Sonntag, 27. Februar 2011

Virtuose im Hamsterrad

Das RSO mit der Dirigentin Xian Zhang und dem Trompeter Sergei Nakariakov in der Stuttgarter Liederhalle

Stuttgart - Humor steht in der deutschen Neue-Musik-Szene nicht gerade auf der Tagesordnung. Der Komponist Jörg Widmann, ein Star dieser Szene, hat ihn aber. Dass er genau zu wissen scheint, wie man sein Publikum packt, ohne deshalb Mainstream produzieren zu müssen, mag auch an der Tatsache liegen, dass er es als Musiker sehr gut kennt: Er steht selbst regelmäßig als Klarinettist auf der Bühne.

Im jüngsten Abo-Konzert des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR (RSO) entfachte sein 2002 komponiertes „ad absurdum“, ein Konzertstück für Trompete und kleines Orchester, jedenfalls Begeisterungsstürme. Das Auditorium im voll besetzten Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle tobte.

Natürlich lag das nicht nur am Stück, sondern vor allem auch am Solisten, dem smarten russischen Trompeter Sergei Nakariakov, der sich als Widmungsträger des Werks für dessen Verbreitung in der ganzen Welt verantwortlich zeigt. Denn wer sonst soll sie auch spielen, diese zwar ungemein unterhaltsame, aber barbarisch schwere Virtuosennummer: ein auskomponiertes Solistenmartyrium, das selbst Teufelstrompeter an die Grenzen ihrer Möglichkeiten katapultiert. Doppelzungen-Kanonaden im pausenlosen Sechzehntel-Puls gilt es zu bewältigen. Ohne ständige Zirkularatmung, die für die gleichmäßige Reihung der rasend schnellen Staccato-Töne nötig ist, wäre das nicht zu schaffen. Nakariakov gelingt das souverän, mit einer verblüffenden Leichtigkeit.

Das Orchester, nicht minder gefordert, reagiert mal hitzig disputierend, mal plappernd, mal imitierend auf das seltsame Trommelfeuer des Solisten, der im Hamsterrad einer „ad absurdum“ geführten, weil ziel- und orientierungslosen, ja zwanghaft ausgeführten Virtuosität gefangen scheint. Eine Pause erfährt dieser Wahnsinn nur in kurzen, aggressiven Paukensoli - um dann atemlos weiterzurasen.

Scheitern ironisch mitkomponiert


Das Radio-Sinfonieorchester unter der zupackenden Leitung der chinesischen Dirigentin Xian Zhang glitt durch diese im Zeitraffer organisierte musikalische Berg- und Talfahrt mit grandioser Sicherheit. Das Scheitern hat Widmann darin ironisch gebrochen mitkomponiert: Der Solist erliegt den Anforderungen. Er haucht am Ende sein Leben aus auf zwei farblosen, trockenen Tieftönen: zu Tode gehetzt von der Drehorgel, die das groteske Spiel auf die Spitze treibt durch unbarmherzig schnelle, in sich kreisende Tonbewegungen.

Das spektakuläre Ereignis wurde flankiert von zwei extrem gegensätzlichen Werken. In Ravels klangschwelgender „Ma mère l‘oye“-Orchestersuite - Vertonungen der gleichnamigen Märchensammlung von Charles Perrault - bewies die Dirigentin Xian Zhang ihr ausgesprochen feines Gespür für Klangfarben und für einen effektvollen wie spannungsgeladenen musikalischen Erzählton. Bezaubernd, wie das RSO Dornröschens Erwachen, den Übergang vom Traum zur Realität, hier plastisch fühlbar machte, wie delikat und saftig sich die asiatische Klangwelt der Kaiserin der Pagoden zu entfalten vermochte.

Und Strawinskys Skandalwerk „Le sacre du Printemps“, das die krass gegensätzlichen Schilderungen eines naturhaften Frühlingsausbruchs und einer brutalen Vergewaltigungsszenerie in sich vereint, lebte durch eben diese genau proportionierte, im Spannungsbogen dezidiert angelegte Erzählkunst der Dirigentin. Ein ausnahmslos mitreißendes Konzert, ein prächtiges Orchester, eine tolle Dirigentin und ein himmlischer Solist. Was will am mehr?

Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 28.2.2011. Das Konzert fand statt am 25.2.

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