Ein Lied im Herzen
"La Strada – Das Lied der Straße": Stephan Bruckmeier inszeniert eine Bearbeitung von Federico Fellinis Filmklassiker im Stuttgarter Alten Schauspielhaus

Zampano und Gelsomina seien zwei Geschöpfe, die unauflöslich miteinander verbunden seien, ohne zu wissen warum, sagte Federico Fellini über die beiden Protagonisten seines 1954 gedrehten Kinofilms "La Strada". Dass es die Liebe ist, die den wortkargen und gewalttätigen Jahrmarktsartisten Zampano an das tumbe, kindlich-naive Dorfmädchen Gelsomina kettete, offenbart erst die Schlusssequenz: als Zampano, der sonst so gefühllose und brutale Kerl, vom Tod Gelsominas erfährt, Unmengen Alkohol in sich hineinschüttet, zum nahe gelegenen Strand torkelt und dort weinend zusammenbricht. Die Kamera fährt zurück und lässt den Verzweifelten auf dem nächtlichen, menschenleeren Strand allein. Und gegen die Brandung des Meeres bäumt sich noch einmal Nino Rotas schöne, jetzt ins Sinfonische eingebettete Trompetenmelodie auf – Leitmotiv für die Beziehung Gelsominas zum seiltanzenden Clown Matto, den Zampano im Affekt erschlagen hat. Dies Finale ist zum Heulen traurig. Aber es ist nicht kitschig, weil sich die Intensität dieses Augenblicks aus dem perfekten Zusammenspiel aller künstlerischen Komponenten nährt: aus der grandiosen Darstellung Anthony Quinns und Giulietta Masinas, der Regie, dem Drehbuch, der Kamera, der Musik.
Einem filmischen Meisterwerk auf einer Theaterbühne Konkurrenz zu machen, ihm etwas Eigenständiges entgegenzusetzen, ist kein leichtes Spiel. Im Stuttgarter Alten Schauspielhaus hatte "La Strada – Das Lied der Straße" jetzt in einer Bühnenadaption des Wuppertaler Dramaturgen Gerold Theobalt Premiere. Seine Bearbeitung ist ein Extrakt der theatertauglichen Szenen des Films, die in ein stringent erzähltes Bühnendrama überführt werden. Die Inszenierung von Stephan Bruckmeier schlägt sich zunächst auch recht wacker dank überzeugender Darsteller und einem charmant-realistischen Ausstattungsminimalismus: Bruckmeiers selbst entworfenes Bühnenbild beschränkt sich zumeist auf einen abgewrackten, rostigen, türkisfarbenen Citroën-Kastenwagen, der auf der Drehbühne zwischen den Szenen zu Zirkusmärschen seine Kreise zieht. Hier wie im Film ist die Wohnung der beiden bitterarmen, fahrenden Artisten ein mobiles Gefährt, mit dem man von Jahrmarkt zu Jahrmarkt tourt, um dort Zampanos Kettenzerreiß-Nummer vorzuführen. Gerade diese Dynamik zwischen den Szenen hält den Abend am Laufen. Daher zeigt sich die Entscheidung, auf Nino Rotas Filmmusik samt ihrer berühmten Trompetenmelodie zu verzichten und Neues beim TV-Serien- und Musical-Komponisten Gerd Schuller in Auftrag zu geben, zunächst noch durchaus als fruchtbar, bringen doch besonders die fetzigen, vorantreibenden Zwischenmusiken Tempo und Leichtigkeit in das Stück.
Lucia Peraza Rios lehnt sich in ihrer berührenden Darstellung der Gelsomina deutlich an die filmische Vorlage an, wirkt trotz ihrer Naivität und Unterwürfigkeit aber stärker und selbstbewusster, im Verlauf des Stücks sogar durchaus fähig zur Reflexion. Ihre Mimik bringt dabei mehr Differenzierung ins Spiel als ihre manchmal etwas zu sehr auf Kindlichkeit getrimmte Stimme. Kostümbildnerin Leah Lichtwitz hat ihr rosa Haare, Blümchenrock und Leggings verpasst. Das stört dank der intensiven darstellerischen Leistung nicht weiter. Wolfgang Seidenberg in Jeans, Unterhemd und Westernstiefeln wirkt dagegen in seiner Absicht, Gelsomina wie einen Hund zu seiner Sklavin abzurichten, nicht ganz so grobschlächtig und unnahbar wie der Quinn'sche Zampano – eher ein bisschen wie ein prolliger Trucker.
