Schiff mit Schifferklavier
Musikfest Stuttgart: Anne-Maria Hölscher spielt Klavierwerke Bachs auf dem Akkordeon
Stuttgart - Die Leidensgeschichte des Akkordeons als einem vom Bürgertum verachteten und deshalb von der Kunstmusik ignorierten Instruments ist zwar beendet. Die heutigen Komponisten schätzen seine Klangeigenarten und erweitern mit ihm dankbar die Farbpalette ihres Instrumentariums. Dennoch ist das Akkordeon, gerne auch "Klavier des kleinen Mannes" genannt, noch immer ein Fremder in deutschen Konzertsälen.
Als "Schifferklavier" auch der Welt der Seemänner zugeordnet passt es aber ganz vorzüglich ins Musikfest-Thema. Und im frühmorgendlichen ausverkauften Konzert am Samstag stimmte erneut auch der Ort. Die in Stuttgart vor allem in Neue-Musik-Kreisen bekannte Anne-Maria Hölscher spielte die Bach-Adaptionen für Freibass-Akkordeon im atmosphärisch reizvollen Theaterschiff auf dem Neckar. Und demonstrierte dabei eindrücklich, wie vielfältig das Klangspektrum dieses einst so verkannten Instruments ist, dessen Ton so variabel ist wie die menschliche Stimme, zu grellen, abweisenden Klängen genauso befähigt wie zu melancholischen, warmen.
Dass Bachs Französische Suite Nr. 3 eigentlich für Klavier geschrieben ist, vergaß man deshalb sofort: Die Kontrapunktik, mit der Bach den alten Tänzen Kunstcharakter verlieh, trat durch die speziellen Vorteile des Akkordeons, etwa die dynamische Formbarkeit des einzelnen Tones, viel praller und lebendiger zu Tage. Die aerophone Klangerzeugung durch Metallzungen lässt Dissonanzen zudem schärfer wirken, was Hölscher durch recht freie Tempogestaltung besonders auszukosten schien. So geriet besonders die vierstimmige H-moll-Largo-Fuge aus dem Wohltemperierten Klavier I zu einer emotional durchleuchteten Klangstudie, in der sich Hölschers profunde Virtuosität und Musikalität besonders entfalten konnte. So sehnsüchtig, so individuell reflektiert, wird man Bach auf der Orgel oder auf dem Klavier wohl nie hören.
Rezension für die Stuttgarter Nachrichten von heute. Das Konzert fand statt am 3. September.
Stuttgart - Die Leidensgeschichte des Akkordeons als einem vom Bürgertum verachteten und deshalb von der Kunstmusik ignorierten Instruments ist zwar beendet. Die heutigen Komponisten schätzen seine Klangeigenarten und erweitern mit ihm dankbar die Farbpalette ihres Instrumentariums. Dennoch ist das Akkordeon, gerne auch "Klavier des kleinen Mannes" genannt, noch immer ein Fremder in deutschen Konzertsälen.
Als "Schifferklavier" auch der Welt der Seemänner zugeordnet passt es aber ganz vorzüglich ins Musikfest-Thema. Und im frühmorgendlichen ausverkauften Konzert am Samstag stimmte erneut auch der Ort. Die in Stuttgart vor allem in Neue-Musik-Kreisen bekannte Anne-Maria Hölscher spielte die Bach-Adaptionen für Freibass-Akkordeon im atmosphärisch reizvollen Theaterschiff auf dem Neckar. Und demonstrierte dabei eindrücklich, wie vielfältig das Klangspektrum dieses einst so verkannten Instruments ist, dessen Ton so variabel ist wie die menschliche Stimme, zu grellen, abweisenden Klängen genauso befähigt wie zu melancholischen, warmen.
Dass Bachs Französische Suite Nr. 3 eigentlich für Klavier geschrieben ist, vergaß man deshalb sofort: Die Kontrapunktik, mit der Bach den alten Tänzen Kunstcharakter verlieh, trat durch die speziellen Vorteile des Akkordeons, etwa die dynamische Formbarkeit des einzelnen Tones, viel praller und lebendiger zu Tage. Die aerophone Klangerzeugung durch Metallzungen lässt Dissonanzen zudem schärfer wirken, was Hölscher durch recht freie Tempogestaltung besonders auszukosten schien. So geriet besonders die vierstimmige H-moll-Largo-Fuge aus dem Wohltemperierten Klavier I zu einer emotional durchleuchteten Klangstudie, in der sich Hölschers profunde Virtuosität und Musikalität besonders entfalten konnte. So sehnsüchtig, so individuell reflektiert, wird man Bach auf der Orgel oder auf dem Klavier wohl nie hören.
Rezension für die Stuttgarter Nachrichten von heute. Das Konzert fand statt am 3. September.
eduarda - 5. Sep, 09:58