Dienstag, 18. Mai 2010

Klangliche Pracht

Manfred Honeck dirigiert das Pittsburgh Symphony Orchestra

Stuttgart - Worin unterscheidet sich ein US-amerikanisches Orchester von einem deutschen? Es sitzt schon 20 Minuten vor Konzertbeginn gut gelaunt auf der Bühne und macht ordentlich Radau - natürlich zum Warmspielen. Zumindest ist das so beim Pittsburgh Symphony Orchestra, das derzeit mit seinem Musikdirektor Manfred Honeck im Rahmen einer Tournee durch Europa zieht. Im Gepäck hat man auch Johannes Brahms' Violinkonzert, in dem die Pennsylvanier der Stargeigerin Anne-Sophie Mutter als einfühlsame Partner zur Seite stehen.

Beim Meisterkonzert-Publikum im ausverkauften Beethoven-Saal der Stuttgarter Liederhalle kam die vibrierende Intensität, mit der Anne-Sophie Mutter ihre Geige bearbeitete, gut an. Ihre klare Intonation, ihre sichere Formung des quecksilbrigen Materials waren durchaus beeindruckend. Ihr fordernder Zugriff, die oft überbordende Energie, die sie verströmte, standen allerdings einer wirklich modernen Interpretation des populären Werks im Wege. Denn Mutter hörte zu wenig in die aufblühenden Klangfarben des äußerst transparent agierenden Orchesters hinein, reagierte kaum auf dessen reizvollen Impulse und betonte eher die virtuo­se Geste. Dabei stellt das Werk zwar hohe Ansprüche an die Spieltechnik, ist aber deutlich sinfonisch inspiriert - weswegen sich der Geiger Pablo de Sarasate Brahms' Violinkonzert einst mit dem Hinweis verweigerte, er lasse sich die einzige Melodie, die das Werk enthielte und die er zu Beginn des Adagios ausmachte, doch nicht von einer Oboe vorblasen.

In Mahlers Erster Sinfonie konnten die Pittsburgher vollends beweisen, was für ein hervorragender Klangkörper sie sind: der Bläserapparat mit seinen agilen Trompeten und geschmeidigen Hörnern, dem mal kichernden, mal weinenden Holz genauso wie die nicht nur in dynamischer Hinsicht äußerst flexiblen Streicher. Und Manfred Honeck liegt der suggestive Mahler-Ton, die Gleichzeitigkeit der Dinge, von der Mahlers Sinfonien stets sprechen. Der gebürtige Österreicher vermochte das den Amerikanern deutlich zu vermitteln: die krassen Gegensätze zwischen sehnender Süße und theatralischem Aufbäumen, zwischen dionysischer Jubelstimmung und finsterem Alptraum.

Wunderbar gelang der Aufbau der vier Sätze: Von der verzerrten Naturidylle des Beginns, wo der Kuckuck falsch intoniert und die Jagdfanfaren viel zu schnell und virtuos geblasen werden, über rustikale Stampftänze und subtile Wiener Walzer, über gespenstische Trauermärsche und die verklärte "Lindenbaum"-Episode bis hin zum finalen Kampf auf Leben und Tod, der in eine blecherne Schlussapotheose mündet. Kein Wunder, dass das Publikum am Ende euphorisiert applaudierte. Dafür wurde es von den Pittsburghern mit delikat gespielten Wiener und Ungarischen Tänzen belohnt.

Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 18. Mai 2010. Das Konzert fand statt am 16. Mai.

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