Zu deftig und geheimnislos
City of Birmingham Symphony Orchestra mit dem Pianisten Rudolf Buchbinder in der Stuttgarter Liederhalle
Stuttgart – Dynamische Agilität und Transparenz im Zusammenspiel scheint nicht die Spezialität des City of Birmingham Symphony Orchestra (BSO) zu sein. Zumindest im Meisterkonzert im Stuttgarter Beethovensaal baute der groß besetzte britische Klangkörper in der Leitung ihres Musikdirektors Andris Nelsons eher auf einen fetten, süffigen Streichersound, eine überdimensionale Bassgrundierung und auf eine kräftig-grelle Blechbläserfraktion. Dass bei einer solchen Klangästhetik so manch eine Feinheit im sinfonischen Nervensystem untergeht, dass die Farbauffächerung grob bleibt und überhaupt der Gesamtklang eher monochrom wirkt, offenbarte sich schon zu Beginn des Konzerts in Benjamin Brittens „Meeres-Zwischenspielen“ aus der Oper „Peter Grimes“. Diese vier Klanggemälde leben von ihrer kontrastierenden Atmosphäre, die das BSO eigentlich nur im Getöse des „Sturm“-Finales wirklich traf. Laut und volltönend können die Briten spielen – keine Frage. Aber den Sätzen „Dämmerung“ und „Mondlicht“ tat das nicht gut. Zu deftig, konkret und geheimnislos geriet hier die Stimmung, und es fehlte genauso wie im „Sonntagmorgen“ deutlich an Klangfarbendifferenzierung.
Auch in der Zusammenarbeit mit dem Pianisten Rudolf Buchbinder änderte sich das zunächst noch nicht. Im ersten Satz von Beethovens viertem Klavierkonzert gelang es Andris Nelsons nicht, für eine perfekte Balance zwischen Flügel und Orchester-Klangmasse zu sorgen. Etliche Feinheiten, die Buchbinder filigran herausarbeitete, gingen im dickflüssigen Streichersaft unter. Erst der Zwang zur Kommunikation, den der Mittelsatz einfordert, ließ das BSO endlich einmal leise spielen. Wunderbar entwickelte sich jetzt das merkwürdig fremdelnde Gegeneinander von Orchester und Solist, das diesen Satz zu dem vielleicht ungewöhnlichsten im Oeuvre Beethovens macht: Die Streicher spielen unisono kräftige, drohend punktierte Staccatofiguren, der Pianist reagiert darauf mit melancholisch-kantabel dahinfließenden Akkorden und bringt damit das Orchester mehr und mehr zum Schweigen. Lyrischer, entrückter und sanfter als Buchbinder kann man diesen Part gar nicht spielen. Wunderbar! Ebenso sein witzig-spritziger und brillanter Zugriff im unbeschwerten Rondofinale, in dem die Kommunikation mit dem Orchester jetzt glänzend gelang.
Leider hatte dieses Intermezzo keine Folgen für den Rest des Abends. Nach der Pause frönte das Orchester wieder seiner Ästhetik der dynamisch und farblich viel zu wenig differenzierten Dauerbeschallung. Jean Sibelius’ spätromantische Zweite Sinfonie kleidete Andris Nelsons in Wagner-Bombast, was die im Werk latent vorhandene Brüchigkeit zukleisterte. Sibelius’ zerklüftete Seelenlandschaft mit ihren Gegensätzen von ungeduldiger Infragestellung, euphorischer Klangschönheit und brodelnder Unruhe und das sich beständig feinnervig wandelnde motivische Material ersoffen in der Klangmasse, in der ein unangenehmer Gast es sich mehr und mehr gemütlich machte: jene Sorte von Pathos, die jegliche innere Dramatik zur Schicksalssinfonik degradiert.
Kritik für die Eßlinger Zeitung vom 21. März 2012. Das Konzert fand statt am 19. März.
Stuttgart – Dynamische Agilität und Transparenz im Zusammenspiel scheint nicht die Spezialität des City of Birmingham Symphony Orchestra (BSO) zu sein. Zumindest im Meisterkonzert im Stuttgarter Beethovensaal baute der groß besetzte britische Klangkörper in der Leitung ihres Musikdirektors Andris Nelsons eher auf einen fetten, süffigen Streichersound, eine überdimensionale Bassgrundierung und auf eine kräftig-grelle Blechbläserfraktion. Dass bei einer solchen Klangästhetik so manch eine Feinheit im sinfonischen Nervensystem untergeht, dass die Farbauffächerung grob bleibt und überhaupt der Gesamtklang eher monochrom wirkt, offenbarte sich schon zu Beginn des Konzerts in Benjamin Brittens „Meeres-Zwischenspielen“ aus der Oper „Peter Grimes“. Diese vier Klanggemälde leben von ihrer kontrastierenden Atmosphäre, die das BSO eigentlich nur im Getöse des „Sturm“-Finales wirklich traf. Laut und volltönend können die Briten spielen – keine Frage. Aber den Sätzen „Dämmerung“ und „Mondlicht“ tat das nicht gut. Zu deftig, konkret und geheimnislos geriet hier die Stimmung, und es fehlte genauso wie im „Sonntagmorgen“ deutlich an Klangfarbendifferenzierung.
Auch in der Zusammenarbeit mit dem Pianisten Rudolf Buchbinder änderte sich das zunächst noch nicht. Im ersten Satz von Beethovens viertem Klavierkonzert gelang es Andris Nelsons nicht, für eine perfekte Balance zwischen Flügel und Orchester-Klangmasse zu sorgen. Etliche Feinheiten, die Buchbinder filigran herausarbeitete, gingen im dickflüssigen Streichersaft unter. Erst der Zwang zur Kommunikation, den der Mittelsatz einfordert, ließ das BSO endlich einmal leise spielen. Wunderbar entwickelte sich jetzt das merkwürdig fremdelnde Gegeneinander von Orchester und Solist, das diesen Satz zu dem vielleicht ungewöhnlichsten im Oeuvre Beethovens macht: Die Streicher spielen unisono kräftige, drohend punktierte Staccatofiguren, der Pianist reagiert darauf mit melancholisch-kantabel dahinfließenden Akkorden und bringt damit das Orchester mehr und mehr zum Schweigen. Lyrischer, entrückter und sanfter als Buchbinder kann man diesen Part gar nicht spielen. Wunderbar! Ebenso sein witzig-spritziger und brillanter Zugriff im unbeschwerten Rondofinale, in dem die Kommunikation mit dem Orchester jetzt glänzend gelang.
Leider hatte dieses Intermezzo keine Folgen für den Rest des Abends. Nach der Pause frönte das Orchester wieder seiner Ästhetik der dynamisch und farblich viel zu wenig differenzierten Dauerbeschallung. Jean Sibelius’ spätromantische Zweite Sinfonie kleidete Andris Nelsons in Wagner-Bombast, was die im Werk latent vorhandene Brüchigkeit zukleisterte. Sibelius’ zerklüftete Seelenlandschaft mit ihren Gegensätzen von ungeduldiger Infragestellung, euphorischer Klangschönheit und brodelnder Unruhe und das sich beständig feinnervig wandelnde motivische Material ersoffen in der Klangmasse, in der ein unangenehmer Gast es sich mehr und mehr gemütlich machte: jene Sorte von Pathos, die jegliche innere Dramatik zur Schicksalssinfonik degradiert.
Kritik für die Eßlinger Zeitung vom 21. März 2012. Das Konzert fand statt am 19. März.
eduarda - 22. Mär, 19:38