Weltreich auf Basis der Kokosnuss
Der Schriftsteller Christian Kracht liest im Stuttgarter Literaturhaus aus seinem Roman „Imperium“
Stuttgart - Keine Diskussion zum Skandal um seine vermeintlich rassistische Weltsicht, „nur“ eine Lesung gab es jetzt beim Auftritt des Schriftstellers Christian Kracht im ausverkauften Stuttgarter Literaturhaus. Kracht las die ersten drei Kapitel seines kürzlich erschienenen vierten Romans „Imperium“, auf dessen Grundlage Spiegel-Autor Georg Diez den Schriftsteller im letzten Februar zum „Türsteher der rechten Gedanken“ degradiert hatte. Kracht selbst war zunächst schwer beleidigt und versicherte, dass er sich außerstande sehe, für Lesungen nach Deutschland zu kommen. Sein Gram ist jetzt aber offenbar verflogen. Schließlich haben die meisten deutschen Feuilletons Diez’ Vorwürfe als nicht haltbar eingestuft.
Prolog des Verlegers
Auch wenn der 45-jährige Schweizer, der sich seit seinem 1998 erschienenen Erstlingsroman „Faserland“ zum Fürsten der deutschen Popliteratur hochgearbeitet hat, in Stuttgart selbst nicht Stellung nahm zur prekären Angelegenheit, schickte er dennoch zu Beginn des Abends seinen Verleger Helge Malchow von Kiepenheuer & Witsch vor, der ordentlich gegen den Spiegel-Autor stichelte: Der habe aus „niedrigen Motiven“ gehandelt - aus welchen, wurde freilich nicht beleuchtet -, keineswegs habe Diez mit seinem Artikel eine „Literaturdebatte“ angestoßen und keineswegs handele es sich bei „Imperium“ um einen „umstrittenen“ Roman, wie man es häufig lese, sondern vor allem um eines: ein „sprachliches Kunstwerk“.
Aber dieser Worte hätte es gar nicht bedurft, um Kracht zu entlasten. Schon nach wenigen Sätzen offenbarte sich die gediegene ironische Distanz, mit welcher der Autor seinen (Anti)-„Helden“ auf seinem skurrilen Lebensweg begleitet. Als Vorlage diente Kracht die wahre Geschichte des 1875 in Nürnberg geborenen August Engelhardt, der als 27-Jähriger dem wilhelminischen Deutschland den Rücken Richtung Südsee kehrte und sich in Deutsch-Guinea eine kleine Insel namens Kabakon kaufte. Der Nudist, Vegetarier und Lebensreformer ernährte sich nun nur noch von Kokosnüssen, die er für göttlich hielt und die ihm als Grundlage seiner neuen Heilslehre namens „Kokovorismus“ dienten. Er versammelte zeitweise eine Gemeinschaft Gleichgesinnter um sich, starb aber 1919 einsam, krank und verrückt geworden.
Unter dem hellen Firmament
Wer beim Lesen von Krachts Kolonialroman den Fehler macht, Autor und Erzähler mit dem Bewusstsein der Figuren und ihrem Jargon zu verwechseln, kann schnell fündig werden an zweifelhaften Gedankengängen, die sich auch Begriffen wie „Negermädchen“ und „Kanakenkinder“ bedienen. Wer die Ironie heraushört, weiß bald, dass selbst der Titel „Imperium“ ein Witz ist, meint er doch Engelhardts „fruktivorisches“ Weltreich auf Basis der Kokosnuss.
„Unter den langen weißen Wolken, unter der prächtigen Sonne, unter dem hellen Firmament“, liest Kracht mit sanfter, sonorer Stimme, das Buch in der rechten Hand, mit der linken meist nervös mit einem Kuli spielend, „da war erst ein langgedehntes Tuten zu hören, dann rief die Schiffsglocke eindringlich zum Mittag, und ein malaysischer Boy schritt sanftfüßig und leise das Oberdeck ab, um jene Passagiere mit behutsamem Schulterdruck aufzuwecken, die gleich nach dem üppigen Frühstück wieder eingeschlafen waren.“ Während des Lesens schaut Kracht gelegentlich über die Lese-Hornbrille hinweg skeptisch ins Publikum. Er liest nicht sehr differenziert, aber verwandelt sinnvoll die verschachtelte Syntax - orientiert am weit ausholenden Erzählstil des 19. Jahrhunderts - in ein klangvoll plätscherndes, einlullendes Auf und Ab.
Das passt gut zum ersten Kapitel, das von Engelhardts Fahrt auf dem Luxusdampfer „Prinz Waldemar“ handelt. Kracht ist intelligent, die Welt kennt er gut - zumindest äußerlich. Virtuose, genaue, oft witzige Beschreibungen, die lupenartig aus Mücken Elefanten machen und Menschen bis auf die „rotgeäderten Nasenflügel“ heranzoomen, können jedoch nicht über die inhaltliche und formale Belanglosigkeit hinwegtäuschen, die Krachts spielerisch arbeitende Sprache produziert. Wer bloße Unterhaltung sucht, dem wird das aber genügen.
Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 20. April. Die Lesung fand statt am 18.April.
Stuttgart - Keine Diskussion zum Skandal um seine vermeintlich rassistische Weltsicht, „nur“ eine Lesung gab es jetzt beim Auftritt des Schriftstellers Christian Kracht im ausverkauften Stuttgarter Literaturhaus. Kracht las die ersten drei Kapitel seines kürzlich erschienenen vierten Romans „Imperium“, auf dessen Grundlage Spiegel-Autor Georg Diez den Schriftsteller im letzten Februar zum „Türsteher der rechten Gedanken“ degradiert hatte. Kracht selbst war zunächst schwer beleidigt und versicherte, dass er sich außerstande sehe, für Lesungen nach Deutschland zu kommen. Sein Gram ist jetzt aber offenbar verflogen. Schließlich haben die meisten deutschen Feuilletons Diez’ Vorwürfe als nicht haltbar eingestuft.
Prolog des Verlegers
Auch wenn der 45-jährige Schweizer, der sich seit seinem 1998 erschienenen Erstlingsroman „Faserland“ zum Fürsten der deutschen Popliteratur hochgearbeitet hat, in Stuttgart selbst nicht Stellung nahm zur prekären Angelegenheit, schickte er dennoch zu Beginn des Abends seinen Verleger Helge Malchow von Kiepenheuer & Witsch vor, der ordentlich gegen den Spiegel-Autor stichelte: Der habe aus „niedrigen Motiven“ gehandelt - aus welchen, wurde freilich nicht beleuchtet -, keineswegs habe Diez mit seinem Artikel eine „Literaturdebatte“ angestoßen und keineswegs handele es sich bei „Imperium“ um einen „umstrittenen“ Roman, wie man es häufig lese, sondern vor allem um eines: ein „sprachliches Kunstwerk“.
Aber dieser Worte hätte es gar nicht bedurft, um Kracht zu entlasten. Schon nach wenigen Sätzen offenbarte sich die gediegene ironische Distanz, mit welcher der Autor seinen (Anti)-„Helden“ auf seinem skurrilen Lebensweg begleitet. Als Vorlage diente Kracht die wahre Geschichte des 1875 in Nürnberg geborenen August Engelhardt, der als 27-Jähriger dem wilhelminischen Deutschland den Rücken Richtung Südsee kehrte und sich in Deutsch-Guinea eine kleine Insel namens Kabakon kaufte. Der Nudist, Vegetarier und Lebensreformer ernährte sich nun nur noch von Kokosnüssen, die er für göttlich hielt und die ihm als Grundlage seiner neuen Heilslehre namens „Kokovorismus“ dienten. Er versammelte zeitweise eine Gemeinschaft Gleichgesinnter um sich, starb aber 1919 einsam, krank und verrückt geworden.
Unter dem hellen Firmament
Wer beim Lesen von Krachts Kolonialroman den Fehler macht, Autor und Erzähler mit dem Bewusstsein der Figuren und ihrem Jargon zu verwechseln, kann schnell fündig werden an zweifelhaften Gedankengängen, die sich auch Begriffen wie „Negermädchen“ und „Kanakenkinder“ bedienen. Wer die Ironie heraushört, weiß bald, dass selbst der Titel „Imperium“ ein Witz ist, meint er doch Engelhardts „fruktivorisches“ Weltreich auf Basis der Kokosnuss.
„Unter den langen weißen Wolken, unter der prächtigen Sonne, unter dem hellen Firmament“, liest Kracht mit sanfter, sonorer Stimme, das Buch in der rechten Hand, mit der linken meist nervös mit einem Kuli spielend, „da war erst ein langgedehntes Tuten zu hören, dann rief die Schiffsglocke eindringlich zum Mittag, und ein malaysischer Boy schritt sanftfüßig und leise das Oberdeck ab, um jene Passagiere mit behutsamem Schulterdruck aufzuwecken, die gleich nach dem üppigen Frühstück wieder eingeschlafen waren.“ Während des Lesens schaut Kracht gelegentlich über die Lese-Hornbrille hinweg skeptisch ins Publikum. Er liest nicht sehr differenziert, aber verwandelt sinnvoll die verschachtelte Syntax - orientiert am weit ausholenden Erzählstil des 19. Jahrhunderts - in ein klangvoll plätscherndes, einlullendes Auf und Ab.
Das passt gut zum ersten Kapitel, das von Engelhardts Fahrt auf dem Luxusdampfer „Prinz Waldemar“ handelt. Kracht ist intelligent, die Welt kennt er gut - zumindest äußerlich. Virtuose, genaue, oft witzige Beschreibungen, die lupenartig aus Mücken Elefanten machen und Menschen bis auf die „rotgeäderten Nasenflügel“ heranzoomen, können jedoch nicht über die inhaltliche und formale Belanglosigkeit hinwegtäuschen, die Krachts spielerisch arbeitende Sprache produziert. Wer bloße Unterhaltung sucht, dem wird das aber genügen.
Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 20. April. Die Lesung fand statt am 18.April.
eduarda - 21. Apr, 21:25