Ungefährliche Liebschaften
"Madame Bovary" als Bühnenadaption am Stuttgarter Staatstheater
Stuttgart – Schon wieder ein weltberühmter Roman auf der Bühne. Diesmal Gustave Flauberts "Madame Bovary". Ein Skandalroman, der den Autor 1856 wegen "Verherrlichung des Ehebruchs" vor Gericht brachte. Auf der Bühne der "Box" in der Türlenstraße, der Interimsspielstätte des Stuttgarter Staatstheaters, hockt Emma Bovary auf einem weißen Dreisitzersofa zwischen Ikea-Regalen und greller Blumentapete, zappt durch TV-Schnulzen und schluchzt laut: "Ach, ist das traurig". Es ist die zweite Premiere. Die erste fand kürzlich in Berlin statt, als Kooperation der Produktionsfirma des Regisseurs Christian Weise mit dem Berliner Ballhaus Ost.
Christian Weise, der zusammen mit Daniela Dröscher auch Texter der Bühnenadaption ist, hat dieses "Sittenbild aus der Provinz", wie Flaubert seinen Roman nannte, recht frei in unsere Zeit übertragen. Epische Breite schnurrt zusammen auf pointengespicktes Sitcom-Niveau. Nur Bruchstücke des Originaltextes sind wiederzuerkennen.
"Provinz" ist nun nicht Dorf, sondern das hypothekenbelastete Eigenheim einer Reihenhaussiedlung (Bühne: Constanze Kümmel). Weise unterzieht Emma einer gewissen Proletarisierung. Bei Flaubert ist sie eine aus reichem Hause stammende schöngeistige, gebildete Dame, die sich von ihrer Heirat mit dem Landarzt Bovary gesellschaftlichen Aufstieg und ein aufregendes Leben erhofft, aber stattdessen die gähnende Langweile auf dem Land bekommt. Bei Weise wird sie zur Groschenroman verschlingenden, tv-süchtigen Sofakartoffel, ausgeliefert ihren unbestimmten Gefühlen und unkontrolliert in ihrem Tun. Inga Busch, in rosa Miniröckchen, Strickjäckchen und roten Pumps (Kostüme: Andy Besuch), spielt das brillant: diese zwischen Rührseligkeit und Sehnsucht, Kotzanfällen und Cholerik, Depression und Geilheit hin- und hergeworfene Frustrierte: die mal ihren Ehemann zusammenscheißt, mal gefährlich aggressiv ihren Säugling ins Körbchen schleudert und mit nervender Penetranz fast jedem männlichen Besucher an die Wäsche geht.
Die Personage drumherum wird zur Karikatur: Der Ehemann (Alexander Maria Schmidt) ist ein tumbes, trotteliges Muttersöhnchen, einer der blind ist vor Liebe und weder die Affären noch die Verschwendungssucht seiner Frau erkennen will. Gleich drei I-Phones bringt die DHL. Das befreundete Apothekerehepaar Homais mutiert zum spießigen Ökopärchen: Er (Cornelius Schwalm) der langhaarige Gründer eines Geburtshauses namens "Ringelblume", sie (Verena Unbehaun) dauerschwanger und in den Fängen ihres quäkenden Babyphones – ein Hieb dieser Berliner Produktion gegen die Prenzlberg-Schickeria.
Emma Bovarys Sehnsüchte finden in ihren banalen Affären – Quickis auf der Sonnenbank oder hinterm Sofas – keine Befriedigung. Weder die mit dem Nachbarn Leon (Johannes Benecke), einem verklemmten Jurastudenten in beigen Bügelfaltenhosen, der sich später zum coolen Yogi-Mann wandelt, noch jene mit dem schönen Latino-Popstar Rodolphe (Sebastian Arranz) aus dem Fernsehen, der plötzlich beim Doktor auftaucht wegen Burnout. Der "Chicachicalinda" singt und so furchtbar "unglücklich" ist und dagegen Tabletten nehmen muss. Der in der verliebten Emma nur einen schönen Zeitvertreib sieht. Seine Gesangseinlagen sind fetzig (Musik: Jens Dohle), Arranz hat Charisma und kann sexy die Hüften schwingen. Seine Songs kommen allerdings ein wenig inflationär zum Einsatz. Auch wenn sie gelegentlich die eigentlichen Botschaften der Inszenierung verkünden: "Du brauchst keinen Background, du brauchst auch kein Projekt, du brauchst nur ein Macbook – la dolce vita ist geleckt."
Nötig hat die Theaterwelt diese boulevardisierende Adaption von Weltliteratur nicht, die ihr nichts an die Seite stellt als zwei unterhaltsame, mitreißend gespielte Stunden. Boulevard freilich mit einem bösen Ende: Auch bei Weise bringt sich Emma am Ende um. Ihre Verschwendungssucht hat die Kleinfamilie in den Ruin gestürzt. Und schließlich ist der Tod ja "keine große Sache", wie Emma final feststellt. "Will noch einer ein Schlückchen Cassis?", fragt die Mutter des Doktors die Trauergemeinde am Schluss. Achja, die Mutter. Eine witzige Kopie der Sophia aus der TV-Serie "Golden Girls". Catherine Stoyan, eine grandiose Komödiantin, bringt die Brüller des Abends: Wenn sie versucht, den Kinderwagen durch die zu schmale Haustür zu stemmen oder wenn sie torkelnd die gut ausgestattete Hausbar verlässt oder sarkastische Pointen setzt. Es sollte Männer- und Frauenplaneten geben, frotzelt sie. "Einmal im Jahr trifft man sich, es wird gevögelt und damit hat's sich."
