Träume, Schwingungen und Fingerzeige
Meisterliches im Meisterkonzert: Das Bayerische Staatsorchester unter Kent Nagano gastierte in der Stuttgarter Liederhalle

Er träume von einer Welt, in der jeder Mensch die Möglichkeit habe, seinen Weg zur Kunst zu finden, schrieb der Dirigent Kent Nagano einmal in der "Zeit". Kultur sei Menschenrecht und führe das Individuum aus der Herrschaft der Notwendigkeit in die Sphäre der Freiheit. Worte, die sich alle Kulturschaffenden angesichts unserer von Markt und Kapital beherrschten Gesellschaft, in der die so genannte "Hochkultur" in zunehmendem Maße zu einem nicht mehr finanzierbaren Luxus umdefiniert wird, mutig auf die Fahne schreiben sollten.
Man kann Naganos philanthropische Sicht der Dinge auch in seinem Dirigierstil erkennen: Er steht nicht herrisch vor seinem Orchester, sondern es scheint, als befinde er sich mittendrin, um die Schwingungen der einzelnen Stimmen möglichst genau aufzunehmen und durch impulsgebende Fingerzeige in die richtige energetische Richtung zu lenken.
So zeigte sich auch im ersten Meisterkonzert der Saison in der Stuttgarter Liederhalle, dass sich das Bayerische Staatsorchester mit seinem Chef – Nagano ist seit 2006 Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper – bestens versteht: Max Regers epische, farbtrunkene Tondichtungen nach vier Gemälden von Arnold Böcklin erklangen in einem so plastischen, reinen, farblich saftigen Sound, dass die Bildvorlagen vor dem inneren Auge sofort in Bewegung gerieten: Deutlich sah man den Eremiten melancholisch vor sich hinfiedeln, erkannte das ausgelassene Spiel der triebhaften Wasserdämonen mit den Meeresnymphen und die finster umnebelte Toteninsel.
Selten hört man auch Schumanns "Rheinische" derart inspiriert wie an diesem Abend. Dank äußerst transparentem Klangbild bei satter Durchfärbung selbst in sehr leisen und sehr lauten Bereichen ging nicht eine Nebenstimme verloren, und das perfekte Zusammenwirken der Musizierenden brachte jene für Schumann so typische Paarung von Poesie und äußerster innerer Gespanntheit aufwühlend zutage.
Etwas fragwürdig erschien die Idee, nach der mächtigen Böcklin-Suite Mozarts zierliches G-Dur-Flötenkonzert zu bringen. Aber Paolo Taballione, Soloflötist des Orchesters, spielte das Leichtgewicht nicht wie so viele andere als virtuoses Schmankerl, sondern als hochsensibel gestalteten, überaus beseelten Gesang. Da hätte man auch noch mehr Mozart in Kauf genommen.
Veröffentlicht in den Stuttgarter Nachrichten vom 2. Oktober 2009

Er träume von einer Welt, in der jeder Mensch die Möglichkeit habe, seinen Weg zur Kunst zu finden, schrieb der Dirigent Kent Nagano einmal in der "Zeit". Kultur sei Menschenrecht und führe das Individuum aus der Herrschaft der Notwendigkeit in die Sphäre der Freiheit. Worte, die sich alle Kulturschaffenden angesichts unserer von Markt und Kapital beherrschten Gesellschaft, in der die so genannte "Hochkultur" in zunehmendem Maße zu einem nicht mehr finanzierbaren Luxus umdefiniert wird, mutig auf die Fahne schreiben sollten.
Man kann Naganos philanthropische Sicht der Dinge auch in seinem Dirigierstil erkennen: Er steht nicht herrisch vor seinem Orchester, sondern es scheint, als befinde er sich mittendrin, um die Schwingungen der einzelnen Stimmen möglichst genau aufzunehmen und durch impulsgebende Fingerzeige in die richtige energetische Richtung zu lenken.
So zeigte sich auch im ersten Meisterkonzert der Saison in der Stuttgarter Liederhalle, dass sich das Bayerische Staatsorchester mit seinem Chef – Nagano ist seit 2006 Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper – bestens versteht: Max Regers epische, farbtrunkene Tondichtungen nach vier Gemälden von Arnold Böcklin erklangen in einem so plastischen, reinen, farblich saftigen Sound, dass die Bildvorlagen vor dem inneren Auge sofort in Bewegung gerieten: Deutlich sah man den Eremiten melancholisch vor sich hinfiedeln, erkannte das ausgelassene Spiel der triebhaften Wasserdämonen mit den Meeresnymphen und die finster umnebelte Toteninsel.
Selten hört man auch Schumanns "Rheinische" derart inspiriert wie an diesem Abend. Dank äußerst transparentem Klangbild bei satter Durchfärbung selbst in sehr leisen und sehr lauten Bereichen ging nicht eine Nebenstimme verloren, und das perfekte Zusammenwirken der Musizierenden brachte jene für Schumann so typische Paarung von Poesie und äußerster innerer Gespanntheit aufwühlend zutage.
Etwas fragwürdig erschien die Idee, nach der mächtigen Böcklin-Suite Mozarts zierliches G-Dur-Flötenkonzert zu bringen. Aber Paolo Taballione, Soloflötist des Orchesters, spielte das Leichtgewicht nicht wie so viele andere als virtuoses Schmankerl, sondern als hochsensibel gestalteten, überaus beseelten Gesang. Da hätte man auch noch mehr Mozart in Kauf genommen.
Veröffentlicht in den Stuttgarter Nachrichten vom 2. Oktober 2009
eduarda - 2. Okt, 13:01