Nicht denken, nur fühlen
Musikfest Stuttgart: Eröffnung mit Libor Šímas Melodrama "Ahab" nach Herman Melvilles Roman "Moby Dick" – Dominique Horwitz als grandioser Sprecher
Stuttgart – Das Musikfest Stuttgart, in diesem Jahr den Themenkreis "Wasser" durchwandernd, begann am Samstag mit 90 Minuten aufwühlender Dramatik, die sich inmitten des Meeres wilder Wogen abspielt. Auf dem Programm stand Libor Šímas Melodrama "Ahab" für einen Schauspieler und Orchester von 2010 nach Herman Melvilles berühmtem Walfängerroman "Moby Dick", einer der packendsten Stoffe des 19. Jahrhunderts.
Wer kennt ihn nicht: den zähen, bewundernswerten, weil jeden menschlichen Angriff abwehrenden weißen Wal Moby Dick, der auch den Kampf mit seinem rachsüchtigen Kontrahenten Kapitän Ahab immer wieder gewinnt. Ahab verlor bei der Jagd auf den Meeresgiganten ein Bein und will deshalb nicht ruhen, bis er ihn erlegt hat. Auge um Auge, Zahn um Zahn, heißt es für den Kapitän, "nicht denken, nur fühlen". Mit dieser Einstellung trägt er zurecht den Namen eines verruchten, da vom wahren Glauben abgefallenen Königs aus dem Alten Testament. Seine letzte Schlacht gegen den weißen Pottwal bringt Kapitän Ahab und seiner Mannschaft den Tod.
Im leider nur schwach gefüllten Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle gelang dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart (RSO) unter Leitung von Sebastian Weigle, derzeit Generalmusikdirektor der Frankfurter Oper, und dem tv-prominenten Schauspieler Dominique Horwitz eine spannende und suggestive Schilderung der Ereignisse rund um die Schicksalsfahrt des Walfangschiffs "Pequod". Ohne am Abend auch nur einmal aus dem Atem zu kommen, stürzte sich Horwitz in der Rolle des Erzählers Ismael, dem einzigen Überlebenden dieser Seefahrt, hinein in den dramatischen Sog der Erzählung, die Martin Mühleis aus Handlungselementen und Dialogen des Romans gebaut hat.
Schnell wurde das raue Klima der See im Beethovensaal fühlbar, sah man das Schiff vor dem inneren Auge, wie es durch den Ozean schießt, die Gischt vor sich her treibend. Eindrücklich gelang Horwitz die Darstellung und Differenzierung der unterschiedlichen Charaktere: Er wechselte virtuos zwischen dem draufgängerischen, gewitzten Tonfall des Matrosen Ismael, der gestrengen Logik des Obermaats Starbuck, der grellen Befehlsstimme Ahabs und dem Kauderwelsch des nur äußerlich barbarischen, innerlich sehr weichherzigen Harpuniers Quiqueg.
Libor Šíma, Solofagottist des RSO, als Saxophonist, Komponist und Arrangeur auch im Jazz beheimatet, hat Musik dazu geschrieben, die im weitesten Sinne holywoodeske Filmmusik darstellt: wirkungsvoll, oft wagnerisch wogend, zwischen emsiger Bewegtheit und Stimmungsmusik wechselnd, von gelegentlich bonbonfarbener Harmonik, poppig und rhythmisch inspiriert, tonmalerisch. Streichertremoli in allen Lagen, unbehaglich vibirierende Klangflächen künden von nahem Unheil. Ahabs "königliche Würde einer mächtigen Pein" wird umgesetzt in einem royal-barocken Blechbläserchor. Die Solo-Klarinette spricht von der Sehnsucht des Matrosen nach der See, eruptive, bombastische Tutti-Ausbrüche beschreiben die ungeheure Dramatik des tosendes Meeres oder der brutalen Walfang-Szenerien.
Die Kommunikation zwischen Sprecher und Orchester, das Timing, funktionierte perfekt. Sebastian Weigle setzte das Prinzip des Melodramas, in dem sich die Musik mit den erzählenden Passagen abwechselt oder sie untermalt, mit Weitblick für die Spannungskurve um, fing die Impulse von Horwitz gekonnt auf und gab sie pointiert und präzise an das RSO weiter. Das stürzte sich ebenso engagiert wie der Schauspieler in die effekt- und kraftvollen Handlungsschübe und die farbige Darstellung der magischen See. Ein auf allen Ebenen gelungener Auftakt des Musikfestes!
