Montag, 16. Juli 2012

Bekifft vor Liebe

„Romeo und Julia“ im Innenhof des Alten Schlosses in Stuttgart

Stuttgart - Da weinte sogar der Himmel angesichts Shakespeares Liebestragödie „Romeo und Julia“, die das Stuttgarter Theater tri-bühne jetzt im Rahmen des Festivals Kultursommer im Innenhof des Alten Schlosses aufführte. Bei der Premiere begann es schon nach 20 Minuten zu tröpfeln, und dann nieselte es sich ein. Das Publikum holte sich bereitgelegte Plastiküberwürfe, die Darsteller ignorierten einfach die gemeinen Spielereien des Wettergottes, so gut es eben ging.

Aber so traurig, dass sphärische Tränen hätten fließen müssen, war der Abend gar nicht. Er war eher komödiantisch angelegt, oft recht klamaukig, und in den vielen Sterbeszenen musste sich das Ensemble beinahe schon zum Ernst zwingen. Regisseurin Edith Koerber hatte sich auf eine klare Linie nicht wirklich festlegen wollen, auch was die zeitliche Verortung anging: Mal schlugen sich die verfeindeten Familienclans der Montagues und Capulets mit altmodischen Degen, mal fotografierte der eitle Paris die scheintote Julia mit der Digicam. Mal tänzelte man maskiert à la Karneval in Venedig irgendetwas Historisches, dann rauchte Pater Lorenzo, der Romeo und Julia heimlich verheiratet, einen fetten Joint. Romeo dagegen wirkte auch ohne Cannabis völlig bekifft - von der Liebe zur schönen Julia. Er verdrehte die Augen, warf die Arme in die Höhe, kicherte und hangelte sich das rostige Baugerüst entlang, das die bewusst schrottige Spielfläche einrahmte, aber das pittoreske Renaissance-Ambiente des Schlosshofes arg verschandelte (Bühne: Csörsz Khell). Und man fragte sich, warum die schönen, mehrgeschossigen Arkadengänge nur so selten bespielt wurden, war die Inszenierung doch speziell für diesen Ort gemacht worden und war Koerber der italienischen Renaissance, in der das Stück spielt, ja im großen Ganzen verpflichtet geblieben.

Multikulturelle Ambitionen

Alle multikulturellen Ambitionen der tri-bühne in Ehren - aber so wollte sich Koerbers anspruchsvoller Regie-Ansatz nicht vermitteln. Den „kulturellen Rassismus“ hatte sie in ihrer Inszenierung aufs Korn nehmen, den ursprünglich familiären Konflikt zwischen den Capulets und den Montagues zu einem globalen machen wollen. Romeo wurde deshalb gespielt von Yahi Nestor Gahe von der Elfenbeinküste. Eigentlich ist er Tänzer und Choreograph - er turnte und tanzte demgemäß auch professionell auf der Bühne herum. Zudem hat er Sex-Appeal und zeigte sich in der berühmten Szene, in der die Lerche zur Nachtigall mutiert, oben auf dem Balkon mit nacktem Oberkörper.

Aber globaler Konflikt? Außer, dass Romeo ein paar Mal als „Neger“ beschimpft wurde, passierte gar nichts nix in dieser Richtung. So gab Romeo einen schönen, sympathischen, aber sprachlich etwas unbeholfenen Liebhaber, die hübsche Carolin Elsner in schickem weißem Kleidchen (Kostüme: Renáta Balogh) spielte Julia charmant und jugendlich aufgedreht, und drumherum wurde kräftig herumgealbert.

Feine Ironie hätte dem Stück aber besser getan als Klamauk. Und ein paar Mal glimmte sie auch auf. Etwa als das Reiterstandbild Graf Eberhards im Bart im Schlosshof plötzlich zu sprechen begann - als Fürst von Verona -, oder als ein Herrentrio als Hochzeitsständchen den Beatles-Song „Julia“ säuselte und Möchtegerngatte Paris Rosenblüten rieseln ließ, während die Familie Capulet über den (Schein-)Tod Julias greinte.

Musikalisch gewitzt oder zumindest angemessen kommentierte Szenen blieben ohnehin die Ausnahme. Denn neben dem Regen gab es noch einen anderen kontraproduktiven Aspekt an diesem Abend: Es war die Live-Musik von Dietrich Lutz, die das Spiel auf der Bühne und die Atmosphäre im Schlosshof immer wieder störte, wenn nicht gar zerstörte. Vor allem, wenn unerträgliches Synthesizergequäke aus ziellos wandernden Akkorden Kampfszenen und dramatische Entwicklungen unterlegte. Besonders nervte das im Finale, als Romeo und Julia sich nacheinander das Leben nahmen. Dabei hatten Yahi Nestor Gahe und Carolin Elsner gerade hier ihre stärksten Augenblicke.

Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 16. Juli 2012. Premiere war am 13. Juli.

EDUARDAS UNIVERSUM

weblog für ernste kultur von verena großkreutz

Wer ist Eduarda?

Eduarda bin natürlich ich! Diesen Spitznamen verpasste mir ein Freund in meiner Anfangszeit als Musikkritikerin in Erinnerung an den berühmten Eduard Hanslick.

Aktuelle Beiträge

"Nazis sind immer die...
Ein Gespräch mit dem Theaterregisseur und Autor Tobias...
eduarda - 22. Mär, 23:46
wie schön!
Ich freue mich schon sehr auf die Lektüre! Allein schon...
ChristophS - 28. Dez, 16:17
Unter Hochdruck
Das SWR Symphonieorchester spielt in der Leitung des...
eduarda - 3. Dez, 10:33
Kecke Attacken
Mirga Gražinytė-Tyla hat in der Stuttgarter Liederhalle...
eduarda - 29. Nov, 19:34

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Status

Online seit 5679 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 22. Mär, 23:46

Credits


Profil
Abmelden
Weblog abonnieren