Dienstag, 1. März 2011

Uneingetrübte Chorromantik

Clytus Gottwald interpretiert Mahler

Stuttgart - Es war irritierend, Gustav Mahlers musikalisches Psychogramm „Die zwei blauen Augen“ aus den „Liedern eines fahrenden Gesellen“ plötzlich so neutral, so unschuldig, so romantisch zu hören: ohne die reflektierende und analysierende Orchestersprache, die den unverwechselbaren, suggestiven und rätselhaften Mahler-Ton ausmacht. Den vermisste man in fast allen Bearbeitungen von Mahler-Liedern für Chor a cappella, die das SWR-Vokalensemble in der Stuttgarter Gaisburgkirche als Beitrag zum 100. Todestag des Komponisten zur Aufführung brachte.

Eingerichtet hat sie der Stuttgarter Komponist Clytus Gottwald in den Jahren 2008/09. Seine ganz eigene musikalische Handschrift übertünchte dabei die krassen Gegensätze, die die Mahler-Welt vereint, verwandelte diese in eine eher Brahms'sche klangschöne, uneingetrübte Chorromantik, die freilich durch die zeitgemäße Auffächerung in bis zu 16 Stimmen modernisiert erscheint.

Was in Gottwalds Transkriptionen von Schubert-, Schumann- und Wagner-Liedern für Chor seinen ganz eigenen Reiz entwickelt, weil Gottwalds schwebende, schillernd vibrierende Klangwelt deren Sprachen entgegenkommt, nimmt Mahlers Gedichtvertonungen eher ihre typische Expressivität - vor allem wenn es sich um Lieder wie das „Urlicht“, „Es sungen drei Engel“ oder „Wo die schönen Trompeten blasen“ handelt. Dort löst sich die Stimmenvielfalt des Orchesters durch die klangliche Vereinheitlichung im Chor in schönes Wohlgefallen auf. Und die Umarbeitung des berühmten Adagiettos aus Mahlers Fünfter für 16 Stimmen überträgt die dortige Dominanz der Streicher und den fließenden Gestus des Satzes durchaus angemessen, aber die inhaltliche Auffütterung der eigentlich wortlosen Musik mit dem Eichendorff-Gedicht „Im Abendrot“ befremdet dann doch mehr, als sie dem Stück gut tut.

Mahlers Wunderhorn-Lied „Scheiden und Meiden“ und „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ auf einen Text von Friedrich Rückert mögen sich Gottwalds Eingriffen da schon eher fügen. Besonders letzteres, eine ältere Bearbeitung, überträgt den entrückten, zerbrechlichen, weltenfernen Klangkosmos absolut überzeugend ins rein Chorische. Interessant war es allemal, Gottwalds Mahler-Interpretationen zu folgen, die in der Mitte des Konzerts durch drei Transkriptionen von Liedern der Mahler-Gattin Alma ergänzt wurden - zumal das Vokalensemble unter Leitung ihres künstlerischen Leiters Marcus Creed trotz hohen Krankenstands zu beeindruckender Klangschönheit und -reinheit fand, wenn auch gelegentlich die eine oder andere Einzelstimme etwas zu deutlich zu hören war.

Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 1.3.2011. Das Konzert fand statt am 26.3.

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