Wo bitte geht’s nach Ulm?
Metropolis / The Monkey Wrench Gang – Volker Lösch verarbeitet Stuttgart 21 in einem Umwelt-Western mit Metropolis-Einsprengseln

Stuttgart - Unter Umweltaktivisten stellt man sich heute gut organisierte, gezielt und pragmatisch vorgehende Greenpeacer vor. In den 70er Jahren war das offenbar noch anders. Die vier Ökoterroristen im Roman "The Monkey Wrench Gang" des US-Amerikaners Edward Abbey, erschienen 1975, sind eine durchgeknallte, sich gegenseitig pausenlos anbrüllende Chaotentruppe, deren Wege leere Bierdosen pflastern und die, sobald sie ein Lenkrad zwischen die Hände kriegen, zu nervenden Rasern mutieren.
Freilich sind sie sonst vom hehren Ansinnen getrieben, eine weitere Naturzerstörung im Grand Canyon zu verhindern. Wenn man sich am Lagerfeuer in freier Natur deftige Worte um die Ohren haut, geht es immer auch um die Frage, inwiefern der Einsatz von Gewalt notwendig ist, um die eigenen Ziele durchzusetzen. Nach dem Motto, macht kaputt, was euch kaputt macht, will man am Ende mit Unmengen von Dynamit die Glen-Canyon-Staumauer, die in Arizona den Colorado River zu Amerikas zweitgrößtem Stausee Lake Powell anschwellen lässt, in die Luft zu sprengen.
Parkschützer in Metropolis
Volker Lösch hat das theatertaugliche Terror-Quartett jetzt auf die "Arena"-Bühne der Interimsspielstätte des Stuttgarter Staatsschauspiels in der Türlenstraße gebracht und es in bewährter Weise mit Sprechchören aus Laiendarstellern konfrontiert. Die kommen dieses Mal aus der Gruppe der Stuttgart-21-Gegner. Sie skandieren in "Parkschützer"-Shirts eigene Forderungen und Gedanken und mit Mappus-, Geißler- oder Merkel-Masken vor dem Gesicht pathetische Worte zum Thema Mensch, Arbeit und Maschine, die aus Fritz Langs Filmepos "Metropolis" stammen. Dort geht es ja schließlich auch um Widerstand: Im Zweiklassenstaat setzen sich die unterdrückten Arbeiter zur Wehr, die sich bis dahin zu Tode schufteten.
Endlich also darf sich Lösch auch auf der Bühne zum umstrittenen Verkehrs- und Bahnhofsbauprojekt Stuttgart 21 äußern, das ihm so an die Nieren ging, dass er sich zu einer der führenden Stimmen des Widerstands aufschwang. Und wer noch seine rhetorisch eindringliche Rede "60 S21-Lügen in 10 Minuten" auf einer Stuttgarter Großdemo im vergangenem März in den Ohren hat, der weiß, dass es an diesem Theaterabend nur um eines gehen konnte: um ein Kontra – auch wenn immerhin ein "Pro-ler" (dargestellt von Marco Albrecht) auf die Bühne dürfte, um sich über die "Schmutzfinken" vom Bauzaun oder die "Kinderwageninitiativen" der Gegner zu echauffieren.
Reden nutzt eh nix?
Was bestens funktioniert an diesem Abend ist – dank des pointierten, quirligen Ensemblespiels – die "Monkey Wrench Gang". Auf der gestuften Breitwand-Bühne von Cary Gayler, die comichaft mit Papp-Kaktussen und gemaltem Grand-Canyon-Panorama ausgestattet ist, ist genug Platz für virtuose Verfolgungsjagden und Schießereien in den Bergen, Dynamitexplosionen und andere Special-Effects. Herrlich Sebastian Kowski als "Vernichtungsexperte" Hayduke, der wie eine Wiederbelebung des im 18. Jahrhundert von der Bühne gejagten Hanswursts wirkt. Er scheißt und pinkelt auf die Bühne, rülpst und furzt, beginnt jeden Satz mit "Scheiße" und "verfickt", hasst Frauen und ballert ständig in der Luft herum. Das gelingt Kowski tatsächlich so, dass es lustig ist. Klar, dass Hayduke revolutionstechnisch recht einfach gestrickt ist: Alles in die Luft sprengen, reden nutzt eh nix.
