Dienstag, 20. September 2011

Alles fließt

Musikfest Stuttgart: Schlusskonzert im Beethovensaal mit Tan Duns "Water Passion" - Die Leidensgeschichte Jesu geht in Naturmystik über

Wasser ist Licht: Taufe und Passion verschwimmen bei Tan Dun zum naturhaften Erlösungsmysterium. (Foto: Internationale Bachakademie/Schneider)

Stuttgart – Probleme, wie sie der gute alte Händel hatte, als er im "Messias" aus Angst vor den kirchlichen Würdenträgern den Namen des Gottessohnes so gut wie vermied, weil das Oratorium doch im Theater aufgeführt wurde, wo es seinerzeit noch nicht hingehörte, sind heute zumindest hierzulande unbekannt. Jesu Leidensgeschichte wird gelegentlich sogar vertanzt. Was die Weltoffenheit der Religionen und die Toleranz Andersdenkenden gegenüber angeht, ist aber auch hier noch einiges zu tun.

Vor allem deshalb war das Auftragswerk, das die Internationale Bachakademie im Jahr 2000 im Rahmen ihres Passionen-Projektes an den Komponisten Tan Dun aus China vergab, interessant. Wie würde ein Musiker aus dem buddhistisch geprägten Fernen Osten, beeinflusst freilich auch durch sein Leben in den USA, mit der durch Bach musikalisch dominierten Passionsgeschichte nach Matthäus verfahren?

Tan Duns Antwort war seine "Water Passion". Und die setzte nun bei ihrer Wiederaufführung im gut gefüllten Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle den krönenden und umjubelten Schlusspunkt des Musikfests. Schließlich ist in kaum einem anderen Werk das diesjährige Musikfest-Thema - das Element Wasser und seine Klangeigenschaften - so wortwörtlich im Mittelpunkt. Wie schon bei der Uraufführung dirigierte Tan Dun selbst die Gächinger Kantorei und die sechs Instrumental- und zwei Gesangssolisten.

Der Umgang mit dem Element Wasser macht die Hauptattraktion dieses Werkes aus, das in seiner Vertonung der Leidensgeschichte Jesu eher an die Leichtigkeit chinesischen Schattentheaters erinnert als an die europäische schwergewichtige Oratorientradition. Die Klangwelt ist fein, oft still, entspannt, sie setzt vor allem nicht auf Überwältigung, nicht einmal dann, wenn Paukendonner und Blechgetöse das Erdbeben markieren, das die Menschen nach dem Tode Jesu heimsucht. Distanziert blickt der Komponist auf das Geschehen – ob Taufritus, das letzte Abendmahl oder die Ereignisse im Garten Gethsemane. Ein Orchester gibt es nicht. Solo-Geige und -Cello scheinen vom Klang der zarten Erhu - eines chinesischen Streichinstruments - inspiriert. Die Aufgabe des Chores ist vor allem – ganz im Stile der griechischen Tragödie – zu kommentieren, oft in ritushaften Wiederholungsgesängen und einstimmig. Die Gächinger – gut vorbereitet von Stefan Weiler – machten ihre Sache ganz hervorragend, auch das Glöckchenläuten und das Steineklopfen. Mit gut geerdeter und warmer Bassstimme sang Stephen Bryant den Jesus, Sopran Claudia Barainsky überzeugte vor allem in der Rolle des verführerischen Satan.

Was an diesem Werk berührt, ist weniger das Leiden Jesu, als vielmehr die zerbrechliche und geheimnisvolle Klangwelt des Wassers, die Stimme der Natur, die einen mystischen Gegenpol darstellt zu den dramatischen Ereignissen. Das macht die eigenartige Faszination der "Water Passion" aus und lässt all die Showelemente hinter sich, die Tan Dun, hier sehr US-amerikanisch geprägt, zum Einsatz bringt: illuminierte Wasserschalen, die sich auf der Bühne zu einem großen Kreuz formieren, die blau-roten-Lichtspiele, die symbolisch Wasser und Blut zusammenbringen, die drei schönen Perkussionistinnen, die perfekt aufeinander eingespielt, aber eben auch sehr effektvoll-demonstrativ das Nass in den erleuchteten Glasschüsseln mit den Händen zum Tröpfeln und Plätschern bringen, mit Bechern die Wasseroberfläche bearbeiten oder Perkussionsinstrumente eintauchen. Alles natürlich elektronisch verstärkt. Es sind immer wieder die einsamen Klänge des Wassers, die aufhorchen lassen und die am Ende das Werk auch zum Verklingen bringen. Panta rhei, alles fließt: Auch das Leiden Jesu ist eben nur Teil eines Ganzen.

Rezension für die Eßlinger Zeitung von heute. Das Konzert fand statt am 18. September.

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