Montag, 12. September 2011

Königliche Popmusik

Musikfest Stuttgart: Das Barockensemble Zefiro mit Wassermusiken von Händel und Telemann

Stuttgart - Das italienische Barockensemble Zefiro, benannt nach dem griechischen Gott der Westwinde, trägt seinen Namen zu Recht: So viel Energie und Kraft versprühten die 23 Musiker am Freitagabend im ausverkauften Weißen Saal im Neuen Schloss, dass das Publikum sofort hineingerissen wurde in den Strudel quirliger, wirbelnder, zuweilen furios ratternder Tanz-Rhythmen, plastisch und emotional durchgeformter festlicher Polyphonie, sattem Melos und farbig und sensibel ausgestalteter Kontraste. Auf dem Programm standen Händels drei Wassermusiken, die bei einem Festival zum Thema Wasser natürlich nicht fehlen dürfen. Und Zefiro, das auf historischen Instrumenten spielt, interpretierte die königliche Popmusik so lebendig und frisch, dass man ganz vergaß, wie oft man sie schon gehört hat und dass sie aus dem 18. Jahrhundert stammte.

Es muss ja ein ziemliches Spektakel gewesen sein, was da auf der Themse vor sich ging, als sich der junge Händel seinerzeit in London mit seiner "Water Music" das royale Ohr Georges I. geneigt machte. Massen von Menschen beobachteten vom Ufer aus den königlichen Kahn, während er auf der Themse hin und her schipperte, im Schlepptau ein Boot voller Musiker, das mit neuer, hitverdächtiger Musik für Unterhaltung sorgte. Diese quirlige Atmosphäre ließ Zefiro unter der Leitung des Oboisten und Ensemblegründers Alfredo Bernardini im Weißen Saal aufleuchten. Und wenn auch Händel mit den drei Suiten keine Programmmusik geschrieben hat, Zefiro gestaltete die untereinander kontrastierenden Sätze besonders in ihren Stimmungen so subtil aus, dass man in einem sirrenden-flirrenden Allegro plötzlich glaubte, jenen Mückenschwarm zu hören, der die Musiker der Uraufführung garantiert nicht nur einmal attackiert hat. Nicht nur die differenzierte dynamische Formung des musikalischen Flusses macht diese Truppe einzigartig.

So versetzte auch die Suite "Hamburger Ebb' und Fluth" des großen Tonmalers Telemann das Publikum in Verzückung. Hier sorgte nun die plastische musikalische Darstellung überschäumender Wellen, wilder Seestürme, mythischer Meeresgestalten und betrunkener Matrosen für einen besonders vitalen Beitrag zum Festivalthema.

Rezension für die Stuttgarter Nachrichten von heute. Das Konzert fand statt am 9. September.

Späte Märchenstunde

Musikfest Stuttgart: Andersens "Kleine Meerjungfrau" mit Corinna Harfouch und Hideyo Harada im Wilhelma-Theater

Corinna Harfouch (Bachakademie)

Stuttgart - Ein Happy End, wie es später Walt Disney für sie bereithielt, gönnte Hans Christian Andersen seiner "Kleinen Meerjungfrau" nicht. Er ließ sie ganz im Sinne der Romantik sterben, sich am Ende zu Meeresschaum auflösen. Immerhin erfüllte er ihr noch einen Wunsch: Wenn sie schon von ihrem geliebten Prinzen, für den sie jedes nur erdenkliche Opfer auf sich genommen hat, verraten wurde, soll sie wenigstens die "unsterbliche Seele" erhalten, die sie sich so sehnlich gewünscht hat. Dafür muss sie aber erst noch 300 Jahre als Luftgeist ackern und Gutes tun. Dann erst darf sie hinein in "Gottes Reich". Arme Meerjungfrau!

Beim Musikfest gab es Andersens romantische Deutung des Undine-Mythos am Samstag als späte Märchenstunde für Erwachsene im ausverkauften Wilhelma-Theater. Die Schauspielerin Corinna Harfouch erzählte das furchtbare Schicksal des geheimnisvollen Wasserwesens mit Empathie und sicherem Gefühl für knisternde Spannung, aber auch für den feinen Witz, den Andersen immer wieder aufscheinen lässt, etwa wenn es um die fantastische Beschreibung des väterlichen Meeresschlosses oder die Standesdünkel der Meerfrauen-Großmutter geht oder ihre Beschreibung der menschlichen Welt, wo "die Blumen duften und die Fische (= Vögel) so wunderbar singen". Einfühlsam brachte Harfouch die zärtliche Naivität der pubertären Nixe zum Ausdruck und ihre unstillbare Sehnsucht nach der anderen Welt, ließ ihre Trauer über die Tatsache fühlbar werden, dass der Prinz fälschlicherweise eine andere Frau für seine Retterin aus den Meeresfluten hält. Fühlen konnte man auch jene albtraumartige Stimmung, in der die Meerjungfrau, zur Stummheit verurteilt, unfähig ist, den Prinzen über die wahren Begebenheiten in Kenntnis zu setzen. Ihre Zunge hatte sie der geschäftstüchtigen Meereshexe überlassen müssen, die sie dafür von ihrem Fischschwanz befreite und ihr menschliche Gliedmaßen gab.

Harfouchs sprachliche Musikalität verband sich atmosphärisch perfekt mit den trefflich ausgewählten lyrischen Klavierminiaturen von Edvard Grieg, mit der die Pianistin Hideyo Harada klangfarbenreich das Innenleben der Meerfrau aquarellierte, ja, ihr durch ihr Spiel jene Seele gab, die sie im Märchen so sehr vermisst. In "Traumgesicht" trat die Sehnsucht zutage, in "Zug der Trolle" die Angst vor der Hexe oder in "Entschwundene Tage" die Todesangst. Wunderbar, wie Harfouch die Stimmung der Klavierstücke inhalierte und sie in den nächsten Abschnitt der Lesung überführte. Eine zauberhafte Traum-Atmosphäre entstand so im Wilhelma-Theater, aus der man am Ende nur mit Mühe wieder erwachte.

Rezension für die Stuttgarter Nachrichten und die Eßlinger Zeitung von heute. Die Lesung fand statt am 10. September.

EDUARDAS UNIVERSUM

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