Das Musiktheater gibt sich freizügig
Der Dokumentarfilm „Die singende Stadt“ gewährt ungewöhnliche Einblicke in die Arbeitswelt der Stuttgarter Staatsoper

Stuttgart - „Hat jemand Parsifal gesehen?“, ruft der Inspizient nervös in Richtung der wuselig bevölkerten Bühne. Der Beginn der ersten Orchesterhauptprobe verströmt bereits Premieren-Aufgeregtheit. „Ach, da isser ja“. Man kann beginnen.
Der 90-minütige Dokumentarfilm „Die singende Stadt“ des schweizerischen Filmemachers Vadim Jendreyko, der jetzt überregional in die Kinos kommt, gewährt viele solcher scheinbar zufälligen, intimen Blicke mitten in eine Opern-Produktion. Der Dokumentarfilmer begleitete die „Parsifal“-Inszenierung des katalanischen Regisseurs Calixto Bieito, die im März des vergangenen Jahres an der Stuttgarter Staatsoper Premiere hatte, mit der Kamera.
Komplexer Kosmos
Nicht nur Opernenthusiasten ist dieser Film zu empfehlen. Der Blick hinter die Kulissen, auf die Arbeitsabläufe des Hauses, von der ersten Regiebesprechung über die Proben bis hin zur Premiere, ist zwar einer in den ganz eigenen, bisweilen bizarren Kosmos des Theaters, doch in dem spiegelt sich bekanntlich die große, weite Welt. Was diesen Film von Anfang bis Ende so spannend, so lebendig macht, ist die Tatsache, dass Konflikte, die während der Produktion auftraten, nicht ausgeblendet werden.
Jede Oper sei ein babylonischer Kraftakt, heißt es zu Beginn. Eine Institution mit 1300 Mitarbeitern, die insgesamt 95 Berufe ausüben, ist dafür nötig. Und Bieito, ein Mann mit einem scharfen Blick für das Überzeitliche und Aktuelle in den alten Stoffen, der in der Oper nicht das ästhetisch Entrückte sucht, sondern die knallharte Realität von Macht und Gewalt, hat es nicht immer leicht, seine Visionen zu vermitteln. Da mokiert sich ein Sänger darüber, dass die Vorstellungen Bieitos doch sehr konträr seien zu Richard Wagners „wunderschöner Musik“. Da diskutieren der musikalische Leiter Manfred Honeck und der Regisseur über musikalische Details der Produktion: Bieito möchte mehr Tempo, wo der Dirigent des Stuttgarter Staatsorchesters die Langsamkeit entdeckt. Da muss die szenische Produktionsleiterin Waltraud Lehner die Damen des Chores beruhigen, die nicht in Nacktkostümen auf die Bühne wollen: Nein, der Regisseur habe Verständnis dafür; wer nicht wolle, müsse auch nicht. Kostüme werden noch einmal umgenäht.
Oder man wohnt dem klärenden Gespräch zwischen Kostümdirektor Werner Pick und Kostümbildnerin Mercè Paloma bei. Nein, es ist der Schneiderei leider nicht mehr möglich, zwei Monate vor der Premiere für die Vielzahl an Sängern, darunter über 100 Choristen, sämtliche Kostüme neu zu nähen. Das bräuchte sieben Monate Vorlaufzeit. Mercè Paloma muss sich nun im Fundus Passendes zur Umarbeitung zusammensuchen - eine Folge der spontanen, intuitiven, von kurzfristigen Entscheidungen geprägten Arbeitsweise des Regisseurs, mit der alle Abteilungen klarkommen müssen. Wo gehobelt wird, fallen eben auch Späne.
Ernst und Komik
Doch in den Ernst bricht immer wieder auch die Komik ein, etwa wenn man sich in der Rüstmeisterei genüsslich über Möglichkeiten unterhält, Bieitos Wunsch, „das Blut so richtig an die Decke spritzen zu lassen“, umzusetzen. Oder wenn man dem Bass-Bariton Gregg Baker, der den Amfortas singt, während seines Sprachtrainings beobachten darf: Der Running Gag des Films: Immer wieder bleibt Baker am Satz „Nein! Lasst ihn unenthüllt!“ hängen. Und der gestrengen Trainerin entgeht keine noch so kleine Undeutlichkeit.
