Freitag, 21. Mai 2010

Die Sanduhr blutet still

Mitglieder des Staatsorchesters Stuttgart spielen Kammermusik der israelischen Komponistin Chaya Czernowin


Chaya Czernowin, Quelle: www.schott-musik.de
Chaya Czernowin

Stuttgart - Die israelische Komponistin Chaya Czernowin, 1957 geboren, wurde vor allem durch ihre Kammeroper "Pnima ... Ins Innere", die im Jahr 2000 bei der Münchner Biennale uraufgeführt worden ist, international bekannt. Dabei handelt es sich um ein hochgelobtes Werk, das sich mit dem Grauen des Holocaust aus der Sicht der Nachfahren der Überlebenden auseinandersetzt. "Pnima" hat nun am 9. Juli an der Stuttgarter Staatsoper in einer Neuproduktion Premiere. Anlass für das Staatsorchester, sich in seinem jüngsten Kammerkonzert im überraschend gut besuchten Mozartsaal der Stuttgarter Liederhalle der instrumentalen Ensemblemusik der Israelin zu widmen.

Czernowins Kammermusik charakterisiert eine wohlausgewogene Balance zwischen emotionalem Ausdruck und sachlich-distanzierter Arbeit mit dem Klangmaterial. Die Komponistin bedient sich dabei sämtlicher Klang-Vokabeln der Neuen Musik bis hin zum Geräusch, die aber niemals Selbstzweck sind, sondern stets dem detailreichen Aufbau eines zerklüfteten Zeitgefüges dienen. Im feinen, expressiven Streichsextett "Dam Sheon Hachol" (Die Sanduhr blutet still) aus dem Jahr 1992 wurde der Zeitfaktor gar zum Programm. Das Rieseln des Sandes und sein Verebben finden in zeitlupenartigen, aber gleichzeitig intensivierten Bewegungen ihre Entsprechung.

Czernowin arbeitet in großen, komplexen Zusammenhängen. Und so war "Zyklus" der zentrale Begriff im Bühnengespräch, das der musikalische Leiter des Abends, Stefan Schreiber, mit der sympathischen Komponistin führte. Drei der fünf aufgeführten, eigentlich selbständigen Stücke offenbarten dementsprechend innere Verbundenheit: "Sahaf" (Gestöber) für Saxophon, E-Gitarre, Klavier und Perkussion und "Sheva" (Sieben) für Ensemble sind genauso Part des fünfteiligen "Shifting Gravity" (Wechselnde Anziehung) von 2008 wie "Anea Crystal", das faszinierendste Werk des Abends: Es erklangen zunächst nacheinander zwei autarke, klanglich völlig gegensätzlich konzipierte Streichquartette, die dann in einem dritten Schritt noch einmal synchron als Oktett gespielt wurden. So vereinten sich extrem konträre Klangwelten: Die eine gestisch introvertiert und mit Pizzicati und Schraffuren arbeitend, die andere extrovertiert und vor allem in Glissandi sprechend.

Um übereinandergelagerte Schichten ging es auch in "Roots" (Wurzeln) aus dem Zyklus "Winter Songs" von 2003. Auch "Roots" bringt Gegensätzliches zur finalen Synthese: gesampelte Geräusche, ein Septett aus sieben sehr tiefen Instrumenten und drei elektronisch verstärkte Perkussionisten. Unter der Leitung Stefan Schreibers offenbarten die hochkonzentriert und akkurat agierenden Musiker und Musikerinnen des Staatsorchesters einmal mehr ihr Potenzial in Sachen Neuer Musik.

Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 21. Mai 2010. Das Konzert fand statt am 19. Mai.

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