Dienstag, 6. September 2011

Wo die Liebe hinfällt

Olivia Trummer Trio beim Musikfest Stuttgart

Stuttgart – Olivia Trummer ist wirklich nett. Der aufsteigende Stern am deutschen Jazz-Himmel ist an diesem Abend im Freien Musikzentrum Feuerbach "ganz arg glücklich", mit ihrem Trio beim Musikfest Stuttgart auftreten zu dürfen. Das Spätkonzert ist zwar nur schwach besucht – Jazz-Fans gehören (noch) nicht zum Stammpublikum der Bachakademie. Aber der guten Laune Trummers schadet das nicht. Die zierliche 26-Jährige versprüht augenaufschlagenden Charme à la Audrey Hepburn, und ihre Texte wirken so verträumt wie die eines Teenagers. Entsprechend heißt das Konzert so wie ihre demnächst erscheinende CD: "Poesie-Album".

Die Pianistin, Sängerin und Komponistin trägt selbstgeschriebene und -getextete Songs vor, die von der Liebe, von der Welt an sich und einem Waschbären handeln. Vielem darin kann man nicht widersprechen: Etwa "Ohne Biene keinen Honig in den Tee". Nicht jeder mag ja schließlich Kunsthonig. Oder "Ohne Herbst kein Winter, kein Frühling und kein Sommer", oder so ähnlich. Oder "Wo die Liebe hinfällt, da soll sie gedeihn". Trummer singt das mit ihrer Jungmädchen-Stimme schön, ihre Scat-Gesänge – improvisierte Vokalisen – sind rein und hoch. Aber Worten wie "Wir werden in einem Meer ohne Wasser untergehen" würden ein paar kleine Einrauungen nicht schlecht stehen. Ihre Stimme ist halt wie ein blauer Himmel ohne Wolken, wie die Texte, von denen sie singt. Ihre Popsongs werden durch die vagierende Jazzharmonik interessant. Ihr Klavierspiel, mit dem sie sich begleitet, ist fein, farbig, oft witzig verziert. In den anschließenden Improvisationsteilen, in die ihre Lieder jazzgemäß münden, wird die Welt zwar nicht neu erfunden. Aber es faszinierte das verwobene, pointierte, inspirierte Miteinander des Trios. Martin Gjakonovski am Kontrabass sorgte für eine sich in die zerbrechliche Klangwelt Trummers sensibel einfühlende groovige Grundierung. Ebenso feinfühlig formte der ausgezeichnete, auch mit Glöckchen und Regenmacher arbeitende Perkussionist Bodek Janke fein ziselierte Klänge.

Bezüge zum Festivalthema stellte Trummer immer wieder her. Vor dem Konzert hörte man Wasserplätschern aus den Lautsprechern. Im Konzert gab es für das Publikum ein musikalisches Wortspiel zum Thema Bach und Wasser zu lösen, wobei Trummer ihre ausgezeichnete Beherrschung des barock-präludierenden Stils demonstrieren konnte.

Dass Trummer dann den Urheber jenes Kinderbuches nicht nennen konnte, aus dem sie für ihren Song "Rascal, der Waschbär" geklaut hatte, und dies mit dem Verweis "Das können Sie dann ja googlen" abtat, gehört dagegen in die Rubrik peinliche Ereignisse in Konzerten.

Die Bonbons, die der Waschbär in der Geschichte verschmäht, warf Trummer dann am Ende kokett ins Publikum. Sie ist eben total nett. Und wenn einem das nicht irgendwann mal auf die Nerven geht, kann man solche Abende auch uneingeschränkt genießen.

Rezension für die Eßlinger Zeitung von heute. Das Konzert fand statt am 5. September.

48 Saiten für ein Hallelujah

Die 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker beim Musikfest Stuttgart

Stuttgart – In Claude Debussys "Versunkener Kathedrale", dem Bezugspunkt ihres Auftritts zum Musikfest-Thema "Wasser", kamen die besonderen Klangmöglichkeiten der 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker an diesem Abend im ausverkauften Mozartsaal der Liederhalle vielleicht am besten zur Geltung: In dieser Adaption von Debussys impressionistischem Klavierstück offenbarte sich die Varianz an Farben, mit der sich ein sinfonisches Universum allein durch Violoncelli überraschenderweise aufbauen lässt, am eindrücklichsten. Celli unterscheiden sich anscheinend im Klangcharakter untereinander stärker als Violinen, Kontrabässe oder Bratschen.

Zuvor hatte sich in vier ausgewählten Kontrapunkten aus Johann Sebastian Bachs "Kunst der Fuge" allerdings die Schwierigkeit für Cellisten, in den oberen Lagen homogen und rein zusammenzuspielen, zu deutlich gezeigt. Ein ziemlich schräges Ständchen für den Hausgott der Bachakademie hörte man, das noch einige Proben gut vertragen hätte. Barocke Polyphonie ist aber auch nicht das Repertoire, mit dem die 12 Cellisten gewöhnlich in Erscheinung treten. Sie frönen eher dem 20. Jahrhundert: So klappte es mit einem anderen Ständchen, "Aubade", das der Komponist Jean Français dem Ensemble einst auf den Leib geschrieben hat, schon viel besser: Etwa im finalen Presto, das von der Geräuschkulisse eines Autorennens inspiriert ist.

Leidenschaftlich bewegt widmete sich das Ensemble auch Jazzigem wie Duke Ellingtons "Caravan", Spirituals wie "Deep river" und vor allem dem französischen Chanson. Keine Frage: Melodienseligkeit und der beschwingte Rhythmus des Musette-Walzers, wie sie etwa in Hubert Girauds "Sous le ciel de Paris" zur Entfaltung kommen, oder Effekte wie das in diesem Falle absichtliche Unreinspielen zwecks Imitation einer verstimmten alten Drehorgel wie in Vincent Scottos "Sous les ponts de Paris" liegen den Berlinern. Mitreißend gelangen auch die Ausflüge in die Filmmusik, etwa Ennio Morricones besonders effektvoll arrangiertes "Spiel mir das Lied vom Tod" als Zugabe. Erstaunlich, wie perfekt sich das gedehnte, unheilvoll und geisterhaft säuselnde Mundharmonikasolo des Soundtracks in die Klangwelt des Cello-Orchesters übertragen lässt. Ein Meisterwerk des Arrangements – leider wurde der Urheber nicht genannt.

Auf dem vielseitigen Programm der eingespielten Truppe stand aber auch Neue Musik: Mit Kaija Saariahos "Neiges" (Schnee) zeichnete sie streichend, zupfend, klopfend feine Klangbilder: starre, flächige, knirschende und blau-kalte Gebilde, die einem Assoziationen an Eisblumen und Eiszapfen fast zwangsweise in den Sinn brachten.

So effektvoll und unterhaltend das Programm ohne Zweifel war, mit dem die 12 Cellisten ihr Publikum schon bald in der Tasche hatten, das am Ende frenetisch jubelnd drei Zugaben einforderte – bewundernswert erscheint vor allem eines: dass sich ein Orchester eine so derart vielseitige und virtuose Cellistengruppe in dieser Größenordnung leisten kann. Was für ein Luxus!

Rezension für die Eßlinger Zeitung von heute. Das Konzert fand statt am 5. September.

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