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 7.11. Die Premiere fand statt am 5.11.
Stuttgart – Schon wieder ein weltberühmter Roman auf der Bühne. Diesmal Gustave Flauberts "Madame Bovary". Ein Skandalroman, der den Autor 1856 wegen "Verherrlichung des Ehebruchs" vor Gericht brachte. Auf der Bühne der "Box" in der Türlenstraße, der Interimsspielstätte des Stuttgarter Staatstheaters, hockt Emma Bovary auf einem weißen Dreisitzersofa zwischen Ikea-Regalen und greller Blumentapete, zappt durch TV-Schnulzen und schluchzt laut: "Ach, ist das traurig". Es ist die zweite Premiere. Die erste fand kürzlich in Berlin statt, als Kooperation der Produktionsfirma des Regisseurs Christian Weise mit dem Berliner Ballhaus Ost.
Christian Weise, der zusammen mit Daniela Dröscher auch Texter der Bühnenadaption ist, hat dieses "Sittenbild aus der Provinz", wie Flaubert seinen Roman nannte, recht frei in unsere Zeit übertragen. Epische Breite schnurrt zusammen auf pointengespicktes Sitcom-Niveau. Nur Bruchstücke des Originaltextes sind wiederzuerkennen.
"Provinz" ist nun nicht Dorf, sondern das hypothekenbelastete Eigenheim einer Reihenhaussiedlung (Bühne: Constanze Kümmel). Weise unterzieht Emma einer gewissen Proletarisierung. Bei Flaubert ist sie eine aus reichem Hause stammende schöngeistige, gebildete Dame, die sich von ihrer Heirat mit dem Landarzt Bovary gesellschaftlichen Aufstieg und ein aufregendes Leben erhofft, aber stattdessen die gähnende Langweile auf dem Land bekommt. Bei Weise wird sie zur Groschenroman verschlingenden, tv-süchtigen Sofakartoffel, ausgeliefert ihren unbestimmten Gefühlen und unkontrolliert in ihrem Tun. Inga Busch, in rosa Miniröckchen, Strickjäckchen und roten Pumps (Kostüme: Andy Besuch), spielt das brillant: diese zwischen Rührseligkeit und Sehnsucht, Kotzanfällen und Cholerik, Depression und Geilheit hin- und hergeworfene Frustrierte: die mal ihren Ehemann zusammenscheißt, mal gefährlich aggressiv ihren Säugling ins Körbchen schleudert und mit nervender Penetranz fast jedem männlichen Besucher an die Wäsche geht.
Die Personage drumherum wird zur Karikatur: Der Ehemann (Alexander Maria Schmidt) ist ein tumbes, trotteliges Muttersöhnchen, einer der blind ist vor Liebe und weder die Affären noch die Verschwendungssucht seiner Frau erkennen will. Gleich drei I-Phones bringt die DHL. Das befreundete Apothekerehepaar Homais mutiert zum spießigen Ökopärchen: Er (Cornelius Schwalm) der langhaarige Gründer eines Geburtshauses namens "Ringelblume", sie (Verena Unbehaun) dauerschwanger und in den Fängen ihres quäkenden Babyphones – ein Hieb dieser Berliner Produktion gegen die Prenzlberg-Schickeria.
Emma Bovarys Sehnsüchte finden in ihren banalen Affären – Quickis auf der Sonnenbank oder hinterm Sofas – keine Befriedigung. Weder die mit dem Nachbarn Leon (Johannes Benecke), einem verklemmten Jurastudenten in beigen Bügelfaltenhosen, der sich später zum coolen Yogi-Mann wandelt, noch jene mit dem schönen Latino-Popstar Rodolphe (Sebastian Arranz) aus dem Fernsehen, der plötzlich beim Doktor auftaucht wegen Burnout. Der "Chicachicalinda" singt und so furchtbar "unglücklich" ist und dagegen Tabletten nehmen muss. Der in der verliebten Emma nur einen schönen Zeitvertreib sieht. Seine Gesangseinlagen sind fetzig (Musik: Jens Dohle), Arranz hat Charisma und kann sexy die Hüften schwingen. Seine Songs kommen allerdings ein wenig inflationär zum Einsatz. Auch wenn sie gelegentlich die eigentlichen Botschaften der Inszenierung verkünden: "Du brauchst keinen Background, du brauchst auch kein Projekt, du brauchst nur ein Macbook – la dolce vita ist geleckt."
Nötig hat die Theaterwelt diese boulevardisierende Adaption von Weltliteratur nicht, die ihr nichts an die Seite stellt als zwei unterhaltsame, mitreißend gespielte Stunden. Boulevard freilich mit einem bösen Ende: Auch bei Weise bringt sich Emma am Ende um. Ihre Verschwendungssucht hat die Kleinfamilie in den Ruin gestürzt. Und schließlich ist der Tod ja "keine große Sache", wie Emma final feststellt. "Will noch einer ein Schlückchen Cassis?", fragt die Mutter des Doktors die Trauergemeinde am Schluss. Achja, die Mutter. Eine witzige Kopie der Sophia aus der TV-Serie "Golden Girls". Catherine Stoyan, eine grandiose Komödiantin, bringt die Brüller des Abends: Wenn sie versucht, den Kinderwagen durch die zu schmale Haustür zu stemmen oder wenn sie torkelnd die gut ausgestattete Hausbar verlässt oder sarkastische Pointen setzt. Es sollte Männer- und Frauenplaneten geben, frotzelt sie. "Einmal im Jahr trifft man sich, es wird gevögelt und damit hat's sich."
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 7.11. Die Premiere fand statt am 5.11.
eduarda - 8. Nov, 15:52