Rumpelstilzchen trifft Sensenmann
Patricia Kopatchinskaja und das Russische Staatliche Sinfonieorchester in der Liederhalle
Stuttgart - Mit der erhabenen, reinen Klangwelt der Hahns und Mutters hat sie wenig gemein: Die Geigerin Patricia Kopatchinskaja blieb auch in ihrem jüngsten Auftritt in der Stuttgarter Liederhalle ihrem kompromisslosen Motto, Kunst sei nicht da, um schön zu sein, treu. Ihre Sicht auf die Dinge harmoniert nicht mit jedem Komponisten. Sergeij Prokofjew aber kommt sie zugute. Barfüßig wie immer, mit verwuschelten Haaren und mit robustem Körpereinsatz verpasste Kopatchinskaja Prokofjews zweitem Violinkonzert eine ungewöhnlich krasse, moderne Klanglichkeit. Zusammen mit dem exzellenten Russischen Staatlichen Sinfonieorchester Moskau unter der Leitung seines Chefdirigenten Valerij Poljanskij gab sich die 32-Jährige nicht mit traditionellen Einheits-Konzerttonfällen ab. Ihr Zugriff ist subtiler, entlockt den durch Bogendruck zuweilen arg überspannten Saiten stets überraschende Charaktere: Da tapst es schwerfällig, da jault es, schleicht auf samtigen Pfoten oder kichert rumpelstilzchenhaft.
Besonders extravagant gelang der langsame Mittelsatz, den sie nicht mit schmerzlich-lyrischem Gestus spielte, sondern eigenartig fahl und beklemmend, während das Orchester hart und knöchern begleitete - ein enorm wirkungsvoller Kontrast. Valerij Poljanskij bügelte auch in den Orchesterstücken des Abends nichts glatt. Tschaikowskys Fantasie-Ouvertüre „Hamlet“ prägte ein eher massiges als transparentes Klangbild. Die unruhige, explosive Dramatik erhielt ihre Erdung durch deutlich gegeneinander abgesetzte Streicher- und Bläserfarben. Die grandiose Bläserfraktion bezauberte solistisch genauso wie im Chorus durch einen plastischen, saftigen Sound.
In acht ausgewählten Sätzen aus Prokofjews „Romeo und Julia“-Suiten hatte Poljanskij stets den tödlichen Ausgang des Dramas vor Augen, betonte die unerbittliche rhythmische Motorik. Ein eher statischer, dunkler Klang mit fahlen und grellen Farben verkündete Unheil. Euphorisch erblühten nur die Liebesthemen. Satirisch doppelbödig erklang „Julia als Mädchen“, bleich wie eine Danse macabre der „Tanz der antillischen Mädchen“.
Und im finalen „Tybalds Tod“ hörte man dank einer extrem trockenen, schroffen Artikulation eine ganze Armee von Sensenmännern aufmarschieren. Das Publikum im gut besuchten Beethovensaal war schockiert, dann hellauf begeistert.
Veröffentlicht in der Eßlinger Zeitung vom 26.10.2009
Stuttgart - Mit der erhabenen, reinen Klangwelt der Hahns und Mutters hat sie wenig gemein: Die Geigerin Patricia Kopatchinskaja blieb auch in ihrem jüngsten Auftritt in der Stuttgarter Liederhalle ihrem kompromisslosen Motto, Kunst sei nicht da, um schön zu sein, treu. Ihre Sicht auf die Dinge harmoniert nicht mit jedem Komponisten. Sergeij Prokofjew aber kommt sie zugute. Barfüßig wie immer, mit verwuschelten Haaren und mit robustem Körpereinsatz verpasste Kopatchinskaja Prokofjews zweitem Violinkonzert eine ungewöhnlich krasse, moderne Klanglichkeit. Zusammen mit dem exzellenten Russischen Staatlichen Sinfonieorchester Moskau unter der Leitung seines Chefdirigenten Valerij Poljanskij gab sich die 32-Jährige nicht mit traditionellen Einheits-Konzerttonfällen ab. Ihr Zugriff ist subtiler, entlockt den durch Bogendruck zuweilen arg überspannten Saiten stets überraschende Charaktere: Da tapst es schwerfällig, da jault es, schleicht auf samtigen Pfoten oder kichert rumpelstilzchenhaft.
Besonders extravagant gelang der langsame Mittelsatz, den sie nicht mit schmerzlich-lyrischem Gestus spielte, sondern eigenartig fahl und beklemmend, während das Orchester hart und knöchern begleitete - ein enorm wirkungsvoller Kontrast. Valerij Poljanskij bügelte auch in den Orchesterstücken des Abends nichts glatt. Tschaikowskys Fantasie-Ouvertüre „Hamlet“ prägte ein eher massiges als transparentes Klangbild. Die unruhige, explosive Dramatik erhielt ihre Erdung durch deutlich gegeneinander abgesetzte Streicher- und Bläserfarben. Die grandiose Bläserfraktion bezauberte solistisch genauso wie im Chorus durch einen plastischen, saftigen Sound.
In acht ausgewählten Sätzen aus Prokofjews „Romeo und Julia“-Suiten hatte Poljanskij stets den tödlichen Ausgang des Dramas vor Augen, betonte die unerbittliche rhythmische Motorik. Ein eher statischer, dunkler Klang mit fahlen und grellen Farben verkündete Unheil. Euphorisch erblühten nur die Liebesthemen. Satirisch doppelbödig erklang „Julia als Mädchen“, bleich wie eine Danse macabre der „Tanz der antillischen Mädchen“.
Und im finalen „Tybalds Tod“ hörte man dank einer extrem trockenen, schroffen Artikulation eine ganze Armee von Sensenmännern aufmarschieren. Das Publikum im gut besuchten Beethovensaal war schockiert, dann hellauf begeistert.
Veröffentlicht in der Eßlinger Zeitung vom 26.10.2009
eduarda - 26. Okt, 09:48