Völlig losgelöst von der Erde
Der französische Countertenor Philippe Jaroussky in der Stuttgarter Liederhalle

Stuttgart - In den langsamen Sätzen seines Vivaldi-Programms schien die Stimme des französischen Countertenors Philippe Jaroussky von aller irdischen Schwere befreit. Er ließ die hohen Töne so leicht perlen, als seien sie Zitronenfalter, die von Blüte zu Blüte flattern. Dennoch saß jede Note wie eine Eins: genau artikuliert, ohne intonatorische Schlieren, glasklar, hell, zerbrechlich. Zum Beispiel in der Arie „Vedro con mio diletto” aus Vivaldis Oper „Giustino”: Ton an Ton reihte sich in natürlichem Fluss aneinander - als sänge Jaroussky aus dem Stegreif und ganz für sich. Zart und gefühlvoll, fast traumwandlerisch zeichnete er die Verzierungen.
Es ist wohl das kindlich-unschuldige Timbre in den androgynen Farben der Falsettstimme, das die Liebhaber des Männer-Hochgesangs so reizt und das bei dem zierlichen Jaroussky besonders ausgeprägt ist. Und schön, nett und charismatisch ist der 33-Jährige außerdem. Der Hegelsaal der Stuttgarter Liederhalle war am Mittwoch gut gefüllt, und Jarousskys verzückte Fangemeinde spendete am Ende Standing Ovations. Andere fasziniert das Artifizielle dieser heute so beliebten Gesangstechnik - auch wenn sie einen nicht direkt berührt.
Jaroussky besitzt kein besonders kräftiges Stimmorgan, eher ein feines. Deshalb blieb das zehnköpfige Barock-Ensemble Artaserse, das Jaroussky 2002 für die Begleitung seiner Soloauftritte selbst gründete, auch in den langsamen Nummern auf Flüsterkurs. Sehr frei konnte sich da die Stimme des Franzosen über der sanften, farbigen Grundierung entfalten.
Was in den Largo- und Andante-Nummern so leicht und irreal wirkte - etwa in Vivaldis „Nisi Dominus” -, gelang Jaroussky im Allegro furioso der Arie „Armatae face” aus Vivaldis Oratorium „Juditha triumphans” nur mit viel Arbeit. Wenn es musikalisch handfester wird, geraten die Koloraturen unter Druck, dann wird die Anstrengung hörbar, und der Stimme fehlt es an durchdringender Kraft. Als Organ eines wütenden Kindes verliert sie ihre makellose Engelhaftigkeit und ist dann ganz von dieser Welt.
Rezension für die Stuttgarter Nachrichten von heute. Das Konzert fand statt am 13. Juli 2011.

Stuttgart - In den langsamen Sätzen seines Vivaldi-Programms schien die Stimme des französischen Countertenors Philippe Jaroussky von aller irdischen Schwere befreit. Er ließ die hohen Töne so leicht perlen, als seien sie Zitronenfalter, die von Blüte zu Blüte flattern. Dennoch saß jede Note wie eine Eins: genau artikuliert, ohne intonatorische Schlieren, glasklar, hell, zerbrechlich. Zum Beispiel in der Arie „Vedro con mio diletto” aus Vivaldis Oper „Giustino”: Ton an Ton reihte sich in natürlichem Fluss aneinander - als sänge Jaroussky aus dem Stegreif und ganz für sich. Zart und gefühlvoll, fast traumwandlerisch zeichnete er die Verzierungen.
Es ist wohl das kindlich-unschuldige Timbre in den androgynen Farben der Falsettstimme, das die Liebhaber des Männer-Hochgesangs so reizt und das bei dem zierlichen Jaroussky besonders ausgeprägt ist. Und schön, nett und charismatisch ist der 33-Jährige außerdem. Der Hegelsaal der Stuttgarter Liederhalle war am Mittwoch gut gefüllt, und Jarousskys verzückte Fangemeinde spendete am Ende Standing Ovations. Andere fasziniert das Artifizielle dieser heute so beliebten Gesangstechnik - auch wenn sie einen nicht direkt berührt.
Jaroussky besitzt kein besonders kräftiges Stimmorgan, eher ein feines. Deshalb blieb das zehnköpfige Barock-Ensemble Artaserse, das Jaroussky 2002 für die Begleitung seiner Soloauftritte selbst gründete, auch in den langsamen Nummern auf Flüsterkurs. Sehr frei konnte sich da die Stimme des Franzosen über der sanften, farbigen Grundierung entfalten.
Was in den Largo- und Andante-Nummern so leicht und irreal wirkte - etwa in Vivaldis „Nisi Dominus” -, gelang Jaroussky im Allegro furioso der Arie „Armatae face” aus Vivaldis Oratorium „Juditha triumphans” nur mit viel Arbeit. Wenn es musikalisch handfester wird, geraten die Koloraturen unter Druck, dann wird die Anstrengung hörbar, und der Stimme fehlt es an durchdringender Kraft. Als Organ eines wütenden Kindes verliert sie ihre makellose Engelhaftigkeit und ist dann ganz von dieser Welt.
Rezension für die Stuttgarter Nachrichten von heute. Das Konzert fand statt am 13. Juli 2011.
eduarda - 15. Jul, 08:39