Lieber ein Mörder als ein Niemand
Bekenntnisse eines Serienkillers: Musiktheater mit US-Schauspieler John Malkovich in der Stuttgarter Liederhalle
Stuttgart - War er’s, oder war er’s nicht? Auch auf der Bühne des Stuttgarter Beethoven-Saals gesteht Jack Unterweger die elf Frauen-Morde nicht, die man ihm 1994 vor Gericht vorwarf. Unterweger: 1976 erstmals zu lebenslanger Haft verurteilter Mörder aus Österreich, erfolgreicher Knastpoet, Liebling der Intellektuellen, begnadigt, dann zum Held der Wiener Schickeria, zum Talkshow-Dauergast und Frauenverführer avanciert. Vorzeigeobjekt gelungener Resozialisierung, die dann geradewegs in das Serienkillertum führte.
Im englischsprachigen Musiktheater „The Infernal Comedy − Confessions of a Serial Killer“ von Michael Sturminger, mit dem der US-amerikanische Schauspieler John Malkovich und das Barockorchester Wiener Akademie in der Leitung Martin Haselböcks seit 2008 immer wieder die Welt bereisten und jetzt Station in Stuttgart machten, aufersteht Unterweger noch einmal: Eigentlich hatte er sich in der Nacht nach dem Grazer Gerichtsurteil 1994 ja in seiner Zelle mit der Kordel seiner Jogginghose erhängt.
Unterweltmusik von Gluck
Nun tritt er noch einmal an in der Unterwelt, um das zu tun, was er nach seinem ersten Mord am besten konnte: seine Lebensgeschichte zu verkaufen, und zwar in Form eines dicken Buches. Und bevor Malkovich an den Lesetisch mit den Verkaufsexemplaren tritt, macht die Wiener Akademie Stimmung mit Christoph Willibald Glucks dramatisch-wilder Unterweltmusik aus dem „Don Juan“.
Das reale Vorbild zur Bühnenfigur zu machen, funktioniert glänzend, war doch die Vermischung von literarischer Fiktion und tödlicher Wahrheit der Lebensinhalt Unterwegers. Man muss sich das mal vorstellen: Er arbeitete zuletzt als Journalist, schrieb Reportagen über jene Prostituiertenmorde, die er selbst begangen hatte, interviewte gar den ermittelnden Polizeichef, bevor jemandem endlich auffiel, dass sich an den Fundorten aller elf Frauenleichen Unterwegers Reiserouten ablesen ließen.
Und Malkovich, in unschuldig weißem Anzug und schwarzgepunktetem Hemd, spielt den Bösen, wie man es aus seinen Filmen kennt: mit der Selbstsicherheit des intellektuell Überlegenen, mit ausgeprägtem Narzissmus, mit männlichem Charme und Charisma, mit jener dunklen geheimnisvollen Seele, aus der einem plötzlich grenzenlose Gewalt entgegenspringt. Der Unantastbare gibt sich bei seinem Stuttgarter Gastspiel als Entertainer, gibt Tipps als Frauenversteher, philosophiert über Wahrheit und Lüge, erzählt sein Leben als einen stringenten Tatsachenbericht, lullt sein Publikum mit sanfter Stimme ein.
Man begreift, wie das funktioniert hat: seine Blendung der Verantwortlichen, die ihn freiließen, psychiatrische Gutachten ignorierten, die Unterweger „erhebliche psychische Abnormität“, ein sehr aggressives Verhalten speziell Frauen gegenüber und „sexuell-sadistische Perversion“ bescheinigt hatten. Und dann greift er plötzlich zu, geht den Frauen an die Wäsche, quält und demütigt sie. Denn in Unterwegers Lebensbeichte , die keine ist, werden immer wieder Konzert- und Opern-Arien von Mozart, Beethoven, Vivaldi, Haydn und von Weber implantiert: kraftvoll, höhensicher und berührend gesungen von den Sopranen Bernada Bobro und Martene Grimson, die Frauen darstellen, die Unterweger begegneten.
Gute Seele und Geliebte
Grimson in schwarzem Kleid: die Mütterliche, die gute Seele, die Geliebte. Bobro im blutroten Kleid: die Verführerin, die von Unterweger am Ende mit einem BH erwürgt wird - die Duftmarke des Killers. Da ist die krasse Mordlust wieder, das Unberechenbare. Es ist der einzige Mord, der an diesem Abend gezeigt wird. Der einzige, den Unterweger je gestanden hat - und aus dem er Profit gezogen hat: „Totschlag wertete mich auf“, lässt Malkovich ihn einmal sprechen, „wie sollte ich das je bereuen? Ich will jemand sein. Ich wäre lieber ein Mörder als ein Niemand.“
Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 25. Juni 2012. Der Abend fand statt am 23. Juni.
