Tränen der Natur
Ökologische, ökonomische und spirituelle Aspekte des Wassers: Der chinesische Komponist Tan Dun ist Composer in Residence des Musikfestes Stuttgart

Stuttgart - "That's interesting!" sind die Worte, die man am häufigsten aus seinem Munde hört, wenn Tan Dun offen, freundlich und immer mit einem leichten Lächeln auf dem Gesicht Auskunft gibt über seine Musik und seine Ansichten. Der chinesische Komponist ist in diesem Jahr "Artist in Residence" des Musikfestes Stuttgart. Und das nicht zufällig. Kein anderer Komponist hat sich derart ausgiebig mit den Klangeigenschaften des Wassers beschäftigt und sie so oft zum Einsatz gebracht wie er. Und seine "Water Passion" nach dem Matthäus-Evangelium – ein Auftragswerk der Bachakademie für das große Passionen-Projekt vor elf Jahren – gab letztlich auch den Anstoß für das diesjährige Musikfestthema "Wasser". Sie ist das zentrale Werk und wird das Festival am 18. September beenden. Darüber hinaus erklingen acht weitere Werke Tan Duns in unterschiedlichen Konzerten, und er wird in zwei Musikfest-Cafés Rede und Antwort stehen.
An die Uraufführung seiner "Water Passion" im Jahr 2000, in dem Tan Dun auch einen Oscar für die Filmmusik zu Ang Lees Kampfkunst-Drama "Crouching Tiger, hidden Dragon" erhielt, kann sich der 54-Jährige noch sehr genau erinnern. "Buddha Bach" habe eine Zeitung damals getitelt, was sein Werk gar nicht so schlecht treffe, erzählt er lachend. Denn Tan Dun ist ein Grenzgänger zwischen asiatischer und europäischer Musikkultur, ist von der Klang-Welt des alten Chinas, der chinesischen Oper, genauso geprägt, wie von der europäischen Kunstmusik und ihrer Avantgarde sowie ihrer Orchester- und Chorkultur. Er steht aber auch der Computermusik und der Elektronik offen gegenüber. Die "Komplexität" der europäischen Kunstmusik, ihr Hang zur Chromatik und Kontrapunktik, scheint ihn allerdings noch immer zu befremden. "Warum so komplex wie bei Mahler, wenn es auch einfacher geht?", fragt er. Seine Musik sei "very simple", für Musiker einfach zu spielen. In der asiatischen Kultur seien die Farbe des Klangs, die Melodie, der Rhythmus und die Aktion wichtig, vor allem der spirituelle Aspekt.
"Interessant" findet Tan Dun alles, über das er spricht: New York, wo er seit den 1980er Jahren lebt, die Möglichkeiten des Internets – Aufsehen erregte etwa 2008 seine von Google in Auftrag gegebene erste Internetsinfonie –, interessant sei auch die Arbeit mit den Stuttgarter Philharmonikern, mit denen er heute sein "Water Concerto" und sein "Paper Concerto" aufführen wird. Gerade kommt er von einer Probe, ist begeistert, wie viel Spaß die Orchestermusiker bei der Arbeit hatte und wie interessant es war, mit ihnen über die Unterschiede zwischen asiatischer und europäischer Musik zu diskutieren. Etwa über das Spielen zweier nacheinander erklingender Töne, die in seinem Stück zu einem werden. Er untermalt seine Worte mit einer bogenförmigen Handbewegung, zischt dabei laut, um zu demonstrieren, wie das im Sinne der Wasserbewegung gemeint ist: aus zwei Tönen werde einer.
Tan Duns Markenzeichen ist zweifelsohne der Einsatz von "organischen" Instrumenten. Neben traditionellen asiatischen Instrumenten und der klassisch-modernen europäischen Orchesterbesetzung verwendet er mit Vorliebe Klangkörper aus Naturmaterialien wie Ton, Papier, Bambus, vor allem aber Wasser. Das wird meist in Gestalt von Wasserschlagzeugen zum Sprechen gebracht: in blau illuminierten großen Glasschüsseln, in denen die Perkussionisten nach genauen Vorgaben mit den Händen herumplantschen oder in das sie andere Schlaginstrumente eintauchen, um sie dort zu bearbeiten.
Tan Dun schwärmt vom globalen Aspekt des Wassers, das alle Fragen zusammenbringe, ob industrielle, ökologische oder spirituelle. Wasser, das seien die "Tränen der Natur". Was besonders deutlich werde, wenn er in seinen Konzerten nicht wie in Stuttgart sauberes Trinkwasser gebrauche, sondern braunes, brackiges aus verschmutzten Flüssen – wie neulich in Shanghai.
