Winde der Ungewissheit
SWR-Vokalensemble Stuttgart mit Toledo-Uraufführung

Marcelo Toledo
Stuttgart - Wer bei zeitgenössischer Musik gerne über die Abwesenheit von spezifisch sinnlicher Klanglichkeit klagt, wird im Bereich der mehrstimmigen Vokalmusik meist eines besseren belehrt. Sobald menschliche Stimmen am musikalischen Werk sind, so scheint es, ist Schluss mit sinnenfeindlicher Ratio und kühlem Intellektualismus. Selbst Cluster - Tontrauben, die in der Instrumentalmusik meist schrill und schräg klingen - erstrahlen hier in farbiger Schönheit. Das zeigen auch immer wieder die Konzerte des SWR-Vokalensembles Stuttgart.
Betört von solch wohlklingenden Dissonanzen wurde das Ohr auch in Marcelo Toledos „En la impenetrable maraña de lo no nombrado“ (2010) für 24 Stimmen - zu deutsch: im undurchdringlichen Dickicht des Namenlosen-, welches das SWR-Vokalensemble unter Leitung von Marcus Creed beim jüngsten Konzert in der Gaisburger Kirche als Auftragswerk zur Uraufführung brachte. Inspiriert vom Wesen eines japanischen Zen-Gartens und von der „vertikalen Lyrik“ Roberto Juarroz schuf der 1964 in Argentinien geborene Komponist ein Werk, das durch sphärisch-farbige Klanglichkeit und immaterielles Heulen und Säuseln genauso in Bann zu halten weiß wie durch sakrale Tiefe, flimmernde Klangflächen und sich in sanften Strömungen auflösende Formen. Assoziationen an Gesänge von Geistern über einer dunklen Wüstenei finden in den Worten des Komponisten ihre Bestätigung: Material und Formen seien während der Komposition in einen Zustand „verstörender Körperlosigkeit“ gelangt, die wiederum den Weg eröffnet habe zu einem „ruhigen, leeren Geist, dahinsegelnd in den Winden der Ungewissheit“. Vom Vokalensemble auf allen Ebenen exzellent artikuliert, kündet diese großartige Musik von den langsam verschwindenden Grenzen zwischen Wort und Stille, Liebe und Einsamkeit, Leben und Tod.
Toledos Werk erklang im Rahmen eines Hommage-Konzertes an den 1959 verstorbenen brasilianischen Komponisten Heitor Villa-Lobos. An diesem Abend widmete sich das Vokalensemble neben dem in süßen Harmonien schwelgenden Bachianas Brasileiras Nr. 9 (1945) den folkloristisch inspirierten Kompositionen Villa-Lobos': Werken, die indianische Legenden verarbeiten, die dem improvisatorischen Arbeitsgesang von Näherinnen nachempfunden sind, denen Volkslieder zugrundeliegen. Reizvoll ist diese Musik nicht nur wegen ihrer süffigen Harmonik, ihrer kunstvollen Tonmalereien und ihrer rhythmischen Inspiration, sondern vor allem wegen ihrer verschmelzenden Einverleibung der beiden eher gegensätzlichen Gemütsverfassungen Melancholie und Witz.
Zusammen mit Solisten des Instrumentalensembles MusikFabrik wurde der Abend mit Mauricio Kagels „Schwarzem Madrigal“ (1999) zur Vollendung gebracht, in dem der Komponist als Text ausschließlich Namen afrikanischer Städte, Dörfer und Ansiedlungen verwendet hat und ihnen wahrhaft theatralisches Potential abgewinnen konnte. Martialische und monotone Gesänge, rhythmische Zwischenspiele, plapperndes Durcheinander, kurz: die beständige Veränderung der Charaktere sorgte für größtmögliche Abwechslung und Unterhaltung.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 17. März. Das Konzert fand statt am 12. März 2010.

Marcelo Toledo
Stuttgart - Wer bei zeitgenössischer Musik gerne über die Abwesenheit von spezifisch sinnlicher Klanglichkeit klagt, wird im Bereich der mehrstimmigen Vokalmusik meist eines besseren belehrt. Sobald menschliche Stimmen am musikalischen Werk sind, so scheint es, ist Schluss mit sinnenfeindlicher Ratio und kühlem Intellektualismus. Selbst Cluster - Tontrauben, die in der Instrumentalmusik meist schrill und schräg klingen - erstrahlen hier in farbiger Schönheit. Das zeigen auch immer wieder die Konzerte des SWR-Vokalensembles Stuttgart.
Betört von solch wohlklingenden Dissonanzen wurde das Ohr auch in Marcelo Toledos „En la impenetrable maraña de lo no nombrado“ (2010) für 24 Stimmen - zu deutsch: im undurchdringlichen Dickicht des Namenlosen-, welches das SWR-Vokalensemble unter Leitung von Marcus Creed beim jüngsten Konzert in der Gaisburger Kirche als Auftragswerk zur Uraufführung brachte. Inspiriert vom Wesen eines japanischen Zen-Gartens und von der „vertikalen Lyrik“ Roberto Juarroz schuf der 1964 in Argentinien geborene Komponist ein Werk, das durch sphärisch-farbige Klanglichkeit und immaterielles Heulen und Säuseln genauso in Bann zu halten weiß wie durch sakrale Tiefe, flimmernde Klangflächen und sich in sanften Strömungen auflösende Formen. Assoziationen an Gesänge von Geistern über einer dunklen Wüstenei finden in den Worten des Komponisten ihre Bestätigung: Material und Formen seien während der Komposition in einen Zustand „verstörender Körperlosigkeit“ gelangt, die wiederum den Weg eröffnet habe zu einem „ruhigen, leeren Geist, dahinsegelnd in den Winden der Ungewissheit“. Vom Vokalensemble auf allen Ebenen exzellent artikuliert, kündet diese großartige Musik von den langsam verschwindenden Grenzen zwischen Wort und Stille, Liebe und Einsamkeit, Leben und Tod.
Toledos Werk erklang im Rahmen eines Hommage-Konzertes an den 1959 verstorbenen brasilianischen Komponisten Heitor Villa-Lobos. An diesem Abend widmete sich das Vokalensemble neben dem in süßen Harmonien schwelgenden Bachianas Brasileiras Nr. 9 (1945) den folkloristisch inspirierten Kompositionen Villa-Lobos': Werken, die indianische Legenden verarbeiten, die dem improvisatorischen Arbeitsgesang von Näherinnen nachempfunden sind, denen Volkslieder zugrundeliegen. Reizvoll ist diese Musik nicht nur wegen ihrer süffigen Harmonik, ihrer kunstvollen Tonmalereien und ihrer rhythmischen Inspiration, sondern vor allem wegen ihrer verschmelzenden Einverleibung der beiden eher gegensätzlichen Gemütsverfassungen Melancholie und Witz.
Zusammen mit Solisten des Instrumentalensembles MusikFabrik wurde der Abend mit Mauricio Kagels „Schwarzem Madrigal“ (1999) zur Vollendung gebracht, in dem der Komponist als Text ausschließlich Namen afrikanischer Städte, Dörfer und Ansiedlungen verwendet hat und ihnen wahrhaft theatralisches Potential abgewinnen konnte. Martialische und monotone Gesänge, rhythmische Zwischenspiele, plapperndes Durcheinander, kurz: die beständige Veränderung der Charaktere sorgte für größtmögliche Abwechslung und Unterhaltung.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 17. März. Das Konzert fand statt am 12. März 2010.
eduarda - 17. Mär, 22:26