Mittwoch, 23. November 2011

Wie warmer Sommerregen

Die Prager Kammerphilharmonie trifft in Stuttgart auf Marimba und Trompete

Stuttgart - Bachs berühmtes „Air“: gespielt von einer Marimba und einer Trompete? Man kann sich das eigentlich kaum vorstellen, aber im Konzert des Prager Kammerorchesters in der Leitung von Matthias Kuhn im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle setzten die beiden Solisten des Abends mit der Zugabe dieses barocken Evergreens ein berührendes Highlight. So innig und gefühlvoll übersetzte Katarzyny Myccka den ursprünglichen Streichersatz mit seinen imitierenden Stimmen und dem gleichmäßig pochenden Bass auf ihr Instrument und in seine dunkel und warm tröpfelnde Klangwelt, so sanft und sensibel brachte Gábor Boldoczki seine Trompete zum Singen, dass atemlose Stille herrschte im ansonsten ziemlich verhüstelten Beethovensaal.

Boldoczki hatte an diesem Abend sein Können schon in einer Bearbeitung des Bach‘schen A-Dur-Cembalokonzertes für moderne Trompete demonstriert. Fröhlich und entspannt hüpften die Töne durch die Register, geschliffen und glasklar sprudelten die schnellen Läufe - ein Anachronismus freilich, war die Barocktrompete doch vor allem im Schmettern von Fanfaren gut, weil ihr noch die Ventile fehlten und so Tonleitern nur in der hohen Lage spielbar waren. Neben dem eher lapidaren Virtuosenzauber in den Außensätzen offenbarte Boldoczki dann vor allem im langsamen Mittelsatz seine außergewöhnlichen Qualitäten: in einem wunderbaren, tief beseelten, traurigen Gesang, der ebenso ein Tonfall ist, den erst das 20. Jahrhundert für die Trompete entdeckt hat.

Die exotische Stimme der Marimba, eines großen afrikanischen Xylophon-Instruments, dessen Holzklangstäbe verantwortlich sind für einen dunklen, vollen Sound, durchzog dann den Saal wie ein warmer Sommerregen. In zwei Kompositionen neuesten Datums - beides auf die Marimba zugeschnittene Schmankerl, die auch gut als Filmmusik funktionieren würden - präsentierte Katarzyny Mycka ihr Instrument als einen Garanten für vielfältigste Klangfarben und Schattierungen. In Emmanuel Séjournés Konzert für Marimba und Streichorchester entlockte sie der Holzstab-Klaviatur - mit zwei mal zwei Schlegeln bewaffnet - sprudelnde Kaskaden und sonores Melos, melancholischen Tangoschimmer und gläserne Zerbrechlichkeit. In Anna Ignatowicz-Glinskas Doppelkonzert für Marimba, Trompete und Streicher kam im Zusammenspiel mit Boldoczki vor allem ihre perkussive Brillanz zur Entfaltung.

Mitreißend gelang dann der Prager Kammerphilharmonie, die bis dahin nur wenig gefordert worden war, Dvoráks Streicherserenade. Transparent im Zusammenspiel, fein gezeichnet in den Einzelstimmen und mit liebevoller Akribie in der Detailausarbeitung machten sie wirklich jede kompositorische Raffinesse hörbar, die ihr genialer Landsmann dieser Suite aus expressiv-berührenden und quirlig-tänzerischen Sätzen einst angedeihen ließ.

Viel Applaus gab es am Ende für ein Konzert, dem man entspannt und glücklich hatte lauschen können, weil auf der Bühne so hervorragende Musiker in Aktion gewesen waren.

Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 23.11. Das Konzert fand statt am 21.11.

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