Mittwoch, 27. Juni 2012

Glasklar gezeichnete Seelendramen

Ein großartiger Liederabend mit Christianne Stotijn, Mark Padmore und Julius Drake an der Stuttgarter Staatsoper

Stuttgart - Große Liedkunst und feine Programme: Die kleine Reihe mit Liederabenden, die die Staatsoper derzeit zusammen mit der Interna­tionalen Hugo-Wolf-Akademie veranstaltet, entwickelt sich zum echten Highlight. Jetzt waren es die Mezzosopranistin Christianne Stotijn, der Tenor Mark Padmore und der Pianist Julius Drake, die mit grenzgängerischem Ausdruckswillen für eine elektrisierende Erneuerung dieser heute wenig populären Konzertgattung sorgten. Dass die Staatsoper nicht gerade üppig gefüllt war, mag König Fußball, aber wohl auch dem mutigen Programm geschuldet sein.

Da sang zunächst die charismatische, stimmlich enorm wandelbare Christianne Stotijn Schönberg- und Schumann-Lieder und machte sieben völlig unterschiedliche Seelendramen daraus. Ihre flexible, voluminöse, dabei immer klangschöne Höhe, das farblich fein differenzierende mittlere Register, die satte Tiefe - das ermöglicht der Niederländerin, aus jedem Lied einen anderen, bis in die feinste Nuance ausgeloteten Gefühlszustand zu machen. Die Gewissensnot des Soldaten etwa, der in Schumanns Antikriegslied „Der Soldat“ seinen eigenen Freund exekutieren muss, oder die mörderische Eifersucht der Liebenden in Schönbergs „Warnung“ gestaltete Stotijn so eindringlich, dass sich auf Seiten der versunken Lauschenden Gänsehautfeeling wie von selbst einstellte.

In Benjamin Brittens „Canticle II: Abraham und Isaac“, einer kantatenartigen Vertonung der berühmten biblischen Geschichte vom Sohnesopfer, mit dem Gott Abraham auf die Probe stellte, brachte dann der britische Tenor Mark Padmore seine stimmgewaltige, glasklare Höhe ins Spiel. Er verlieh Abraham wahrhaft tragische Größe, während Stotijn als Isaac für emotionale Erschütterung sorgte.

Das ganze Spektrum seines Könnens brachte Padmore dann in Leoš Janáceks hierzulande selten aufgeführtem „Tagebuch eines Verschollenen“ zum Einsatz. Das experimentelle Spätwerk beruht auf einem Gedichtzyklus, in dem der Dichter Josef Kalda die Aufzeichnungen des jungen, spurlos verschwundenen Bauern Janík zu veröffentlichen vorgab. In dieser Szenenfolge aus 22 Miniaturen gelang Padmore - auf Tschechisch singend - ein subtiles Porträt dieses zwischen zwanghaftem Verhalten und Befreiungsschlag hin- und hergerissenen Menschen, den seine Liebe zur „Zigeunerin“ Zefka dazu bringt, alle familiären und dörflichen Bindungen aufzugeben. Bis an die Grenzen ging Padmore bei der emotionalen Scharfzeichnung dieses Mannes, während Julius Drake am Flügel psychologische Feinarbeit leistete, indem er die innere Unruhe des Protagonisten, die sich in metrischer, harmonischer und melodischer Zerrissenheit niederschlägt, mit jener dunklen poetischen Atmosphäre amalgierte, die so typisch ist für das Klavierwerk Janáceks.

Und wunderbar auch der zärtlich süße Gesang der Zefka alias Stotijn, die in der Mitte des Zyklus erschien und dort stimmlich von einem überirdisch schön singenden Frauentrio vervielfältigt wurde.

Rezension für die Stuttgarter Nachrichten und die Eßlinger Zeitung vom 26. Juni 2012. Das Konzert fand statt am 24. Juni.

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