Dienstag, 19. Juni 2012

Orient-Kino für die Ohren

Stuttgarter Philharmoniker widmen sich Ottorino Respighis Ballettmusik „Belkis, Königin von Saba“

Stuttgart - Vielleicht ist es das klanglich spektakulärste Dokument jener Zeit, in der europäische Künstler ihre Sehnsucht nach Exotik noch in einem zurechtgeträumten Orient zu stillen suchten: Ottorino Respighis Ballettmusik „Belkis, Königin von Saba“, die mit einem Riesenaufgebot an Musikern 90 Minuten lang auch ohne Tanzkompanie opulentes Märchen-Ohren-Kino à la „Tausendundeine Nacht“ heraufbeschwört. Das zeigte das Konzert der Stuttgarter Philharmoniker im Beethovensaal eindrücklich, die sich des aufwendig gestalteten Schmachtfetzens, der 1932 an der Mailänder Scala uraufgeführt wurde und danach in der untersten Schublade der Musikgeschichte verschwand, jetzt annahmen - ergänzt durch den Tschechischen Philharmonischen Chor Brünn und die Mezzosopranistin Stella Doufexis. Und auch ein Märchenerzähler war mit von der Partie. Freilich ohne Bart und Wasserpfeife, sondern in Gestalt der Schauspielerin Julia Jentsch, die gelegentlich in melodramatischer Manier aus den choreographischen Original-Anweisungen Claudio Guastallas las und dafür sorgte, dass die Geschichte der Königin von Saba und ihrer Reise zum heiß geliebten König Salomon, die in Schriften aller drei mono­theistischen Weltreli­gionen Eingang gefunden hat, von jedem im Saal verstanden wurde.

Es muss unglaublichen Spaß machen, diese phänomenal, ja zum Teil avantgardistisch instrumentierte Musik zu dirigieren. Das sah man Gabriel Feltz an, der als Zaubermeister vor seinem Orchester stand und es mit großen Gesten in eine musikalische Laterna Magica verwandelte, die am laufenden Band bunt schillernde und sinnliche Bilder an die Ohren sendete: Sonnenlicht, das sich in bunten Edelsteinen und güldenem Geschmeide bricht, von warmem Wind durchwehte malerische Paläste, ekstatische Schleiertänze, wild wütende Stürme, Karawanen und Wüstenschiffe, die sich durch glühend heiße Sandlandschaften wiegen. Toll!

Allein acht Perkussionisten sorgten für den pulsierenden Fluss einer stets zwischen Meditation und Ekstase balancierenden Musik. Respighi hat das Flair der Musik des Orients perfekt eingefangen, in der - anders als in der europäischen Kunstmusik - Rhythmus und Melos stärker gewichtet sind als die Harmonik und in der sich Spannung ruhig aufbaut. Über Klangflächen und wiegenden Rhythmen entfaltet sich die fein ornamentierte Melodik frei, um dann in ekstatische Steigerungsschübe überführt zu werden und nach der Kulmina­tion wieder in einen tranceartigen Zustand zurückzufallen. Immer wieder und in sich kreisend. Dass diese morgenländische Monotonie spätestens beim orientalisch verschnörkelten Flötensolo Nummer dreizehn die Augenlider etwas schwerer und die Ohren etwas schlapper machte, tut am Ende nichts zur Sache. Die Stuttgarter Philharmoniker haben sich mit dieser Ausgrabung, die auch als DVD produziert wird, hochverdient gemacht.

Warum dem abendfüllenden Ohrenkino noch Mozarts von Isabelle Faust bezaubernd leicht und fein durchgestaltetes G-Dur-Violinkonzert vorgeschaltet worden war, bleibt indes schleierhaft. Vermutlich als Lockstoff für das vergessene Werk - was funktioniert hat. Denn der Beethovensaal war gut gefüllt, und das Publikum am Ende schwer begeistert.

Rezension für die Stuttgarter Nachrichten und die Eßlinger Zeitung vom 19. Juni 2012. Das Konzert fand statt am 17. Juni.

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