Stuttgart - War er’s, oder war er’s nicht? Auch auf der Bühne des Stuttgarter Beethoven-Saals gesteht Jack Unterweger die elf Frauen-Morde nicht, die man ihm 1994 vor Gericht vorwarf. Unterweger: 1976 erstmals zu lebenslanger Haft verurteilter Mörder aus Österreich, erfolgreicher Knastpoet, Liebling der Intellektuellen, begnadigt, dann zum Held der Wiener Schickeria, zum Talkshow-Dauergast und Frauenverführer avanciert. Vorzeigeobjekt gelungener Resozialisierung, die dann geradewegs in das Serienkillertum führte.
Im englischsprachigen Musiktheater „The Infernal Comedy − Confessions of a Serial Killer“ von Michael Sturminger, mit dem der US-amerikanische Schauspieler John Malkovich und das Barockorchester Wiener Akademie in der Leitung Martin Haselböcks seit 2008 immer wieder die Welt bereisten und jetzt Station in Stuttgart machten, aufersteht Unterweger noch einmal: Eigentlich hatte er sich in der Nacht nach dem Grazer Gerichtsurteil 1994 ja in seiner Zelle mit der Kordel seiner Jogginghose erhängt.
Unterweltmusik von Gluck
Nun tritt er noch einmal an in der Unterwelt, um das zu tun, was er nach seinem ersten Mord am besten konnte: seine Lebensgeschichte zu verkaufen, und zwar in Form eines dicken Buches. Und bevor Malkovich an den Lesetisch mit den Verkaufsexemplaren tritt, macht die Wiener Akademie Stimmung mit Christoph Willibald Glucks dramatisch-wilder Unterweltmusik aus dem „Don Juan“.
Das reale Vorbild zur Bühnenfigur zu machen, funktioniert glänzend, war doch die Vermischung von literarischer Fiktion und tödlicher Wahrheit der Lebensinhalt Unterwegers. Man muss sich das mal vorstellen: Er arbeitete zuletzt als Journalist, schrieb Reportagen über jene Prostituiertenmorde, die er selbst begangen hatte, interviewte gar den ermittelnden Polizeichef, bevor jemandem endlich auffiel, dass sich an den Fundorten aller elf Frauenleichen Unterwegers Reiserouten ablesen ließen.
Und Malkovich, in unschuldig weißem Anzug und schwarzgepunktetem Hemd, spielt den Bösen, wie man es aus seinen Filmen kennt: mit der Selbstsicherheit des intellektuell Überlegenen, mit ausgeprägtem Narzissmus, mit männlichem Charme und Charisma, mit jener dunklen geheimnisvollen Seele, aus der einem plötzlich grenzenlose Gewalt entgegenspringt. Der Unantastbare gibt sich bei seinem Stuttgarter Gastspiel als Entertainer, gibt Tipps als Frauenversteher, philosophiert über Wahrheit und Lüge, erzählt sein Leben als einen stringenten Tatsachenbericht, lullt sein Publikum mit sanfter Stimme ein.
Man begreift, wie das funktioniert hat: seine Blendung der Verantwortlichen, die ihn freiließen, psychiatrische Gutachten ignorierten, die Unterweger „erhebliche psychische Abnormität“, ein sehr aggressives Verhalten speziell Frauen gegenüber und „sexuell-sadistische Perversion“ bescheinigt hatten. Und dann greift er plötzlich zu, geht den Frauen an die Wäsche, quält und demütigt sie. Denn in Unterwegers Lebensbeichte , die keine ist, werden immer wieder Konzert- und Opern-Arien von Mozart, Beethoven, Vivaldi, Haydn und von Weber implantiert: kraftvoll, höhensicher und berührend gesungen von den Sopranen Bernada Bobro und Martene Grimson, die Frauen darstellen, die Unterweger begegneten.
Gute Seele und Geliebte
Grimson in schwarzem Kleid: die Mütterliche, die gute Seele, die Geliebte. Bobro im blutroten Kleid: die Verführerin, die von Unterweger am Ende mit einem BH erwürgt wird - die Duftmarke des Killers. Da ist die krasse Mordlust wieder, das Unberechenbare. Es ist der einzige Mord, der an diesem Abend gezeigt wird. Der einzige, den Unterweger je gestanden hat - und aus dem er Profit gezogen hat: „Totschlag wertete mich auf“, lässt Malkovich ihn einmal sprechen, „wie sollte ich das je bereuen? Ich will jemand sein. Ich wäre lieber ein Mörder als ein Niemand.“
Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 25. Juni 2012. Der Abend fand statt am 23. Juni.
eduarda - 26. Jun, 23:17