erwidert Paco - auf Deutsch - spaßig: „Nein, ich bin die Mutter!“.

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit

Dass diese Produktion aus dem Geiste der Aufklärung geboren ist, offenbarte nicht nur das Vorspiel von Géza Révay, „Letzte Ausfahrt Otjivero“, in dem das furchtbare Leiden des südwestafrikanischen Volkes unter der Christianisierung und der deutschen Kolonialherrschaft thematisiert wird. „Liberté, Égalité, Fraternité“ singen alle Mitwirkenden auf der Bühne und tanzen fröhlich dazu.

Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 6.12.2010. Die besprochene Aufführung fand statt am 3.12.

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