So weit, so gut. Doch Stephan Bruckmeier misstraut offenbar seinem Regiekonzept, hübscht es immer wieder unnötig an entscheidenden Stellen auf. So bringt etwa eine zehnminütige, echte Trapeznummer, in der Zirkusartistin Mara Bittmann allerlei gelenkige Sperenzien vollführt, das Bühnengeschehen völlig zum Erliegen. Während Seiltänzer Matto (Oliver S. El-Fayoumy) ganz im Widerspruch zum vorangegangenen artistischen Realismus bei seinen Eskapaden in luftiger Höhe aus dem Off agiert. Immer wieder zerschroten Regieeinfälle die sorgsam aufgebaute Atmosphäre des ärmlichen Schausteller- und Zirkusmilieus, gelegentlich sogar die besten Augenblicke der Darsteller: besonders auffällig in der Schlussszene, als Seidenberg den plötzlichen Wandel Zampanos vom gefühlskalten Macho zum trauernden Liebenden phänomenal spielt. Stille wäre die einzige finale Antwort.
Doch derweil Zampano greint, lässt Bruckmeier noch einmal die Zirkustruppe samt Gelsomina und Matto antreten, die Zampano nun mit vorwurfsvollen Augen stumm anblickt. Dazu rieselt kräftig musikalischer Zucker aus den Boxen – thematisch geerdet durch die neu komponierte Posaunenmelodie, die Nino Rotas sehnsuchtsvolles Trompeten-Thema ersetzt. Kitsch macht sich breit. Nicht das erste Mal an diesem Abend, hatte doch zuvor schon Zampanos Damenbesuch aus dem horizontalen Gewerbe (Ilka Wolf) völlig unvermittelt und unpassend ein musicalmäßiges "In meinem Herzen wohnt ein Lied" vor sich hin geschmachtet.
So ist es auch die Musik von Gerd Schuller und ihre fehlende stilistische Festlegung, die der Inszenierung im Wege steht. Weniger wäre hier mehr gewesen, die Zirkus-Zwischenmusiken hätten ihre Wirkung getan, und vielleicht hätte man auf Rotas traurige Trompete besser nicht verzichtet. Denn ohne diese suggestive Melodie scheint die Geschichte von Gelsomina, Matto und Zampano am Ende nicht wirklich fertig erzählt.
Besprechung für nachtkritik.de und die Eßlinger Zeitung vom 16. Juni 2012. Premiere war am 14. Juni.

Zampano und Gelsomina seien zwei Geschöpfe, die unauflöslich miteinander verbunden seien, ohne zu wissen warum, sagte Federico Fellini über die beiden Protagonisten seines 1954 gedrehten Kinofilms "La Strada". Dass es die Liebe ist, die den wortkargen und gewalttätigen Jahrmarktsartisten Zampano an das tumbe, kindlich-naive Dorfmädchen Gelsomina kettete, offenbart erst die Schlusssequenz: als Zampano, der sonst so gefühllose und brutale Kerl, vom Tod Gelsominas erfährt, Unmengen Alkohol in sich hineinschüttet, zum nahe gelegenen Strand torkelt und dort weinend zusammenbricht. Die Kamera fährt zurück und lässt den Verzweifelten auf dem nächtlichen, menschenleeren Strand allein. Und gegen die Brandung des Meeres bäumt sich noch einmal Nino Rotas schöne, jetzt ins Sinfonische eingebettete Trompetenmelodie auf – Leitmotiv für die Beziehung Gelsominas zum seiltanzenden Clown Matto, den Zampano im Affekt erschlagen hat. Dies Finale ist zum Heulen traurig. Aber es ist nicht kitschig, weil sich die Intensität dieses Augenblicks aus dem perfekten Zusammenspiel aller künstlerischen Komponenten nährt: aus der grandiosen Darstellung Anthony Quinns und Giulietta Masinas, der Regie, dem Drehbuch, der Kamera, der Musik.
