Ödipus und die Riesenkrake
Am Wilhelma-Theater spielen Schauspielstudenten eine skurrile Farce von Arthur Kopit
Stuttgart – In Woody Allans Kurzfilm "Ödipus ratlos" geschieht dem Anwalt Sheldon Mills ungeheuer Peinliches: Beim Einkaufen gerät er auf der Straße in einen Menschenauflauf, der angeregt mit seiner Mutter plaudert: Die thront überdimensional am Himmel über New York und erzählt den Leuten unten intime Details aus dem Leben ihres Sohnes: Er sei Bettnässer gewesen.
Nicht weniger peinlich ist die Lebenssituation Jonathan Rosepettles, der Hauptperson in Arthur Kopits Farce "O Vater, armer Vater, Mutter hängt dich in den Schrank, und ich bin ganz krank", die jetzt am Wilhelma-Theater mit Schauspielstudenten der Stuttgarter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Premiere hatte – als Ausgrabung eines amerikanischen Erfolgsstück aus den 1960er-Jahren, das heute nahezu vergessen ist. Letzteres vermutlich nicht ganz ohne Grund: Die Verballhornung des seinerzeit populären Absurden Theaters ist heute nicht mehr per se witzig, und die Erkenntnisse der Psychoanalyse werden durch drastische Übertreibung allzu platt auf die Schippe genommen.
Der Plot: Jonathan wird von seiner exzentrischen Über-Mutter brutal von der Außenwelt abgeschirmt, darf auf den diversen gemeinsamen Reisen das Hotelzimmer nicht verlassen. Es könnte ihm ja irgendetwas passieren. Er schlägt die Zeit tot, in dem er die fleischfressenden Pflanzen und den Lieblingspiranha der Mutter füttert. Mamas Liebling befreit sich erst am Ende aus den auch in sexuellen Fragen übergriffigen Fängen seiner Mutter, nachdem er entdeckt hat, dass im sorgsam verriegelten Schrankkoffer stets auch der Vater mitreist: abgemurkst und dann ausgestopft von der Mutter.
Außerdem ist da noch die fesche Rosalie (Henrike Hahn), die Jonathan nachstellt, von der Mutter äußerst misstrauisch beäugt wird und sich unter ihrem Befehl einem lächerlichen Kochwettbewerb unterziehen muss. Am Ende ballert Jonathan um sich und singt abschließend playback "Mutter, sei nicht traurig" von Freddy Quinn.
Nach einem starken, im besten Sinne absurd-surrealen Beginn – Jonathan in leuchtfarbener Rettungsweste bringt drei Männer mit froschgrünem Bart und in Holzgaloschen nur durch Handzeichen zu Gleichschritt und Gleichklang (zuständig für die fantastischen Kostüme: Jennifer Thiel) – verheddert sich die Inszenierung von Marc Lunghuß bald in eindimensional schriller und lauter Übertreibung, bisweilen in unerträglicher Phonstärke. Madame Rosepettle ist dreifach besetzt – wahrscheinlich und unnötigerweise, um die mütterliche Dominanz noch deutlicher zu machen. Eine eher undankbare Aufgabe für die Schauspielstudentinnen Stephanie Biesolt, Shari Crosson und Nora Quest, die vor allem eines tun müssen: Kreischen, was das Zeug hält.
Und totzukriegen ist keine der Mütter: Sie werden zwar gelegentlich erschossen, stehen aber immer wieder auf. Nachdem Madame Rosepettle drohte, das Trinkgeld herunterzusetzen, versuchen das auch die drei Hotelpagen alias Benjamin Janssen, Maik Rogge und Yasin Elharrouk, die zudem den dreifachen Kurzzeitliebhaber der Mutter oder bedrohliche Kuckucksuhren mimen dürfen. Sie spielen mit anarchischer Lust am Slapstick, donnern den Schrank gegen die Sperrholzwand (Bühne: Tobias Schunck), hüpfen akrobatisch als Piranha durch die Gegend oder winden sich im Innern der auf vegetarische Ernährung weitgehend verzichtenden Riesentopfgewächse. Für subtile Komik ist aber kaum Platz an diesem Abend. Es wird hysterisch gebrüllt, zerdeppert, gehauen.
Nur Jonathan Hutter, der als Jonathan Rosepettle einerseits Harry-Potter-Charme versprüht, andererseits aber auch die verklemmten, linkisch-kindischen Facetten seiner Rolle trefflich zur Geltung bringt, sind feinere, nicht plaktiv-comichafte Nuancen vergönnt. Ob stotternd, trottelig in Liebesdingen, unbeholfen im Kampf gegen die mütterliche Gummi-Luft-Riesen-Krake: Er macht diese Produktion sehenswert macht.
Weitere Vorstellungen: 20., 21., 22., 27., 28. Oktober und 3., 4., 5., 11., 12. November, jeweils 20 Uhr, 13. November um 19 Uhr.
Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 18.10. Die Premiere fand statt am 14.10.
Stuttgart – In Woody Allans Kurzfilm "Ödipus ratlos" geschieht dem Anwalt Sheldon Mills ungeheuer Peinliches: Beim Einkaufen gerät er auf der Straße in einen Menschenauflauf, der angeregt mit seiner Mutter plaudert: Die thront überdimensional am Himmel über New York und erzählt den Leuten unten intime Details aus dem Leben ihres Sohnes: Er sei Bettnässer gewesen.
Nicht weniger peinlich ist die Lebenssituation Jonathan Rosepettles, der Hauptperson in Arthur Kopits Farce "O Vater, armer Vater, Mutter hängt dich in den Schrank, und ich bin ganz krank", die jetzt am Wilhelma-Theater mit Schauspielstudenten der Stuttgarter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Premiere hatte – als Ausgrabung eines amerikanischen Erfolgsstück aus den 1960er-Jahren, das heute nahezu vergessen ist. Letzteres vermutlich nicht ganz ohne Grund: Die Verballhornung des seinerzeit populären Absurden Theaters ist heute nicht mehr per se witzig, und die Erkenntnisse der Psychoanalyse werden durch drastische Übertreibung allzu platt auf die Schippe genommen.
Der Plot: Jonathan wird von seiner exzentrischen Über-Mutter brutal von der Außenwelt abgeschirmt, darf auf den diversen gemeinsamen Reisen das Hotelzimmer nicht verlassen. Es könnte ihm ja irgendetwas passieren. Er schlägt die Zeit tot, in dem er die fleischfressenden Pflanzen und den Lieblingspiranha der Mutter füttert. Mamas Liebling befreit sich erst am Ende aus den auch in sexuellen Fragen übergriffigen Fängen seiner Mutter, nachdem er entdeckt hat, dass im sorgsam verriegelten Schrankkoffer stets auch der Vater mitreist: abgemurkst und dann ausgestopft von der Mutter.
Außerdem ist da noch die fesche Rosalie (Henrike Hahn), die Jonathan nachstellt, von der Mutter äußerst misstrauisch beäugt wird und sich unter ihrem Befehl einem lächerlichen Kochwettbewerb unterziehen muss. Am Ende ballert Jonathan um sich und singt abschließend playback "Mutter, sei nicht traurig" von Freddy Quinn.
Nach einem starken, im besten Sinne absurd-surrealen Beginn – Jonathan in leuchtfarbener Rettungsweste bringt drei Männer mit froschgrünem Bart und in Holzgaloschen nur durch Handzeichen zu Gleichschritt und Gleichklang (zuständig für die fantastischen Kostüme: Jennifer Thiel) – verheddert sich die Inszenierung von Marc Lunghuß bald in eindimensional schriller und lauter Übertreibung, bisweilen in unerträglicher Phonstärke. Madame Rosepettle ist dreifach besetzt – wahrscheinlich und unnötigerweise, um die mütterliche Dominanz noch deutlicher zu machen. Eine eher undankbare Aufgabe für die Schauspielstudentinnen Stephanie Biesolt, Shari Crosson und Nora Quest, die vor allem eines tun müssen: Kreischen, was das Zeug hält.
Und totzukriegen ist keine der Mütter: Sie werden zwar gelegentlich erschossen, stehen aber immer wieder auf. Nachdem Madame Rosepettle drohte, das Trinkgeld herunterzusetzen, versuchen das auch die drei Hotelpagen alias Benjamin Janssen, Maik Rogge und Yasin Elharrouk, die zudem den dreifachen Kurzzeitliebhaber der Mutter oder bedrohliche Kuckucksuhren mimen dürfen. Sie spielen mit anarchischer Lust am Slapstick, donnern den Schrank gegen die Sperrholzwand (Bühne: Tobias Schunck), hüpfen akrobatisch als Piranha durch die Gegend oder winden sich im Innern der auf vegetarische Ernährung weitgehend verzichtenden Riesentopfgewächse. Für subtile Komik ist aber kaum Platz an diesem Abend. Es wird hysterisch gebrüllt, zerdeppert, gehauen.
Nur Jonathan Hutter, der als Jonathan Rosepettle einerseits Harry-Potter-Charme versprüht, andererseits aber auch die verklemmten, linkisch-kindischen Facetten seiner Rolle trefflich zur Geltung bringt, sind feinere, nicht plaktiv-comichafte Nuancen vergönnt. Ob stotternd, trottelig in Liebesdingen, unbeholfen im Kampf gegen die mütterliche Gummi-Luft-Riesen-Krake: Er macht diese Produktion sehenswert macht.
Weitere Vorstellungen: 20., 21., 22., 27., 28. Oktober und 3., 4., 5., 11., 12. November, jeweils 20 Uhr, 13. November um 19 Uhr.
Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 18.10. Die Premiere fand statt am 14.10.
eduarda - 16. Okt, 10:08