Donnerstag, 17. Juni 2010

Wie eiskalt ist dein Handtäschchen

Die Opernschule bringt Puccinis „La Bohème“ ins Stuttgarter Wilhelma-Theater

Stuttgart - Giacomo Puccinis „La Bohème“ wird von Opernregisseuren nur selten gegen den Strich gebürstet. Offenbar fällt es ihnen schwer, sich dem Charme der munteren Künstler-Clique zu entziehen, die ihre bittere Armut fröhlich feiert, statt sie kritisch zu hinterfragen. Als Existenzbedrohung treten Einsamkeit und Hunger bei Puccini erst ganz am Ende mit Mimis Tod zu Tage.

Auch Bernd Schmitt hat in der neuesten Produktion der Opernschule der Stuttgarter Musikhochschule im Wilhelma-Theater der fröhlichen Seite der „Bohème“ die meiste Beachtung geschenkt, ja ein großenteils komödiantisches Spektakel aus Puccinis Milieustudie frei nach Henri Murgers Episodenroman gemacht. Immerhin verzichtet das Bühnenbild von Claudia Philipp auf die beliebte Mansardenromantik, baut auf graue Wände, Metalltüren, klare Linien und minimalistisch eingesetzte Requisiten. Das Grau in Grau steht wohl für den harten Winter, die omnipräsente Kälte, die den hungernden Freunden zumindest im Libretto sehr zusetzt, die aber in der Inszenierung sonst kaum eine Rolle spielt: Rodolfo geht im T-Shirt vor die Tür, als herrsche Hochsommer.

Bernhard Schmitt hat die „Bohème“ in die Jetztzeit geholt, die Protagonisten mit Laptop, Collegejacke und Baseballkappe ausgestattet, doch erscheinen die ständig herumalbernden Freunde Rodolfo, Marcello, Schaunard und Colline weniger als Künstler denn als ein Haufen nerviger Studenten. Die lungenkranke Mimi, in der Oper eigentlich als schüchtern und zerbrechlich charakterisiert, ergreift selbstbewusst die Initiative, wenn es darum geht, sich Rodolfo zu angeln. Unfreiwillig komisch wirkt sie dann im dritten Akt, wenn sie, schon dem Tode nahe, Rodolfo mehrmals wutentbrannt ihre Handtasche um die Ohren haut. Das Wuchtbrummen-Image steht ihr nicht. Nach all dem Klamauk findet die Inszenierung aber im Sterbefinale zu berührender Intimität und Ernst.

Das spielfreudige Ensemble wurde am Ende zu Recht bejubelt: Sopran Larissa Ciulei sang die Mimi souverän, höhensicher, mit Kraft. Tenor Hyun Ouk Cho als Rodolfo überzeugte mit warmem Timbre und brillanter Höhe, die nur selten etwas an Kraft verlor. Grandios Daniel Raschinsky als Marcello mit äußerst geschmeidigem, wohltönendem Bariton. Und auch Sae Joung Choi als Musetta, Hyorim Choi als Schaunard und Patrick Zielke als Colline ließen keine Wünsche offen. Unter Leitung von Bernhard Epstein sorgte die württembergische Philharmonie Reutlingen für orchestrale Farbigkeit, schönen Schmelz, aber auch harte Akzente. Und der Opernschulenchor sowie der Kinder- und Jugendchor Cantiamo Stuttgart brachten intonationssicher Lebendigkeit auf die Bühne.

Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 17. Juni und die Stuttgarter Nachrichten vom 16. Juni (gekürzte Version). Die Premiere fand statt am 13. Juni 2010.

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