Dienstag, 17. Mai 2011

Vom Glück des Dahinschmelzens

„Die Eisprinzessin“ von F.K. Waechter als Figurentheater an der Esslinger Landesbühne

Esslingen - Die Eisprinzessin ist ein seltsames Wesen: Sie beherrscht die Träume der Männer, aber vor ihren „stinkend warmen Betten“ ekelt ihr. Sie thront arrogant auf der Spitze ihres Eisberges und ersticht jeden Verehrer, der sich ihr nähern will, hinterhältig mit einem Eiszapfen. Pfui! Auch der junge König von Sizilien liebt die schaurig-kalte Schönheit. Aber da muss er sich erst Rat bei des Teufels Großmutter höchstpersönlich einholen, um der frostigen Lady auf den Leib zu rücken. Er schleicht sich verkleidet als Mädchen in ihr erstarrtes Leben. Überredet sie zu einer Tour nach Sizilien, um ihre Gier nach „der höchsten Schönheit“ zu befriedigen.
Knutschende Luftballons

Im Kinderstück „Die Eisprinzessin“, das der Cartoonist und Dichter F. K. Waechter 1993 geschrieben hat, geht es um die Liebe und um die Entdeckung der Sexualität. Auf dem Segelschiff nach Sizilien taut die in diesen Dingen extrem unterbelichtete Prinzessin langsam auf. Die bewegte See erledigt es ganz von selbst, dass man langsam zusammenrückt. „Was ist da unter deinem Bauch? Es ragt hervor“, fragt die Prinzessin neugierig. „Das ist das Glück. Bei manchen ragt es vor, bei manchen ragt‘s zurück“, antwortet der superschlaue König und erklärt ihr hintersinnig, was der Mund so alles können soll und was die Augen wirklich schön macht, bevor es dann irgendwann richtig zur Sache geht.

Als Märchenerzähltheater eignet sich „Die Eisprinzessin“ perfekt für das Puppenspiel, und wegen der sehr poetischen Sprache auch für das künstlerisch anspruchsvollere Figuren­theater. Johanna Pätzold hat mit diesem Stück deshalb 2008 ihre Ausbildung im Studiengang Figurentheater an der Stuttgarter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst abgeschlossen und zeigt diese Arbeit jetzt auf der Bühne des Kindertheaters der WLB. Wie es sich für eine erfolgreiche Diplomarbeit in diesem Fach gehört, demonstriert Johanna Pätzold ihre ganze Virtuosität und Sensibilität beim visuellen und klanglichen Einsatz unterschiedlicher Materialien. Zu Beginn sitzt die Märchenerzählerin an einer Autostraße inmitten von Müllsäcken, aus denen dann nach und nach das Spielmaterial entnommen wird. Ein kriegerisches Heer? Kein Problem: Aus einem Beutel ergießen sich unzählige Teelichthüllen auf die kleine Bühne des Kindertheaters. Mühsam stapft der König am Fuße des Eisberges durch hell knirschenden durchsichtigen Plastikabfall. Und ratzfatz sind Leinen mit Plastiktüten in allerlei Blautönen gespannt: das Meer.

Wenn der König der Eisprinzessin den Kuss erklärt, demonstriert Pätzold das anhand zweier sich aufblähender und wieder schrumpfender roter Luftballons, die auf Plastikflaschen gestülpt sind. Das wilde Knutschen wird zum Lacherfolg. Und die Augen dürfen auf geheimnisvoll illuminierte Plastikkanister schauen, in denen bizarre Landschaften aufscheinen und wieder verlöschen. Wunderschön!

Aber die Aufführung hat ein Problem: Sie ist durch ihre zur Abstraktion neigenden Materiallastigkeit nicht kindgerecht. Zudem spielt Pätzold die Erzählerin, den König und des Teufels Großmutter selbst, setzt die Charaktere nicht stark genug gegeneinander ab, wodurch wichtige Details der Handlung - wie etwa die Travestie des Königs - nicht wirklich deutlich werden. Einzige Spielfigur dieser Ein-Frau-Performance ist die Eisprinzessin - mit ausdrucksstark surreal verzerrtem Gesicht und einem Leib aus klarer und hellblauer Plastikfolie. Ihr Heim zu Beginn: eine durchsichtige Plastikhalbkugel, igelartig mit Wäscheklammern gespickt. Das ist eindrucksvoll in Szene gesetzt. Schade, dass Pätzold nicht noch weitere „Puppen“ ins Spiel gebracht hat. Zumal die gelegentlich zu eingehende Beschäftigung mit dem Material - etwa wenn aus kleinen Filmdöschen minutiös ein Besenstiel aufgebaut wird - Längen erzeugte, die im Kindertheater in der Regel mit Erhöhung der Geräuschkulisse honoriert werden. In der Premiere blieben die offenbar sehr theatererfahrenen Kinder allerdings erstaunlich konzentriert bei der Sache - konzentrierter als einige der Erwachsenen.

Besprechung für die Eßlinger Zeitung von heute. Die Premiere war am 14. Mai.

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