Im Fluss der musikalisch getakteten, kontrastierenden Bilder wird die Totale immer wieder auf das Erlösungsdrama auf der Bühne gerichtet, auf die magischen Weltuntergangsstimmungen dieser Inszenierung: auf den entblätterten Wald und die Autobahnbrückenruine von Bühnenbildnerin Susanne Gschwender; auf nackte Menschen, die durch Geschwüre verunstaltet sind; auf einen Engelsknaben, der ausgepeitscht wird; auf Blut, das spritzt, wenn ein Mensch getötet wird.
Der Film feiert auch die illusionären Möglichkeiten der Oper, ihre Bildgewalt, und konfrontiert Dramatisches und Bewegtes immer wieder mit ganz ruhigen Standbildern der menschenleeren Räumlichkeiten. Er führt den Zuschauer gleichsam durch die Eingeweide des Opernhauses, seine endlosen Gänge - um dann auf die ruhigen Arbeitsprozesse in den vielen Werkstätten zu zoomen: auf einen Bühnenbauer, der mit dem Aufsprühen von Farbe auf ein Kulissenteil beschäftigt ist; auf einen Schneider beim sorgfältigen Reinigen eines Kostüms; auf einen Posaunisten, der im leeren Malsaal noch einmal die schwierigsten Stellen übt. Menschen bei der Arbeit, hochkonzentriert, ernst, und - vor allem - ganz bei sich. Vielleicht die schönsten Bilder dieses Films.
In Stuttgart läuft der Film ab heute (Premiere in Anwesenheit des Regisseurs) im Programmkino „Atelier am Bollwerk“, zudem in Freiburg im „Harmonie-Kino“, in Mannheim im „Odeon“, in Karlsruhe im Kino „Schauburg“ und in Heidelberg im „Gloria“. Bundesweiter Kinostart ist am 10. Februar.
Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 20.1.2010.

Stuttgart - „Hat jemand Parsifal gesehen?“, ruft der Inspizient nervös in Richtung der wuselig bevölkerten Bühne. Der Beginn der ersten Orchesterhauptprobe verströmt bereits Premieren-Aufgeregtheit. „Ach, da isser ja“. Man kann beginnen.
Der 90-minütige Dokumentarfilm „Die singende Stadt“ des schweizerischen Filmemachers Vadim Jendreyko, der jetzt überregional in die Kinos kommt, gewährt viele solcher scheinbar zufälligen, intimen Blicke mitten in eine Opern-Produktion. Der Dokumentarfilmer begleitete die „Parsifal“-Inszenierung des katalanischen Regisseurs Calixto Bieito, die im März des vergangenen Jahres an der Stuttgarter Staatsoper Premiere hatte, mit der Kamera.
Komplexer Kosmos
Nicht nur Opernenthusiasten ist dieser Film zu empfehlen. Der Blick hinter die Kulissen, auf die Arbeitsabläufe des Hauses, von der ersten Regiebesprechung über die Proben bis hin zur Premiere, ist zwar einer in den ganz eigenen, bisweilen bizarren Kosmos des Theaters, doch in dem spiegelt sich bekanntlich die große, weite Welt. Was diesen Film von Anfang bis Ende so spannend, so lebendig macht, ist die Tatsache, dass Konflikte, die während der Produktion auftraten, nicht ausgeblendet werden.
