Mittwoch, 14. September 2011

Gesang melancholischer Wassergeister

Musikfest Stuttgart: Die Neuen Vocalsolisten singen Sciarrino-Madrigale im Wasserbehälter Stuttgart-Rohr

Singen im Schutzanzug: Die Neuen Vocalsolisten lassen Salvatore Sciarrinos Madrigale im Ewigkeitshall des unterirdischen Bassins vibrieren. (Foto: Bachakademie/Schneider)

Stuttgart - Das ist ein wirklich spektakulärer Ort für Konzerte, und das diesjährige Musikfest-Thema "Wasser" wurde hier tatsächlich auch körperlich fühlbar: im Wasserspeicher Stuttgart-Rohr, dem größten der 29 Hochbehälter, die die Landeshauptstadt mit Bodensee-Wasser versorgen. 100 000 Kubikmeter Fassungsvermögen hat er. Von hier fließt das gesammelte kühle Nass im freien Gefälle in die umliegenden Gebiete, um dort Badewannen und Trinkgläser zu füllen. Fürs Konzert war in einem der großen Bassins für einige Zeit der Nachfluss gestoppt worden, so dass man jetzt hinuntersteigen konnte in die finstere Tiefe, um trockenen Fußes dem grandiosen A-cappella-Gesang der sieben Neuen Vocalsolisten Stuttgart zu lauschen.

Feuchte Kälte kroch langsam in die Glieder. Man fühlte sich ein wenig wie in der hallenartigen Kulisse eines Science-Ficton-Films, der von den geheimen Riten der Bewohner eines fremden Planeten erzählt: In der Mitte kreisförmig positioniert das Ensemble in blauen Schutzanzügen, drumherum standen zwischen schlank aufragenden Säulen die Zuschauer in weißen Vlieskitteln und mit Überschuhen – aus Hygienegründen. Licht erhielt der Raum nur über die wirkungsvollen, blau-rot-orangenen Beleuchtungsspiele, für die sich der Kooperationspartner, die Bodensee-Wasserversorgung, verantwortlich zeigte.

Aufgeführt wurden die zwölf Madrigale des 1947 geborenen italienischen Komponisten Salvatore Sciarrino, geschrieben 2008 auf Haikus des japanischen Dichters Matsuo Bash, die um die Themen Nacht, Wasser und Natur kreisen. Hervorragend kamen die Vocalsolisten mit der geheimnisvollen und sehr schwierigen Akustik des einsamen Ortes zurecht. Der Klang erfährt in diesem hochwandigen Becken, in dem sonst zehntausende von Kubikmetern Wasser stehen, einen fast endlos erscheinenden Nachhall. Der unterstrich nun die Sinnlichkeit der fragilen, vibrierenden und fein gezeichneten Klangwelt Sciarrinos, die sonst auch gewisse Kargheiten aufweist, weil von Stille und Schweigen durchsetzt. Hier aber gab es den wirklich lautlosen Augenblick nie. Stille äußerte sich ausschließlich im sehr langsamen Sichverflüchtigen der Töne. Das waren die faszinierendsten Momente an diesem musikalisch erstklassigen Abend: wenn die Vocalsolisten ihr Stück beendet hatten und schwiegen und alle dem eigenartigen Nachhall hinterherhörten, als wär's der Gesang melancholischer Wassergeister.

Aber auch sonst passte die Musik wegen ihrer oft weich-plätschernden Klanglichkeit, an- und abschwellenden Dynamik und schwebenden Polyphonie, ihres Klangfarbenreichtums und ihrer rhythmischen Finessen, aber auch wegen ihrer murmelnden, heulenden und lachenden Artikulationen so trefflich an diesen Ort, dass man dachte, sie sei für ihn geschrieben.

Dass das Konzert am Ende eher ein Event war denn ein musikalisches Ereignis, dem man kontemplativ folgen konnte, lag an der Aufforderung der Veranstalter an das Auditorium, sich während der Aufführung im Raum zu bewegen. Das taten die Zuhörenden dann auch im angeordneten Storchengang, um bloß keinen Mucks von sich zu geben. Nur klappte das nicht bei allen. Und so erwiesen sich die Schlurfgeräusche – neben Fotoapparatklicken und -blitzen – schon bald als unüberhörbarer Störfaktor.

Rezension für die Eßlinger Zeitung von heute. Das Konzert fand statt am 12. September.

Rosaroter Musicalkitsch

Musikfest Stuttgart: "Orchester der Kulturen" mit Eichendorff-Vertonungen

Stuttgart - Manche Konzerte scheitern schon daran, dass sie am falschen Ort zur falschen Zeit stattfinden und dann auch noch eine Art Mogelpackung darstellen. Beim Montags-Spätkonzert "Hydrokulturen" des Musikfests war aber genau das der Fall. So manch einer hatte das wohl geahnt. Nur 60 bis 70 Nachteulen fanden sich im Weißen Saal des Neuen Schlosses ein, um dem Orchester der Kulturen unter Leitung seines Gründers Adrian Werum zuzuhören. Und davon verließen einige schon nach nur wenigen Minuten den Saal. Grund: Angekündigt waren "Sinfonische Dichtungen" und "Orchesterlieder" nach Texten Joseph von Eichendorffs, komponiert von Werum. Was dann erklang, waren aber vor allem unterdurchschnittliche, langweilende Musicalgesangsnummern, denen es mangels Geschmack, Stil und Inspiration in Sachen Textvertonung an unfreiwilliger Komik nicht fehlte. Schier endlos reihte sich etwa eine nach der anderen Strophe eines der "Schiffer"-Gedichte Eichendorffs musikalisch öde aneinander.

Ins Mikrofon sang eine junge Dame namens Michaela Kovarikova im musicaltypischen, technisch wenig geschliffenen Belting-Stil, der dafür jedes Wort ungemein theatralisiert. Einfach krass unpassend ist es, Verse wie "Dann in des blauen Mittags schwülen Schatten" in rosarotem Musicalkitsch aufzuschäumen. Angekündigt war zudem: ein "Orchester aus Musikern aller Länder, die auf ihren landestypischen Instrumenten spielen", während in Wirklichkeit der größte Teil klassische Orchesterinstrumente traktierte – lediglich ergänzt durch Sitar, Didgeridoo und afrikanische Kora, die aber alle drei wegen des offenbar noch nicht fertig gestellten Arrangements nicht wirklich integriert wurden und so den Gesamtklang eher störten, als das sie ihn bereichert hätten.

Rezension für die Eßlinger Zeitung von heute. Das Konzert fand statt am 12. September.

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