Freitag, 16. März 2018

"Nazis sind immer die anderen"

Ein Gespräch mit dem Theaterregisseur und Autor Tobias Ginsburg

Tobias Ginsburg, Regisseur und Autor von „Ein Kriegsspiel“, hat während der Proben in Esslingen noch unter dem Pseudonym Arno Weber gearbeitet. Vorsichtshalber. Weil er ein Buch über seine 8-monatigen Undercover-Recherchen im Milieu der rechtsgerichteten „Reichsbürger“ geschrieben hat, dessen Veröffentlichungsdatum zu diesem Zeitpunkt noch nicht feststand. Er musste mit Morddrohungen rechnen. Am vergangenen Mittwoch ist „Die Reise ins Reich. Unter Reichsbürgern“, eine Mischung aus Reportage, Sachbuch und Abenteuergeschichte, nun erschienen. Die Medien zeigen schon jetzt reges Interesse. Nächste Woche, am 21.3., ist der 32-Jährige in der Talkshow von Markus Lanz zu sehen.

Herr Ginsburg, gerade wurde Ihr Buch-Debüt veröffentlicht. Haben Sie schon Morddrohungen erhalten?
Nein, aber mein Alter Ago verliert gerade mit einer unglaublichen Geschwindigkeit seine Facebook-Freunde. Von fast 1500 sind es jetzt nur noch 1250.

Acht Monate im tumben Reichsbürger-Milieu. Warum tut man sich so was an?
Es war zunächst eine Mischung aus Interesse und Naivität. Das Reichsbürgerphänomen ist ja seit dem Polizistenmord in Georgensgmünd 2016 omnipräsent. Man erhält in den Medien zwar Einblicke in diese völlig schräge Welt aus vereinzelten, irren Rechtsradikalen, aber es erschließt sich kein ganzes Bild. Als ich mit der Recherche anfing, war mir noch nicht klar, dass daraus ein großes Buchprojekt werden würde. Aber dann merkte ich, dass wir es hier nicht mit einer Krankheit zu tun haben, sondern mit einem Symptom von etwas ganz Grundsätzlichem: Nämlich wie Rechtradikalismus in Deutschland momentan funktioniert. Und dann konnte ich nicht mehr davon lassen.

Und wie funktioniert dieser Rechtsradikalismus?

Wir haben es bei den Reichsbürgern mit Verschwörungstheorien zu tun. Wir leben in einer Zeit, wo bestimmte Haltungen nicht toleriert werden. Man kann seinen Judenhass nicht offen zur Schau stellen. Dafür braucht man Codierungen, Chiffren. Und so kommt es zu diesen kuriosen Verschwörungstheorien, die es in der braunen Szene schon immer gab und die in verschiedenen Varianten immer wieder neu artikuliert werden: Es gebe eine neue Weltregierung, „die da oben“, die das deutsche Volk unterdrücke. Mal sind es die Amerikaner, mal Außerirdische, mal Satanisten oder „die mächtigen Ostküstenfamilien“. Deutschland sei besetzt, ein unrechter Staat, und wir müssten uns wehren, das wahre Deutschland zurückholen. Diese Theorien breiten sich krakenartig aus, auch in andere Milieus, ob Esoterik oder Friedensbewegung. Merkwürdig ist, dass sich viele in der Szene gar nicht als Rechte fühlen. Es gibt Menschen, die halten sich für rein spirituell, womöglich sogar für links. Die Nazis, das sind immer die anderen.

Wie fanden Sie Anschluss an die Szene?
Das war sehr einfach. Die Szene ist ja offen für Neuankömmlinge. Ich hatte ein Alter Ego namens Tobias Patera, spielte also eine Rolle, war sehr gesprächig. Ich habe meine Gesprächspartner gespiegelt, und mein Leben, das ich ihnen schilderte, war gar nicht mal aus der Luft gegriffen, nur trister, ein bisschen verzweifelt, sehr viel einsamer, und zur Sicherheit war ich kein Jude. Ich ging mit Stiefelnazis Bier trinken, traf friedensbewegte Esoteriker. Das ist das Gruselige dort, dass sich diese beiden Parteien verstehen, nach dem Motto: Wir tun uns zusammen gegen „die da oben“.

Sie haben ziemlich viel Kurioses erlebt …
Der klassische Selbstverwalter, also ein Reichsbürger, der seine eigene Wohnung zum Dreiraum-Staat ausruft, muss auf den ersten Blick nicht unsympathisch wirken, wenn man ihn besucht. Das wirkt unter Umständen fast links, diese Abkehr vom Establishment. Aber in der Regel ersetzen sie den verhassten Staat mit einem eigenen Wust an Paragraphen, und die selbst erdachten Gesetze, die dort herrschen! Kurios auch, wie da mit der Sprache umgegangen wird, das hat schon etwa Kindliches. Das Wort „Personalausweis“ etwa sei ein Beleg dafür, dass wir nur Personal dieses Staates sind, keine Bürger. Manchmal hatte ich das Gefühl, ich sei verschollen in einem Jelinek-Einakter, wo Wortspiele zur Realität werden. Mein Lieblingswortspiel ist das einer Frau, die weltraummedizinischen Klimbim und gefährliche alternative Heilmethoden verkauft. Sie erklärte mir, wir müssten uns in Acht nehmen vor Onkologen und Gynäkologen, weil in diesen Berufen das Wort „Logen“ drinstecke. Das ist natürlich der totale Wahnsinn.

Für wie gefährlich halten Sie die Reichsbürger?

Es gibt sehr unterschiedliche Milieus. Am unmittelbar gefährlichsten sind die schwerstlabilen Menschen, denen ein Narrativ nahegelegt wird, das zur Paranoia führt. Die dann glauben, jeder würde sie belügen, und sie müssten sich gegen jeden „da draußen“ verteidigen: ob Polizei, Nachbarn, Politik, Presse, Medizin. Ängste sollte man ernstnehmen, aber nicht diese Wahnvorstellungen.

Interview für die Esslinger Zeitung vom 16.3.2018.

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