Die anderen verhalten sich da weitaus skrupulöser: Der rastagelockte, hyperaktive Möchtegern-Abenteurer Seldom (Bijan Zamani) – "Ich mach nix mit Dynamit" – richtet als Mormone gelegentlich ein dreist formuliertes Gebet gen Himmel. Der vor Veränderungswillen schier atemlose Doc Sarvis (Martin Leutgeb) gerät zwischen Gutmenschentum und politischem Anspruch derart in Stress, dass er sich am Ende von der Polizei (Jonas Fürstenau und Toni Jessen) in eine fiese Falle locken lässt – mitsamt seiner Freundin Bonnie (Katharina Ortmayr). Es kommt, wie es kommen muss. Die finale Sprengung des Staudamms bleibt Utopie. Die Truppe landet im Knast.
Stuttgart ist doch nicht Metropolis
Was sich an diesem Abend nicht erfüllte, war der hohe gesellschaftspolitische Anspruch Löschs. Die Ebenen von Umwelt-Western und Stuttgarter Regionalpolitik durchdrangen sich nicht. Die Metropolis-Sprechchöre blieben Fremdkörper, das agitatorische Skandieren der S21-Gegner Selbstgespräch. Der Rest Klamauk.
Das Ende geriet dann immerhin überraschend: Der Tiefbahnhof ist Realität geworden. Die Befürchtungen der Projektkritiker auch. Es herrscht völliges Chaos im Untergrund. Züge fahren nicht. Bonnie und Sarvis schleppen den mittlerweile im Rollstuhl sitzenden Seldom die viel zu engen Treppen zu den Gleisen hinunter. Die Aufzüge sind außer Betrieb. Und dann steht da plötzlich Hayduke in der Tracht des DB-Sicherheitspersonals. Ein paar Sekunden später fliegt der Tiefbahnhof in die Luft – unter dem lauten, trockenen Gelächter der Gegner.
Besprechung für das Internet-Theaterportal www.nachtkritik.de am 22. Mai. Die Premiere war am 21. Mai.

Stuttgart - Unter Umweltaktivisten stellt man sich heute gut organisierte, gezielt und pragmatisch vorgehende Greenpeacer vor. In den 70er Jahren war das offenbar noch anders. Die vier Ökoterroristen im Roman "The Monkey Wrench Gang" des US-Amerikaners Edward Abbey, erschienen 1975, sind eine durchgeknallte, sich gegenseitig pausenlos anbrüllende Chaotentruppe, deren Wege leere Bierdosen pflastern und die, sobald sie ein Lenkrad zwischen die Hände kriegen, zu nervenden Rasern mutieren.
Freilich sind sie sonst vom hehren Ansinnen getrieben, eine weitere Naturzerstörung im Grand Canyon zu verhindern. Wenn man sich am Lagerfeuer in freier Natur deftige Worte um die Ohren haut, geht es immer auch um die Frage, inwiefern der Einsatz von Gewalt notwendig ist, um die eigenen Ziele durchzusetzen. Nach dem Motto, macht kaputt, was euch kaputt macht, will man am Ende mit Unmengen von Dynamit die Glen-Canyon-Staumauer, die in Arizona den Colorado River zu Amerikas zweitgrößtem Stausee Lake Powell anschwellen lässt, in die Luft zu sprengen.
Parkschützer in Metropolis
Volker Lösch hat das theatertaugliche Terror-Quartett jetzt auf die "Arena"-Bühne der Interimsspielstätte des Stuttgarter Staatsschauspiels in der Türlenstraße gebracht und es in bewährter Weise mit Sprechchören aus Laiendarstellern konfrontiert. Die kommen dieses Mal aus der Gruppe der Stuttgart-21-Gegner. Sie skandieren in "Parkschützer"-Shirts eigene Forderungen und Gedanken und mit Mappus-, Geißler- oder Merkel-Masken vor dem Gesicht pathetische Worte zum Thema Mensch, Arbeit und Maschine, die aus Fritz Langs Filmepos "Metropolis" stammen. Dort geht es ja schließlich auch um Widerstand: Im Zweiklassenstaat setzen sich die unterdrückten Arbeiter zur Wehr, die sich bis dahin zu Tode schufteten.