Jede Oper sei ein babylonischer Kraftakt, heißt es zu Beginn. Eine Institution mit 1300 Mitarbeitern, die insgesamt 95 Berufe ausüben, ist dafür nötig. Und Bieito, ein Mann mit einem scharfen Blick für das Überzeitliche und Aktuelle in den alten Stoffen, der in der Oper nicht das ästhetisch Entrückte sucht, sondern die knallharte Realität von Macht und Gewalt, hat es nicht immer leicht, seine Visionen zu vermitteln. Da mokiert sich ein Sänger darüber, dass die Vorstellungen Bieitos doch sehr konträr seien zu Richard Wagners „wunderschöner Musik“. Da diskutieren der musikalische Leiter Manfred Honeck und der Regisseur über musikalische Details der Produktion: Bieito möchte mehr Tempo, wo der Dirigent des Stuttgarter Staatsorchesters die Langsamkeit entdeckt. Da muss die szenische Produktionsleiterin Waltraud Lehner die Damen des Chores beruhigen, die nicht in Nacktkostümen auf die Bühne wollen: Nein, der Regisseur habe Verständnis dafür; wer nicht wolle, müsse auch nicht. Kostüme werden noch einmal umgenäht.
Oder man wohnt dem klärenden Gespräch zwischen Kostümdirektor Werner Pick und Kostümbildnerin Mercè Paloma bei. Nein, es ist der Schneiderei leider nicht mehr möglich, zwei Monate vor der Premiere für die Vielzahl an Sängern, darunter über 100 Choristen, sämtliche Kostüme neu zu nähen. Das bräuchte sieben Monate Vorlaufzeit. Mercè Paloma muss sich nun im Fundus Passendes zur Umarbeitung zusammensuchen - eine Folge der spontanen, intuitiven, von kurzfristigen Entscheidungen geprägten Arbeitsweise des Regisseurs, mit der alle Abteilungen klarkommen müssen. Wo gehobelt wird, fallen eben auch Späne.
Ernst und Komik
Doch in den Ernst bricht immer wieder auch die Komik ein, etwa wenn man sich in der Rüstmeisterei genüsslich über Möglichkeiten unterhält, Bieitos Wunsch, „das Blut so richtig an die Decke spritzen zu lassen“, umzusetzen. Oder wenn man dem Bass-Bariton Gregg Baker, der den Amfortas singt, während seines Sprachtrainings beobachten darf: Der Running Gag des Films: Immer wieder bleibt Baker am Satz „Nein! Lasst ihn unenthüllt!“ hängen. Und der gestrengen Trainerin entgeht keine noch so kleine Undeutlichkeit.
Im Fluss der musikalisch getakteten, kontrastierenden Bilder wird die Totale immer wieder auf das Erlösungsdrama auf der Bühne gerichtet, auf die magischen Weltuntergangsstimmungen dieser Inszenierung: auf den entblätterten Wald und die Autobahnbrückenruine von Bühnenbildnerin Susanne Gschwender; auf nackte Menschen, die durch Geschwüre verunstaltet sind; auf einen Engelsknaben, der ausgepeitscht wird; auf Blut, das spritzt, wenn ein Mensch getötet wird.
Der Film feiert auch die illusionären Möglichkeiten der Oper, ihre Bildgewalt, und konfrontiert Dramatisches und Bewegtes immer wieder mit ganz ruhigen Standbildern der menschenleeren Räumlichkeiten. Er führt den Zuschauer gleichsam durch die Eingeweide des Opernhauses, seine endlosen Gänge - um dann auf die ruhigen Arbeitsprozesse in den vielen Werkstätten zu zoomen: auf einen Bühnenbauer, der mit dem Aufsprühen von Farbe auf ein Kulissenteil beschäftigt ist; auf einen Schneider beim sorgfältigen Reinigen eines Kostüms; auf einen Posaunisten, der im leeren Malsaal noch einmal die schwierigsten Stellen übt. Menschen bei der Arbeit, hochkonzentriert, ernst, und - vor allem - ganz bei sich. Vielleicht die schönsten Bilder dieses Films.
In Stuttgart läuft der Film ab heute (Premiere in Anwesenheit des Regisseurs) im Programmkino „Atelier am Bollwerk“, zudem in Freiburg im „Harmonie-Kino“, in Mannheim im „Odeon“, in Karlsruhe im Kino „Schauburg“ und in Heidelberg im „Gloria“. Bundesweiter Kinostart ist am 10. Februar.
Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 20.1.2010.
eduarda - 20. Jan, 23:00