Zur falschen Zeit am falschen Ort
Kay Johannsen dirigiert Mahlers Zweite Sinfonie in der Stuttgarter Stiftskirche
Stuttgart - Der Wallstreet-Mann Gilbert Kaplan wurde einst durch eine Aufführung von Gustav Mahlers Zweiter Sinfonie derart beeindruckt, dass er ihr fortan sein Leben widmete. Er erlernte das Dirigieren, um sie immer und immer wieder zum Erklingen zu bringen. Nur diese eine Sinfonie. Zur Umsetzung seiner neuen Lebensaufgabe konnte der Amateurmusiker sehr berühmte Orchester gewinnen. Um den religiösen Aspekt der Zweiten, die darin formulierte Hoffnung auf die Auferstehung, mag es ihm dabei weniger gegangen sein. Kaplan wurde die Sinfonie selbst zum Gegenstand kultischer Anbetung und ihre Aufführung zur Zelebrierung einer Messe. Er dirigierte stets mit Mahlers Taktstock.
Auch der Stuttgarter Stiftskantor Kay Johannsen wollte einmal Mahlers Zweite dirigieren - im Rahmen der Stiftsmusik. Er suchte die Legitimation dafür im Inhalt: im Finale mit seiner Vertonung der Klopstock-Hymne „Die Auferstehung“. Johannsen führte Mahlers Zweite am Karfreitag in der ausverkauften Stiftskirche auf. Eine problematische Entscheidung. Nicht nur wegen des Tages: Thematisch bedingt hätte die Zweite doch eigentlich erst am Ostersonntag erklingen dürfen. Oder stand für Johannsen an diesem Abend eher ihr Aspekt des menschlichen Ringens um den Glauben im Mittelpunkt?
Mystisches Urlicht
Die Akustik der Stiftskirche ist zudem für große sinfonische Werke denkbar ungeeignet. Man sitzt als Hörer ja quasi mitten im Orchester, jedes Instrument wird einzeln hörbar, löst sich aus dem Orchestergesamtklang heraus. Der fiel in alle Richtungen auseinander wie ein geachtelter Apfel - und somit auch die Welt, die Mahler in seinen Sinfonien mit allen Mitteln zu erbauen suchte. Mahlers Zweite braucht einen großen Konzertsaal, auch wegen ihres bei allen religiösen Fragestellungen letztlich doch zutiefst weltlichen Charakters.
Dabei hatte das Orchester, das für diesen Anlass zusammengestellt worden war, hervorragende Bläser an Bord, und auch die Streicher überzeugten durch ihr homogenes, farbiges Zusammenspiel. Indes, es war kein festes Ensemble, das sich blind versteht. Und Johannsen wollte viel, sehr viel. Er zeigte das sehr genau, atmete laut und tief mit, um Phrasierungen und dynamische Steigerungen noch deutlicher zu machen.
Das Orchester ließ sich zu detailgenauer Momentanalyse inspirieren, was etwa dem satirischen Scherzo und seiner instrumentalen Version des Wunderhorn-Liedes „Des Antonius zu Padua Fischpredigt“ durchaus zugutekam, aber den großen sinfonischen Atem oft zum Stocken brachte. Dennoch: Es gab sehr viele schöne Phasen in dieser Aufführung: Mystisch etwa leuchtete das „Urlicht“, wunderschön gesungen von Sopranistin Felicitas Fuchs und durchwoben von vielen farbigen Orchestersoli. Und effektvoll herausgespielt war der A-cappella-Einsatz der gut vorbereiteten Stuttgarter Kantorei im Finale: was für ein magischer Moment!
Rezension für die Stuttgarter Nachrichten und die Eßlinger Zeitung vom 26.4.2011. Das Konzert fand statt am 22.4.
Stuttgart - Der Wallstreet-Mann Gilbert Kaplan wurde einst durch eine Aufführung von Gustav Mahlers Zweiter Sinfonie derart beeindruckt, dass er ihr fortan sein Leben widmete. Er erlernte das Dirigieren, um sie immer und immer wieder zum Erklingen zu bringen. Nur diese eine Sinfonie. Zur Umsetzung seiner neuen Lebensaufgabe konnte der Amateurmusiker sehr berühmte Orchester gewinnen. Um den religiösen Aspekt der Zweiten, die darin formulierte Hoffnung auf die Auferstehung, mag es ihm dabei weniger gegangen sein. Kaplan wurde die Sinfonie selbst zum Gegenstand kultischer Anbetung und ihre Aufführung zur Zelebrierung einer Messe. Er dirigierte stets mit Mahlers Taktstock.
Auch der Stuttgarter Stiftskantor Kay Johannsen wollte einmal Mahlers Zweite dirigieren - im Rahmen der Stiftsmusik. Er suchte die Legitimation dafür im Inhalt: im Finale mit seiner Vertonung der Klopstock-Hymne „Die Auferstehung“. Johannsen führte Mahlers Zweite am Karfreitag in der ausverkauften Stiftskirche auf. Eine problematische Entscheidung. Nicht nur wegen des Tages: Thematisch bedingt hätte die Zweite doch eigentlich erst am Ostersonntag erklingen dürfen. Oder stand für Johannsen an diesem Abend eher ihr Aspekt des menschlichen Ringens um den Glauben im Mittelpunkt?
Mystisches Urlicht
Die Akustik der Stiftskirche ist zudem für große sinfonische Werke denkbar ungeeignet. Man sitzt als Hörer ja quasi mitten im Orchester, jedes Instrument wird einzeln hörbar, löst sich aus dem Orchestergesamtklang heraus. Der fiel in alle Richtungen auseinander wie ein geachtelter Apfel - und somit auch die Welt, die Mahler in seinen Sinfonien mit allen Mitteln zu erbauen suchte. Mahlers Zweite braucht einen großen Konzertsaal, auch wegen ihres bei allen religiösen Fragestellungen letztlich doch zutiefst weltlichen Charakters.
Dabei hatte das Orchester, das für diesen Anlass zusammengestellt worden war, hervorragende Bläser an Bord, und auch die Streicher überzeugten durch ihr homogenes, farbiges Zusammenspiel. Indes, es war kein festes Ensemble, das sich blind versteht. Und Johannsen wollte viel, sehr viel. Er zeigte das sehr genau, atmete laut und tief mit, um Phrasierungen und dynamische Steigerungen noch deutlicher zu machen.
Das Orchester ließ sich zu detailgenauer Momentanalyse inspirieren, was etwa dem satirischen Scherzo und seiner instrumentalen Version des Wunderhorn-Liedes „Des Antonius zu Padua Fischpredigt“ durchaus zugutekam, aber den großen sinfonischen Atem oft zum Stocken brachte. Dennoch: Es gab sehr viele schöne Phasen in dieser Aufführung: Mystisch etwa leuchtete das „Urlicht“, wunderschön gesungen von Sopranistin Felicitas Fuchs und durchwoben von vielen farbigen Orchestersoli. Und effektvoll herausgespielt war der A-cappella-Einsatz der gut vorbereiteten Stuttgarter Kantorei im Finale: was für ein magischer Moment!
Rezension für die Stuttgarter Nachrichten und die Eßlinger Zeitung vom 26.4.2011. Das Konzert fand statt am 22.4.
eduarda - 26. Apr, 23:40