Montag, 31. Januar 2011

Vom Olymp in die Hotellounge

Kleists „Amphitryon“ in einer Inszenierung von Kristo Šagor am Staatsschauspiel Stuttgart

Benjamin Grüter (Amphitryon), Elmar Roloff (Jupiter) und Sarah Sophia Meyer (Alkmene). Foto: Dreher/Staatstheater

Stuttgart - „Bewusstseinskomödie, bei der uns das Lachen vergeht“, nennt der Germanist Hans Dieter Zimmermann Heinrich von Kleists „Amphitryon“. In der Tat ist das „Lustspiel nach Molière“, so der Kleist‘sche Untertitel, nur in Teilen spaßig. Die Verwicklungen und Verwechslungen, die Göttervater Jupiter in die Welt der Menschen trägt, als er vom Olymp steigt, um sich in Gestalt des thebanischen Feldherrn Amphitryon an dessen Frau Alkmene heranzumachen, sind zwar komisch - vor allem die Szenen, in denen Jupiters Handlanger Merkur sein Unwesen treibt als Doppelgänger von Sosias, dem Diener Amphitryons. Doch die Gewalt, Eitelkeit und Erbarmungslosigkeit, mit der Jupiter sich betrügerisch nimmt, was ihm seiner Ansicht nach zusteht, lässt am Ende zutiefst verwirrte und je nach Interpretation zerbrochene Menschen zurück. Da hat sich die Komödie längst zur Tragödie gewandelt.

Pünktlich zum Beginn des Kleist-Gedenkjahres hatte „Amphitryon“ in einer auf 90 Minuten gekürzten Fassung jetzt am Stuttgarter Staatsschauspiel in der Interimsspielstätte Nord im neuen Probenzentrum am Löwentor Premiere. Die Gratwanderung zwischen Komödie und Tragödie ist dem Regisseur Kristo Šagor dabei gründlich danebengegangen. Hauptmissverständnis: Šagor trimmt das Stück auf Boulevard, verzichtet auf die psychologische Durchleuchtung der Ich-Verwirrungen zugunsten des Beziehungskuddelmuddels, welches durch das zweifache Doppelgängertum entsteht.

Schon die Entscheidung, die Zweifach-Existenzen mit Schauspielern unterschiedlichen Alters und Körperbaus zu besetzen, ist fragwürdig: Markus Lerch als schlanker, jugendliche Merkur muss den fülligen, mittelalten Sosias alias Martin Leutgeb spiegeln, der alternde, kräftige Jupiter (Elmar Roloff) den schlaksigen, jungen Amphitryon (Benjamin Grüter). Das verhindert die schöne Illusion genauso, wie es das virtuose Spiel um die verzweifelte Identitätssuche entkräftet, das auf diese Weise unglaubwürdig wird und Kleists so genial formulierte Sentenzen - etwa Sosias‘ „Dein Stock kann machen, dass ich nicht mehr bin. Doch nicht, dass ich nicht Ich bin, weil ich bin“ - zu bloßen Phrasen degradiert.

Verortet ist der Abend im zeitlichen Irgendwo einer großen Hotellounge mit Sesseln und Tischchen im 1960er-Jahre-Stil, zwischen Grünpflanzen und Lampenschirmen (Bühne: Barbara Kaesbohrer). Man trägt Anzug, kleines Schwarzes oder grünes Schickes (Kostüme: Sanna Dembowski). Nur Sosias und sein Götterdouble treten in sportlichen Alltagsklamotten auf. Gelegentlich erklingt Relax-Musik von Sebastian Katzer.

Die Kleist'schen Charaktere verdingen sich in diesem Raum meist als boulevardeske, eindimensionale Typen, wodurch Šagor die Chance für ein berührendes, sich entwickelndes, spannungsgeladenes Ensemblespiel vergibt. Das Ensemble agiert dementsprechend ungewohnt blass, zudem wird Kleists klare, rhythmisierte Sprache oft viel zu schnell und vernuschelt zum Besten gegeben. Sarah Sophia Meyer spielt die Alkmene als recht naives Yuppie-Mädel, Stephanie Schönfeld Sosias‘ Gattin Charis als zickige, durchsetzungskräftige Blondine, die meistens in Unterwäsche über die Bühne huscht. Merkur ist ein Langweiler, dem man seine Wortgewandtheit nicht wirklich abnimmt, während Jupiter als alternder Gigolo eher durchs Dozieren als durch Erotomanie auffällt. So versteht man nicht wirklich, was Alkmene an ihm findet: Leidet sie vielleicht an einem Vaterkomplex?

Amphitryon dagegen ist ein schicksalsergebener, passiver Mann, der sofort die Waffen streckt, als er sein Haus von Jupiter besetzt sieht. Jupiters Ankündigung, dem Paar werde zum Dank für sein Liebesabenteuer der von ihm gezeugte Herkules geboren, kommentiert Amphitryon mit einem kurzen, unverbindlichen „Danke“ und verzieht sich schnell ins Haus. Endlich ist es wieder frei, der Spuk vorbei und Jupiter zurück auf den Olymp gedüst. Alkmene bleibt mit ihrem Koffer alleine. Ihr berühmtes finales „Ach!“, das oft den Schlüssel zur gesamten Inszenierung liefert, wirkt an diesem Abend völlig disparat: Die Traurigkeit und Ambivalenz, mit der Sarah Sophia Meyer es artikuliert, bringt plötzlich eine Tiefe ins Spiel, die zum bisherigen Abend einfach nicht passen will. Dieser wäre etwas zäh, gäbe es da nicht Martin Leutgeb, der als Sosias sein brillantes Komödiantentum unter Beweis stellt. Wie er vor Verzweiflung beinahe implodiert, wenn er wieder einmal an den Fragen scheitert „Wer bin ich? Wer ist der andere?“, wie er an der Realität zu zerbrechen scheint, die für ihn einfach nicht zu durchschauen ist, das ist einfach großartig, mitreißend und macht diesen Theaterbesuch am Ende dann doch noch lohnend.

Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 31.1.2011. Die Premiere fand statt am 29.1.

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