Dienstag, 5. November 2013

Trost statt Endzeit-Getöse

Frieder Bernius dirigiert Louis Spohrs Oratorium „Die letzten Dinge“ in der Stuttgarter Liederhalle

Stuttgart - Louis Spohr galt im 19. Jahrhundert als einer der bedeutendsten deutschen Komponisten. Dass seine einst beliebten Werke heute so gut wie keine Rolle mehr in den Konzertsälen spielen, ist unverständlich: Der experimentierfreudige Romantiker hinterließ ein riesiges, vielseitiges Oeuvre, in dem manche Innovation zu finden ist. Frieder Bernius, bekannt dafür, sich kompositorischer Größen fernab vom Klassik-Mainstream anzunehmen, widmete sich jetzt an Allerheiligen im Hegelsaal der Stuttgarter Liederhalle gemeinsam mit dem Kammerchor Stuttgart und der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen Spohrs Oratorium „Die letzten Dinge“ von 1825/26.

Es war wieder einmal eines jener elektrisierenden Konzerte unter Bernius’ Leitung, in denen ein solcher Hörsog entstand, dass sogar die sonst übliche Hustkulisse fehlte. Alles stimmte und fügte sich wunderbar zusammen: Der weich und lebendig phrasierende, exzellent und farbig intonierende Chor, das extrem transparent und emotional befeuert spielende Orchester, das sehr gut miteinander harmonierende, ergriffen und ergreifend gestaltende Gesangsquartett mit Sopran Johanna Winkel, Alt Sophie Harmsen, Tenor Andreas Weller und Bass Konstantin Wolff.

Spohrs Apokalypse-Vertonung – die auf überbordendes Dies-Irae-Endzeit-Getöse fast vollständig verzichtet und durch vorwiegend gefühlsbetonte, süffige Melodik sowie innige und lyrische Tonfälle für eine positive, tröstliche und erwartungsfrohe Grundhaltung steht – zeigt ihren innovativen Geist im Verzicht auf die traditionelle Nummernreihung. In den Händen Bernius’, des perfekten Tempodramaturgen, waren das durchkomponierte Werk und seine fließenden Übergänge bestens aufgehoben.

In den großen, straffen Spannungsbogen fügte sich auch Heinrich von Herzogenbergs als utopisches A-cappella-Intermezzo zwischengeschaltete Motette „Und ich hörete eine Stimme vom Himmel“ so nahtlos ein, als hätte sie nie eine andere Bestimmung gehabt.

Besprechung für die Stuttgarter Nachrichten vom 4. November 2013. Das Konzert fand statt am 1. November 2013.

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