Dienstag, 30. November 2010

Entspannung mit Trancefaktor

Stuttgarter Kammerorchester in der Reihe „Classic im Club“ im BIX

Stuttgart - Drangvolle Enge auf der Bühne des Stuttgarter Jazz-Clubs BIX: 19 Streicher dort unterzubringen, wo sonst kleinere Combos jazzen, erfordert einiges Geschick von den Musikern. Vor allem was die Führung des Bogens angeht, dessen Spitze schnell mal ins Auge oder Ohr gehen kann.

Aber das Stuttgarter Kammerorchester in der Leitung von Dennis Russell Davies präsentierte sich in der BIX-Reihe „Classic im Club“ als hochdisziplinierter Klangkörper, der im Laufe des Konzerts auch die akustischen Probleme der Lounge, die auf elektronisch verstärkte Musik ausgerichtet ist und nicht auf die dynamisch sehr fein austarierte Klassik, vergessen machte. In Joseph Haydns A-Dur-Violinkonzert musste man sich an das Lüftungsrauschen und die Deckelung des Klangs, durch die nicht nur zarte Töne kaum erblühen konnten, allerdings erst noch gewöhnen. Zumal die akustische Situation wirklich jede noch so kleine intonatorische Unreinheit des Streichorchesters grausam zutage förderte. Dafür sorgte aber der junge britische Geiger Alexander Sitkovetsky im Solopart mit Spielfreude, rhythmischem Drive und fein empfundenem Melos für den nötigen Hörsog.

Klassik einmal fernab des Musentempel-Flairs bei einem Glas Chardonnay oder einem Cocktail genießen zu dürfen, ist eine feine Sache, vor allem, wenn die entspannte Atmosphäre dieselbe Hörhaltung zur Folge hat: Aus dem Publikum, das sich augenscheinlich aus BIX- und Liederhallen-Stammgästen gleichermaßen zusammensetzte, war kein Mucks zu hören: kein Quasseln, kein Gläser-Klirren, kein Scheppern. Es herrschte eine gespannte Stille, die Lauscher waren gespitzt.

Nach dem Klassiker stürzte sich das Kammerorchester klangsüchtig auf Musik amerikanischer Komponisten. Prall, saftig, sonnig entfaltete sich David Diamonds „Rounds“ von 1944, dessen Reiz darin besteht, dass rhythmische und kontrapunktische Komplexität wirkungsvoll auf einfacher Thematik und tonaler Harmonik aufbaut und dadurch zugänglich wird. Eine typisch amerikanische Stilprägung, die später auch den Minimalismus hervorgebracht hat.

Der kam in der dritten Sinfonie von Philip Glass, die Russell Davies und das Stuttgarter Kammerorchester 1995 selbst zur Uraufführung gebracht hatten, klangsinnlich, farbig, emotional geladen, kurz: prächtig zur Geltung. Und in den trancefördernden Weiten minimalistischer Gleichförmigkeit zeigte sich die immer noch deutlich spürbare Harmonie und Vertrautheit zwischen dem Orchester und seinem ehemaligen Leiter wohl am eindrücklichsten.

Fazit: Ein toller Abend mit einem klug ausgewählten Programm, an dessen Gelingen auch die angenehm lockere, dennoch Fachwissen vermittelnde Moderation Russell Davies‘ ihren Anteil hatte - und eine Kooperation, die auf jeden Fall zur festen Einrichtung werden sollte.

Rezension für die Eßlinger Zeitung und die Stuttgarter Nachrichten vom 29.11.2010. Das Konzert fand statt am 26.11.

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