Endlich also darf sich Lösch auch auf der Bühne zum umstrittenen Verkehrs- und Bahnhofsbauprojekt Stuttgart 21 äußern, das ihm so an die Nieren ging, dass er sich zu einer der führenden Stimmen des Widerstands aufschwang. Und wer noch seine rhetorisch eindringliche Rede "60 S21-Lügen in 10 Minuten" auf einer Stuttgarter Großdemo im vergangenem März in den Ohren hat, der weiß, dass es an diesem Theaterabend nur um eines gehen konnte: um ein Kontra – auch wenn immerhin ein "Pro-ler" (dargestellt von Marco Albrecht) auf die Bühne dürfte, um sich über die "Schmutzfinken" vom Bauzaun oder die "Kinderwageninitiativen" der Gegner zu echauffieren.
Reden nutzt eh nix?
Was bestens funktioniert an diesem Abend ist – dank des pointierten, quirligen Ensemblespiels – die "Monkey Wrench Gang". Auf der gestuften Breitwand-Bühne von Cary Gayler, die comichaft mit Papp-Kaktussen und gemaltem Grand-Canyon-Panorama ausgestattet ist, ist genug Platz für virtuose Verfolgungsjagden und Schießereien in den Bergen, Dynamitexplosionen und andere Special-Effects. Herrlich Sebastian Kowski als "Vernichtungsexperte" Hayduke, der wie eine Wiederbelebung des im 18. Jahrhundert von der Bühne gejagten Hanswursts wirkt. Er scheißt und pinkelt auf die Bühne, rülpst und furzt, beginnt jeden Satz mit "Scheiße" und "verfickt", hasst Frauen und ballert ständig in der Luft herum. Das gelingt Kowski tatsächlich so, dass es lustig ist. Klar, dass Hayduke revolutionstechnisch recht einfach gestrickt ist: Alles in die Luft sprengen, reden nutzt eh nix.
Die anderen verhalten sich da weitaus skrupulöser: Der rastagelockte, hyperaktive Möchtegern-Abenteurer Seldom (Bijan Zamani) – "Ich mach nix mit Dynamit" – richtet als Mormone gelegentlich ein dreist formuliertes Gebet gen Himmel. Der vor Veränderungswillen schier atemlose Doc Sarvis (Martin Leutgeb) gerät zwischen Gutmenschentum und politischem Anspruch derart in Stress, dass er sich am Ende von der Polizei (Jonas Fürstenau und Toni Jessen) in eine fiese Falle locken lässt – mitsamt seiner Freundin Bonnie (Katharina Ortmayr). Es kommt, wie es kommen muss. Die finale Sprengung des Staudamms bleibt Utopie. Die Truppe landet im Knast.
Stuttgart ist doch nicht Metropolis
Was sich an diesem Abend nicht erfüllte, war der hohe gesellschaftspolitische Anspruch Löschs. Die Ebenen von Umwelt-Western und Stuttgarter Regionalpolitik durchdrangen sich nicht. Die Metropolis-Sprechchöre blieben Fremdkörper, das agitatorische Skandieren der S21-Gegner Selbstgespräch. Der Rest Klamauk.
Das Ende geriet dann immerhin überraschend: Der Tiefbahnhof ist Realität geworden. Die Befürchtungen der Projektkritiker auch. Es herrscht völliges Chaos im Untergrund. Züge fahren nicht. Bonnie und Sarvis schleppen den mittlerweile im Rollstuhl sitzenden Seldom die viel zu engen Treppen zu den Gleisen hinunter. Die Aufzüge sind außer Betrieb. Und dann steht da plötzlich Hayduke in der Tracht des DB-Sicherheitspersonals. Ein paar Sekunden später fliegt der Tiefbahnhof in die Luft – unter dem lauten, trockenen Gelächter der Gegner.
Besprechung für das Internet-Theaterportal www.nachtkritik.de am 22. Mai. Die Premiere war am 21. Mai.
eduarda - 23. Mai, 10:49