Freitag, 17. September 2010

Flüstern und Flattern

Musikfest Stuttgart: Ensemble Ascolta mit Zeitgenössischem zur Nacht

Bei Nacht sind alle Katzen grau. Töne aber mitnichten. Sie gewinnen sogar noch an Farbe, weil in der Finsternis auf die Augen kein Verlass mehr ist und die Ohren sich spitzen. Deshalb darf Musik in der Nacht auf Zehen gehen, braucht zackige Rhythmen oder Fortissimosignale nur, um zu erschrecken.

Im Spätkonzert am Mittwoch war solche Nachtmusik zu hören: Neue Notturnos, mit denen das siebenköpfige Instrumentalensemble Ascolta die luftig besetzte Stadtkirche Bad Cannstatt in einen geheimnisvoll wispernden Klangraum verwandelte. So leise war es oft, dass das Knacken der Kirchenbänke und das Knarzen der Lederjacken in Konkurrenz traten zur Musik.

Über trägem Pochen echoten, atmeten, seufzten Trompete und Posaune in Tiziano Mancas "Nel labirinto" für Ensemble, und die Gitarre flüsterte in zarten Serenadenfragmenten. Sinnlich sirrend im Flageolett, sich entfernend und dann wieder ganz nah, umwarb das Cello von Erik Borgir die Ohren in Salvatore Sciarrinos Soloserenade "Ai limiti della notte". Und flatterhafte, dennoch hartnäckige Gestalten ließ Florian Hoelscher in Sciarrinos Notturno Nr. 1 für Klavier durch die Kirche huschen. Martin Smolkas sehr langsames Notturno für Ensemble überraschte in all seinen mikrointervallischen Klagen, seinen statischen Klangflächen und zündelnden Schraffuren auch mal durch eruptives Konterkarieren.

Als Uraufführung spielte man die dreisätzigen "Chopin transcriptions" von Ascolta-Posaunist Andrew Digby: Wunderbar, wie die Musiker den Geist des polnischen Komponisten aufscheinen und wieder verschwinden ließen, zeitlupenartig gedehnte Zitate aus dessen Nocturnes mit disparatem Material überlagerten und sie so in eine seltsam verzerrte Traumklangwelt überführten. Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer. In dieser Nacht waren's aber sehr schöne.

Rezension für die Stuttgarter Nachrichten vom 17.9.2010. Das Konzert fand statt am 15.9.

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