Freitag, 1. April 2011

Manfred in den Alpen

Das Royal Liverpool Philharmonic Orchestra spielt in der Stuttgarter Liederhalle

Stuttgart - Das Hörerlebnis war erschlagend: Peter Tschaikowskys selten gespielter „Manfred“-Sinfonie - die Lord Byrons gleichnamiger Dichtung rein instrumental auf den Leib rückt - wurde selbst der Stuttgarter Beethovensaal zu klein. Schwerblütiges Pathos und aufgewühlte Schicksalssinfonik, ein Riesenorchester mit donnerndem Schlagwerk und großem Bläseraufgebot brachten die Liederhalle zum Vibrieren. Am Ende, zwecks mystischer Unterstreichung des Todes Manfreds, fuhr sogar noch das volle Orgelwerk auf. Schließlich ist Manfred ein faustischer Charakter, der überdies in den erhabenen und gewaltigen Alpen umherirrt.

Das Royal Liverpool Philharmonic Orchestra, das mit dieser äußerst theatralisch sich gebärdenden Musik am Mittwoch im voll besetzten Beethovensaal gastierte, hinterließ damit freilich eine beeindruckende Visitenkarte. Unter der Leitung ihres Chefdirigenten Vasily Petrenko konnte sich die unglaubliche Klangpracht britischer Bläserfraktionen frei entfalten, aber auch die intonationssicheren, dynamisch flexibel und spielfreudig agierenden Streicher überzeugten bis zum letzten Takt. Ob finstere Natur- und Seelengemälde im ersten Teil, federnde Rhythmik und witzige Wasserimitationen im Alpenfee-Satz, ob klangschöner Melos im Pastorale-Andante oder insistierende Gewalttätigkeit im Finale - das Klangergebnis war auf allen Ebenen überwältigend.

Dass dieses mächtige Werk gerade durch ein kleines Hörgerät gefährdet wurde, entbehrt nicht ganz der Komik. An den leisen Stellen erfüllte den Beethovensaal ein kaum zu ortendes sphärisches Fiepen, das wohl einem verzweifelten Musikenthusiasten zu verdanken war, der seinen Ohrverstärker nicht ganz in den Griff bekommen hatte ob der überdimensionierten Klanggewalt russischer Sinfonik.

Der Rest des Konzerts war nettes Beiwerk. Mit Ralph Vaughan-Williams Schauspielmusik zu Aristophanes‘ Komödie „Die Wespen“ war den Liverpoolern ein schmissiger Auftakt gelungen. Satte Bläserfarben und sämiger Streicherschmelz, Tonmalereien von sirrenden und summenden Wespenschwärmen, flotte Melodien und wirbelnder Rhythmik sorgten für gute Unterhaltung.

Mozarts eigentlich intimes Klavierkonzert Nr. 23 A-Dur spielten die Briten dann zwar nicht in der ganz großen, aber doch noch immer viel zu mächtigen Tourneebesetzung. Der Orchestersound trat deshalb nicht durch Transparenz, sondern eher durch klebrige Süße in Erscheinung. Hélène Grimaud am Klavier tat Dienst nach Vorschrift, kommunizierte wenig mit dem Orchester, verlor sich im trauernden Adagio in viel zu langsamen Tempi, die auch das Orchester zum Schleppen zwangen, und bretterte im Finale ohne Spielwitz durch die Takte, ohne auch nur einmal in die Orchesterfarben hineinzuhören.

Rezension für die Eßlinger Zeitung von heute. Das Konzert fand statt am 30. März 2011.

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