Zum Heulen schön
SWR Vokalensemble Stuttgart tritt erstmals zusammen mit einem Patenchor auf
Stuttgart - Manchmal bedauert die Kritikerin, dass sie sich Superlative nicht prinzipiell nur für die wirklich ganz besonderen Musikereignisse aufbewahrt hat. Aber man kann ja schließlich nicht in die Zukunft hören, und flugs hat man sein „ausgezeichnet“, „fantastisch“, „hervorragend“, „großartigst“ schon verbraucht. Das alles ist auch über das SWR Vokalensemble zu schreiben, das jetzt in seinem Saison-Abschlusskonzert in der Gaisburger Kirche mit A-cappella-Werken des 20. Jahrhunderts wieder einmal Gesangskultur vom Feinsten bot.
Expressiv und klanggewaltig
Ob in der expressiven, klanggewaltigen Messe für Doppelchor von Frank Martin, ob in Ralph Vaughan Williams‘ lautmalerischen „Three Shakespeare Songs“ oder in Hans Werner Henzes politisch ambitioniertem „Orpheus behind the wire“: In der Leitung Marcus Creeds zeigten die 28 Vokalisten, wie intonationssicher, mit welch dynamischer Agilität und wie genau gestaltend sie ihre Stimmen zum Einsatz bringen, wie wunderschön selbst krasse Dissonanzen klingen können und wie berückend die räumlichen Weiten sind, die zu spannen das Ensemble fähig ist.
Und doch möchte man den Blick auf einen anderen Protagonisten des Abends fokussieren: auf den Kammerchor des Kopernikus-Gymnasiums Wasseralfingen, der im einstündigen Vorprogramm auftrat. Er war ein Jahr lang der Patenchor des SWR Vokalensembles, besuchte dessen Proben und Konzerte, sang gemeinsam mit ihm und nahm an Produktionsworkshops beim SWR teil. Und man erarbeitete gemeinsam ein speziell für dieses Projekt in Auftrag gegebenes Werk des tschechischen Komponisten Martin Smolka. Die Jugendlichen sangen zunächst ein eigenes Programm. Keine stimmgewaltigen Werke, sondern - den jungen Kehlen angemessen - Klangschönes. Und überwältigend, ja, zum Heulen schön sangen die 9- bis 13-Klässler neuere Stücke des Slowenen Damijan Mocnik, des Norwegers Ola Gjeilo oder des Briten John Joubert, aber auch Mendelssohns „Frohlocket, ihr Völker auf Erden“.
Makellos rein
Makellos rein, fein gestaltet und natürlich, ohne auch nur einmal zu forcieren: Das ist die Klangkultur dieses mit Hingabe und hochkonzentriert agierenden Chors. Chorleiter Thomas Baur leistet ganze Arbeit. Man kann nur erahnen, wieviel Freizeit die jungen Choristen in die Proben gesteckt haben, um derart professionell zu klingen. Und ebenso beeindruckend geriet den Schülern zusammen mit dem Vokalensemble in der Leitung Creeds die Uraufführung des „Agnus Dei“ für zwei gemischte Chöre, das Martin Smolka als „kleines Requiem“ für seinen Vater geschrieben hat. Smolka ist ein Meister der Stimmbehandlung und der chorischen Klanggestaltung. Auch in diesem Werk führt er die Stimmen immer wieder zu immenser räumlicher Weitung zusammen, lässt dadurch eine mystische, ja metaphysische Aura entstehen. Im Zentrum des Stücks, zwischen pulsierenden Echos, die immer wieder wellenartige Bewegungen anstoßen, und Klangmassierung, die sich durch verschachtelt einsetzende Stimmen aufbaut, gerät die Musik zum Stillstand: im leisen, gleichmäßigen Summen, über dem plötzlich fortissimo ein tschechisches Kinderlied erklingt, eines, das der Vater seinen Kindern häufig vorgesungen hat. Das alles war sehr berührend. Und eigentlich noch mehr als das.
Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 17. Juli 2012. Das Konzert fand statt am 14. Juli.
Stuttgart - Manchmal bedauert die Kritikerin, dass sie sich Superlative nicht prinzipiell nur für die wirklich ganz besonderen Musikereignisse aufbewahrt hat. Aber man kann ja schließlich nicht in die Zukunft hören, und flugs hat man sein „ausgezeichnet“, „fantastisch“, „hervorragend“, „großartigst“ schon verbraucht. Das alles ist auch über das SWR Vokalensemble zu schreiben, das jetzt in seinem Saison-Abschlusskonzert in der Gaisburger Kirche mit A-cappella-Werken des 20. Jahrhunderts wieder einmal Gesangskultur vom Feinsten bot.
Expressiv und klanggewaltig
Ob in der expressiven, klanggewaltigen Messe für Doppelchor von Frank Martin, ob in Ralph Vaughan Williams‘ lautmalerischen „Three Shakespeare Songs“ oder in Hans Werner Henzes politisch ambitioniertem „Orpheus behind the wire“: In der Leitung Marcus Creeds zeigten die 28 Vokalisten, wie intonationssicher, mit welch dynamischer Agilität und wie genau gestaltend sie ihre Stimmen zum Einsatz bringen, wie wunderschön selbst krasse Dissonanzen klingen können und wie berückend die räumlichen Weiten sind, die zu spannen das Ensemble fähig ist.
Und doch möchte man den Blick auf einen anderen Protagonisten des Abends fokussieren: auf den Kammerchor des Kopernikus-Gymnasiums Wasseralfingen, der im einstündigen Vorprogramm auftrat. Er war ein Jahr lang der Patenchor des SWR Vokalensembles, besuchte dessen Proben und Konzerte, sang gemeinsam mit ihm und nahm an Produktionsworkshops beim SWR teil. Und man erarbeitete gemeinsam ein speziell für dieses Projekt in Auftrag gegebenes Werk des tschechischen Komponisten Martin Smolka. Die Jugendlichen sangen zunächst ein eigenes Programm. Keine stimmgewaltigen Werke, sondern - den jungen Kehlen angemessen - Klangschönes. Und überwältigend, ja, zum Heulen schön sangen die 9- bis 13-Klässler neuere Stücke des Slowenen Damijan Mocnik, des Norwegers Ola Gjeilo oder des Briten John Joubert, aber auch Mendelssohns „Frohlocket, ihr Völker auf Erden“.
Makellos rein
Makellos rein, fein gestaltet und natürlich, ohne auch nur einmal zu forcieren: Das ist die Klangkultur dieses mit Hingabe und hochkonzentriert agierenden Chors. Chorleiter Thomas Baur leistet ganze Arbeit. Man kann nur erahnen, wieviel Freizeit die jungen Choristen in die Proben gesteckt haben, um derart professionell zu klingen. Und ebenso beeindruckend geriet den Schülern zusammen mit dem Vokalensemble in der Leitung Creeds die Uraufführung des „Agnus Dei“ für zwei gemischte Chöre, das Martin Smolka als „kleines Requiem“ für seinen Vater geschrieben hat. Smolka ist ein Meister der Stimmbehandlung und der chorischen Klanggestaltung. Auch in diesem Werk führt er die Stimmen immer wieder zu immenser räumlicher Weitung zusammen, lässt dadurch eine mystische, ja metaphysische Aura entstehen. Im Zentrum des Stücks, zwischen pulsierenden Echos, die immer wieder wellenartige Bewegungen anstoßen, und Klangmassierung, die sich durch verschachtelt einsetzende Stimmen aufbaut, gerät die Musik zum Stillstand: im leisen, gleichmäßigen Summen, über dem plötzlich fortissimo ein tschechisches Kinderlied erklingt, eines, das der Vater seinen Kindern häufig vorgesungen hat. Das alles war sehr berührend. Und eigentlich noch mehr als das.
Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 17. Juli 2012. Das Konzert fand statt am 14. Juli.
eduarda - 17. Jul, 13:01