Porträt für die Eßlinger Zeitung von heute.

Stuttgart - "That's interesting!" sind die Worte, die man am häufigsten aus seinem Munde hört, wenn Tan Dun offen, freundlich und immer mit einem leichten Lächeln auf dem Gesicht Auskunft gibt über seine Musik und seine Ansichten. Der chinesische Komponist ist in diesem Jahr "Artist in Residence" des Musikfestes Stuttgart. Und das nicht zufällig. Kein anderer Komponist hat sich derart ausgiebig mit den Klangeigenschaften des Wassers beschäftigt und sie so oft zum Einsatz gebracht wie er. Und seine "Water Passion" nach dem Matthäus-Evangelium – ein Auftragswerk der Bachakademie für das große Passionen-Projekt vor elf Jahren – gab letztlich auch den Anstoß für das diesjährige Musikfestthema "Wasser". Sie ist das zentrale Werk und wird das Festival am 18. September beenden. Darüber hinaus erklingen acht weitere Werke Tan Duns in unterschiedlichen Konzerten, und er wird in zwei Musikfest-Cafés Rede und Antwort stehen.
An die Uraufführung seiner "Water Passion" im Jahr 2000, in dem Tan Dun auch einen Oscar für die Filmmusik zu Ang Lees Kampfkunst-Drama "Crouching Tiger, hidden Dragon" erhielt, kann sich der 54-Jährige noch sehr genau erinnern. "Buddha Bach" habe eine Zeitung damals getitelt, was sein Werk gar nicht so schlecht treffe, erzählt er lachend. Denn Tan Dun ist ein Grenzgänger zwischen asiatischer und europäischer Musikkultur, ist von der Klang-Welt des alten Chinas, der chinesischen Oper, genauso geprägt, wie von der europäischen Kunstmusik und ihrer Avantgarde sowie ihrer Orchester- und Chorkultur. Er steht aber auch der Computermusik und der Elektronik offen gegenüber. Die "Komplexität" der europäischen Kunstmusik, ihr Hang zur Chromatik und Kontrapunktik, scheint ihn allerdings noch immer zu befremden. "Warum so komplex wie bei Mahler, wenn es auch einfacher geht?", fragt er. Seine Musik sei "very simple", für Musiker einfach zu spielen. In der asiatischen Kultur seien die Farbe des Klangs, die Melodie, der Rhythmus und die Aktion wichtig, vor allem der spirituelle Aspekt.
"Interessant" findet Tan Dun alles, über das er spricht: New York, wo er seit den 1980er Jahren lebt, die Möglichkeiten des Internets – Aufsehen erregte etwa 2008 seine von Google in Auftrag gegebene erste Internetsinfonie –, interessant sei auch die Arbeit mit den Stuttgarter Philharmonikern, mit denen er heute sein "Water Concerto" und sein "Paper Concerto" aufführen wird. Gerade kommt er von einer Probe, ist begeistert, wie viel Spaß die Orchestermusiker bei der Arbeit hatte und wie interessant es war, mit ihnen über die Unterschiede zwischen asiatischer und europäischer Musik zu diskutieren. Etwa über das Spielen zweier nacheinander erklingender Töne, die in seinem Stück zu einem werden. Er untermalt seine Worte mit einer bogenförmigen Handbewegung, zischt dabei laut, um zu demonstrieren, wie das im Sinne der Wasserbewegung gemeint ist: aus zwei Tönen werde einer.
Tan Duns Markenzeichen ist zweifelsohne der Einsatz von "organischen" Instrumenten. Neben traditionellen asiatischen Instrumenten und der klassisch-modernen europäischen Orchesterbesetzung verwendet er mit Vorliebe Klangkörper aus Naturmaterialien wie Ton, Papier, Bambus, vor allem aber Wasser. Das wird meist in Gestalt von Wasserschlagzeugen zum Sprechen gebracht: in blau illuminierten großen Glasschüsseln, in denen die Perkussionisten nach genauen Vorgaben mit den Händen herumplantschen oder in das sie andere Schlaginstrumente eintauchen, um sie dort zu bearbeiten.
Tan Dun schwärmt vom globalen Aspekt des Wassers, das alle Fragen zusammenbringe, ob industrielle, ökologische oder spirituelle. Wasser, das seien die "Tränen der Natur". Was besonders deutlich werde, wenn er in seinen Konzerten nicht wie in Stuttgart sauberes Trinkwasser gebrauche, sondern braunes, brackiges aus verschmutzten Flüssen – wie neulich in Shanghai.
Porträt für die Eßlinger Zeitung von heute.
eduarda - 10. Sep, 21:21