Einem filmischen Meisterwerk auf einer Theaterbühne Konkurrenz zu machen, ihm etwas Eigenständiges entgegenzusetzen, ist kein leichtes Spiel. Im Stuttgarter Alten Schauspielhaus hatte "La Strada – Das Lied der Straße" jetzt in einer Bühnenadaption des Wuppertaler Dramaturgen Gerold Theobalt Premiere. Seine Bearbeitung ist ein Extrakt der theatertauglichen Szenen des Films, die in ein stringent erzähltes Bühnendrama überführt werden. Die Inszenierung von Stephan Bruckmeier schlägt sich zunächst auch recht wacker dank überzeugender Darsteller und einem charmant-realistischen Ausstattungsminimalismus: Bruckmeiers selbst entworfenes Bühnenbild beschränkt sich zumeist auf einen abgewrackten, rostigen, türkisfarbenen Citroën-Kastenwagen, der auf der Drehbühne zwischen den Szenen zu Zirkusmärschen seine Kreise zieht. Hier wie im Film ist die Wohnung der beiden bitterarmen, fahrenden Artisten ein mobiles Gefährt, mit dem man von Jahrmarkt zu Jahrmarkt tourt, um dort Zampanos Kettenzerreiß-Nummer vorzuführen. Gerade diese Dynamik zwischen den Szenen hält den Abend am Laufen. Daher zeigt sich die Entscheidung, auf Nino Rotas Filmmusik samt ihrer berühmten Trompetenmelodie zu verzichten und Neues beim TV-Serien- und Musical-Komponisten Gerd Schuller in Auftrag zu geben, zunächst noch durchaus als fruchtbar, bringen doch besonders die fetzigen, vorantreibenden Zwischenmusiken Tempo und Leichtigkeit in das Stück.
Lucia Peraza Rios lehnt sich in ihrer berührenden Darstellung der Gelsomina deutlich an die filmische Vorlage an, wirkt trotz ihrer Naivität und Unterwürfigkeit aber stärker und selbstbewusster, im Verlauf des Stücks sogar durchaus fähig zur Reflexion. Ihre Mimik bringt dabei mehr Differenzierung ins Spiel als ihre manchmal etwas zu sehr auf Kindlichkeit getrimmte Stimme. Kostümbildnerin Leah Lichtwitz hat ihr rosa Haare, Blümchenrock und Leggings verpasst. Das stört dank der intensiven darstellerischen Leistung nicht weiter. Wolfgang Seidenberg in Jeans, Unterhemd und Westernstiefeln wirkt dagegen in seiner Absicht, Gelsomina wie einen Hund zu seiner Sklavin abzurichten, nicht ganz so grobschlächtig und unnahbar wie der Quinn'sche Zampano – eher ein bisschen wie ein prolliger Trucker.
So weit, so gut. Doch Stephan Bruckmeier misstraut offenbar seinem Regiekonzept, hübscht es immer wieder unnötig an entscheidenden Stellen auf. So bringt etwa eine zehnminütige, echte Trapeznummer, in der Zirkusartistin Mara Bittmann allerlei gelenkige Sperenzien vollführt, das Bühnengeschehen völlig zum Erliegen. Während Seiltänzer Matto (Oliver S. El-Fayoumy) ganz im Widerspruch zum vorangegangenen artistischen Realismus bei seinen Eskapaden in luftiger Höhe aus dem Off agiert. Immer wieder zerschroten Regieeinfälle die sorgsam aufgebaute Atmosphäre des ärmlichen Schausteller- und Zirkusmilieus, gelegentlich sogar die besten Augenblicke der Darsteller: besonders auffällig in der Schlussszene, als Seidenberg den plötzlichen Wandel Zampanos vom gefühlskalten Macho zum trauernden Liebenden phänomenal spielt. Stille wäre die einzige finale Antwort.
Doch derweil Zampano greint, lässt Bruckmeier noch einmal die Zirkustruppe samt Gelsomina und Matto antreten, die Zampano nun mit vorwurfsvollen Augen stumm anblickt. Dazu rieselt kräftig musikalischer Zucker aus den Boxen – thematisch geerdet durch die neu komponierte Posaunenmelodie, die Nino Rotas sehnsuchtsvolles Trompeten-Thema ersetzt. Kitsch macht sich breit. Nicht das erste Mal an diesem Abend, hatte doch zuvor schon Zampanos Damenbesuch aus dem horizontalen Gewerbe (Ilka Wolf) völlig unvermittelt und unpassend ein musicalmäßiges "In meinem Herzen wohnt ein Lied" vor sich hin geschmachtet.
So ist es auch die Musik von Gerd Schuller und ihre fehlende stilistische Festlegung, die der Inszenierung im Wege steht. Weniger wäre hier mehr gewesen, die Zirkus-Zwischenmusiken hätten ihre Wirkung getan, und vielleicht hätte man auf Rotas traurige Trompete besser nicht verzichtet. Denn ohne diese suggestive Melodie scheint die Geschichte von Gelsomina, Matto und Zampano am Ende nicht wirklich fertig erzählt.
Besprechung für nachtkritik.de und die Eßlinger Zeitung vom 16. Juni 2012. Premiere war am 14. Juni.
eduarda - 18. Jun, 13:44