Freitag, 23. Dezember 2011

Ist so kalt der Winter

Inspirierte Harmonie: Die argentinische Cellistin Sol Gabetta und die Cappella Gabetta im Stuttgarter Beethovensaal

Stuttgart - Da klapperten einem beinahe die Zähne: So klirrend kalt und scharfkantig, wie ihn die Cappella Gabetta spielte, hat man den Beginn von Vivaldis „Winter“ aus den „Vier Jahreszeiten“ wohl noch nie gehört. Und auch nicht so extrem leise beginnend und dann bedrohlich immer wieder an- und abschwellend, dass einem eisiger Wind vom Podium entgegen zu blasen schien.

Klangexperimente gab es viele zu hören an diesem Abend im gut gefüllten Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle, an dem sich die Cellistin Sol Gabetta gemeinsam mit dem nur 14-köpfigen Alte-Musik-Ensemble Virtuosenmusik und Concerti grossi italienischer Barockmeister widmete.

Vivaldis „Winter“ klang frisch und aufregend, keine Spur von trägem Ohrwurmdasein. Nicht nur, weil es exzellent und fantasiereich musiziert war, sondern sicher auch, weil es eine Bearbeitung für Cello war, die das Original für Violine kräftig eindunkelte.

Originalwerke für Cello gab es aber natürlich auch zu hören, darunter eine Rarität: ein Konzert von Giovanni Benedetto Platti, das sich vor allem durch eine gezähmtere Virtuosität von denen Vivaldis unterschied. Kurios die Anmerkung im Programmheft, es handele sich hier um die „Welterstaufführung in der Neuzeit“, als gehöre Platti, geboren 1697, noch dem Mittelalter an.

Vor allem aber in zwei Cellokonzerten Vivaldis bewies Sol Gabetta, dass sie, die Vielseitige, auch dem Barock überraschende Klangergebnisse entlocken kann: Faszinierend, wie sich die 30-Jährige mit wild fliegender Mähne und Barockbogen durch rasende Läufe arbeitete und sie mit einem derart trockenen Staccato-Sound versah, dass diese mehr perkussiv-geräuschhaft zu Gehör kamen denn als eine Kette unterschiedlicher Töne. Kein Schönklang-Barock, aber ein äußerst elektrifizierender. Im Kontrast zu den extrovertierten Experimenten in den Außensätzen gestaltete die schöne Argentinierin die langsamen Mittelsätze als völlig verinnerlichte Meditationen - und das mit einer geradezu improvisatorisch anmutenden Tempofreiheit.

Die Cappella Gabetta, die von Sols Bruder Andrés als Konzermeister geleitet wird, ging die agogischen Freiheiten geschmeidig und flexibel mit und bewies dann auch „solistisch“ ihre besondere Klasse. Dass dieses Ensemble erst im letzten Jahr gegründet wurde, mag man gar nicht glauben, so inspiriert und kommunikativ ist das Zusammenspiel der Musiker. Nicht nur Corellis Concerto grosso „Fatto per la notte di natale“ bezauberte und erwärmte durch delikat herausgearbeitete harmonische Farbspiele, durch eine emotional durchgeformte Mehrstimmigkeit und Dynamik, die mit Extremen zu überraschen weiß, die oft genug den kaum hörbaren Bereich berühren. Man würde das Konzert gerne noch einmal in einer akustisch angemesseneren Umgebung als dem Beethovensaal hören, der für diese kleine Besetzung sowie für Barockbögen, Cembalo und Gitarre viel zu groß ist.

Rezension für die Eßlinger Zeitung und die Stuttgarter Nachrichten vom 23.12.2011. Das Konzert war am 21.12.

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