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 30. September 2011. Das Konzert fand statt am 27. September.
Stuttgart – Das Musikfest Stuttgart, in diesem Jahr den Themenkreis "Wasser" durchwandernd, begann am Samstag mit 90 Minuten aufwühlender Dramatik, die sich inmitten des Meeres wilder Wogen abspielt. Auf dem Programm stand Libor Šímas Melodrama "Ahab" für einen Schauspieler und Orchester von 2010 nach Herman Melvilles berühmtem Walfängerroman "Moby Dick", einer der packendsten Stoffe des 19. Jahrhunderts.
Wer kennt ihn nicht: den zähen, bewundernswerten, weil jeden menschlichen Angriff abwehrenden weißen Wal Moby Dick, der auch den Kampf mit seinem rachsüchtigen Kontrahenten Kapitän Ahab immer wieder gewinnt. Ahab verlor bei der Jagd auf den Meeresgiganten ein Bein und will deshalb nicht ruhen, bis er ihn erlegt hat. Auge um Auge, Zahn um Zahn, heißt es für den Kapitän, "nicht denken, nur fühlen". Mit dieser Einstellung trägt er zurecht den Namen eines verruchten, da vom wahren Glauben abgefallenen Königs aus dem Alten Testament. Seine letzte Schlacht gegen den weißen Pottwal bringt Kapitän Ahab und seiner Mannschaft den Tod.
Im leider nur schwach gefüllten Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle gelang dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart (RSO) unter Leitung von Sebastian Weigle, derzeit Generalmusikdirektor der Frankfurter Oper, und dem tv-prominenten Schauspieler Dominique Horwitz eine spannende und suggestive Schilderung der Ereignisse rund um die Schicksalsfahrt des Walfangschiffs "Pequod". Ohne am Abend auch nur einmal aus dem Atem zu kommen, stürzte sich Horwitz in der Rolle des Erzählers Ismael, dem einzigen Überlebenden dieser Seefahrt, hinein in den dramatischen Sog der Erzählung, die Martin Mühleis aus Handlungselementen und Dialogen des Romans gebaut hat.
Schnell wurde das raue Klima der See im Beethovensaal fühlbar, sah man das Schiff vor dem inneren Auge, wie es durch den Ozean schießt, die Gischt vor sich her treibend. Eindrücklich gelang Horwitz die Darstellung und Differenzierung der unterschiedlichen Charaktere: Er wechselte virtuos zwischen dem draufgängerischen, gewitzten Tonfall des Matrosen Ismael, der gestrengen Logik des Obermaats Starbuck, der grellen Befehlsstimme Ahabs und dem Kauderwelsch des nur äußerlich barbarischen, innerlich sehr weichherzigen Harpuniers Quiqueg.
Libor Šíma, Solofagottist des RSO, als Saxophonist, Komponist und Arrangeur auch im Jazz beheimatet, hat Musik dazu geschrieben, die im weitesten Sinne holywoodeske Filmmusik darstellt: wirkungsvoll, oft wagnerisch wogend, zwischen emsiger Bewegtheit und Stimmungsmusik wechselnd, von gelegentlich bonbonfarbener Harmonik, poppig und rhythmisch inspiriert, tonmalerisch. Streichertremoli in allen Lagen, unbehaglich vibirierende Klangflächen künden von nahem Unheil. Ahabs "königliche Würde einer mächtigen Pein" wird umgesetzt in einem royal-barocken Blechbläserchor. Die Solo-Klarinette spricht von der Sehnsucht des Matrosen nach der See, eruptive, bombastische Tutti-Ausbrüche beschreiben die ungeheure Dramatik des tosendes Meeres oder der brutalen Walfang-Szenerien.
Die Kommunikation zwischen Sprecher und Orchester, das Timing, funktionierte perfekt. Sebastian Weigle setzte das Prinzip des Melodramas, in dem sich die Musik mit den erzählenden Passagen abwechselt oder sie untermalt, mit Weitblick für die Spannungskurve um, fing die Impulse von Horwitz gekonnt auf und gab sie pointiert und präzise an das RSO weiter. Das stürzte sich ebenso engagiert wie der Schauspieler in die effekt- und kraftvollen Handlungsschübe und die farbige Darstellung der magischen See. Ein auf allen Ebenen gelungener Auftakt des Musikfestes!
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 30. September 2011. Das Konzert fand statt am 27. September.
eduarda - 29. Aug, 22:08