Verweile doch, du bist so schön
Musikfest Stuttgart: Abschlusskonzert mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart und Sinfonien von Schubert und Mahler

Stuttgart - Auf der Bühne des Beethovensaals stand ein gut gelaunter Intendant der Bachakademie: Vor Beginn des Musikfest-Abschlusskonzerts zog Christian Lorenz eine erste Bilanz und freute sich über die rund 25 000 Besucher, die sich für das Thema „Glaube“ begeistern konnten (siehe Meldung rechts). Offenbar haben der dramaturgische Einfallsreichtum und die Erkundung vielfältiger, über ganz Stuttgart und darüber hinaus verteilter Veranstaltungsorte beim Publikum gezündet.
Auch der Beethovensaal war an diesem Abend sehr gut gefüllt. Gustav Mahlers vierte Sinfonie durfte den Schlusspunkt setzen hinter das Motto „Glaube“, weil sie in ihrem Finale einen - allerdings ironischen - religiösen Text aus „Des Knaben Wunderhorn“ vertont: „Das himmlische Leben“. Dazu gesellte sich Franz Schuberts h-Moll-Sinfonie, die „Unvollendete“, mit der das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart (RSO) in der Leitung Michael Sanderlings den Abend begann.
Freundlich trällernd
Schon in den ersten Takten schien es aber, als habe sich der Dirigent von der guten Laune des Intendanten anstecken lassen. Weich und verträumt summten die tiefen Streicher, statt sich düster und grimmig dahinzuschleppen. Freundlich vor sich hin trällernd setzten die Violinen ein, statt fiebrig und geisterhaft zu flirren. Die sonst irritierenden Tutti-Schläge kamen viel zu flaumig und federnd. Und die Generalpause stand nicht für ein jähes Verstummen und Erstarren, sondern für tiefes Durchatmen. Weswegen der folgende, eigentlich hart und krass einbrechende Moll-Akkord lediglich wie eine neue Klangfarbe wirkte. Solcherlei Weichzeichnung prägte dann den ganzen Satz. Entweder hatte der Dirigent da etwas falsch verstanden, oder er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Schönheit auch dort zu suchen, wo sie nicht ist. Und das RSO spielte schön, wunderschön. „Verweile doch, du bist so schön“ schien, frei nach Goethe, das Motto der musikalisch gereihten Augenblicke. Weswegen der zweite Satz dann auch unmittelbar berührte, denn hier hatte die minuziöse Klang- und Farbensuche Sanderlings durchaus ihren Sinn, stellt er doch dem ersten Satz eine entrückte, sich nur gelegentlich verdunkelnde Traumwelt gegenüber. Aber wird die düstere Dramatik des Kopfsatzes entschärft, ist die bipolare Anlage dieses sinfonischen Torsos, dem Scherzo und Finale fehlen, zerstört und damit auch die rätselhafte Wirkung eines vollendeten Fra gments, die Schuberts „Unvollendete“ immer wieder hinterlässt.
Weichzeichnung der Strukturen
Dass Michael Sanderling diesen Interpretationsstil offenbar auch in anderen Fällen pflegt, zeigte dann die vierte Sinfonie Mahlers. In den beiden ersten Sätzen bot sich das gleiche Bild: auch hier Weichzeichnung der Strukturen und Akzentuierungen, eine nicht immer stringente Tempogestaltung, die Vernachlässigung der inneren Spannung, was vor allem dem Scherzo alles Gespenstische, Spukhafte und Groteske nahm. Und weil Kopfsatz und Scherzo so freundliche Gesichter machten, konnte der sehr innig und berührend gespielte langsame Satz auch keinen wirklichen Kontrast setzen.
Auch das Finale endete liebenswürdig lächelnd und nicht mysteriös, wie es sein sollte. Das lag nicht nur an der durchweg schmunzelnden Sopranistin Hanna Elisabeth Müller, die sich in der Kürze ihres Auftritts nicht wirklich freisingen konnte, sondern an der Zahnlosigkeit der Gesamtinterpretation.
Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 18. September. Das Konzert fand statt am 16. September.

Stuttgart - Auf der Bühne des Beethovensaals stand ein gut gelaunter Intendant der Bachakademie: Vor Beginn des Musikfest-Abschlusskonzerts zog Christian Lorenz eine erste Bilanz und freute sich über die rund 25 000 Besucher, die sich für das Thema „Glaube“ begeistern konnten (siehe Meldung rechts). Offenbar haben der dramaturgische Einfallsreichtum und die Erkundung vielfältiger, über ganz Stuttgart und darüber hinaus verteilter Veranstaltungsorte beim Publikum gezündet.
Auch der Beethovensaal war an diesem Abend sehr gut gefüllt. Gustav Mahlers vierte Sinfonie durfte den Schlusspunkt setzen hinter das Motto „Glaube“, weil sie in ihrem Finale einen - allerdings ironischen - religiösen Text aus „Des Knaben Wunderhorn“ vertont: „Das himmlische Leben“. Dazu gesellte sich Franz Schuberts h-Moll-Sinfonie, die „Unvollendete“, mit der das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart (RSO) in der Leitung Michael Sanderlings den Abend begann.
Freundlich trällernd
Schon in den ersten Takten schien es aber, als habe sich der Dirigent von der guten Laune des Intendanten anstecken lassen. Weich und verträumt summten die tiefen Streicher, statt sich düster und grimmig dahinzuschleppen. Freundlich vor sich hin trällernd setzten die Violinen ein, statt fiebrig und geisterhaft zu flirren. Die sonst irritierenden Tutti-Schläge kamen viel zu flaumig und federnd. Und die Generalpause stand nicht für ein jähes Verstummen und Erstarren, sondern für tiefes Durchatmen. Weswegen der folgende, eigentlich hart und krass einbrechende Moll-Akkord lediglich wie eine neue Klangfarbe wirkte. Solcherlei Weichzeichnung prägte dann den ganzen Satz. Entweder hatte der Dirigent da etwas falsch verstanden, oder er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Schönheit auch dort zu suchen, wo sie nicht ist. Und das RSO spielte schön, wunderschön. „Verweile doch, du bist so schön“ schien, frei nach Goethe, das Motto der musikalisch gereihten Augenblicke. Weswegen der zweite Satz dann auch unmittelbar berührte, denn hier hatte die minuziöse Klang- und Farbensuche Sanderlings durchaus ihren Sinn, stellt er doch dem ersten Satz eine entrückte, sich nur gelegentlich verdunkelnde Traumwelt gegenüber. Aber wird die düstere Dramatik des Kopfsatzes entschärft, ist die bipolare Anlage dieses sinfonischen Torsos, dem Scherzo und Finale fehlen, zerstört und damit auch die rätselhafte Wirkung eines vollendeten Fra gments, die Schuberts „Unvollendete“ immer wieder hinterlässt.
Weichzeichnung der Strukturen
Dass Michael Sanderling diesen Interpretationsstil offenbar auch in anderen Fällen pflegt, zeigte dann die vierte Sinfonie Mahlers. In den beiden ersten Sätzen bot sich das gleiche Bild: auch hier Weichzeichnung der Strukturen und Akzentuierungen, eine nicht immer stringente Tempogestaltung, die Vernachlässigung der inneren Spannung, was vor allem dem Scherzo alles Gespenstische, Spukhafte und Groteske nahm. Und weil Kopfsatz und Scherzo so freundliche Gesichter machten, konnte der sehr innig und berührend gespielte langsame Satz auch keinen wirklichen Kontrast setzen.
Auch das Finale endete liebenswürdig lächelnd und nicht mysteriös, wie es sein sollte. Das lag nicht nur an der durchweg schmunzelnden Sopranistin Hanna Elisabeth Müller, die sich in der Kürze ihres Auftritts nicht wirklich freisingen konnte, sondern an der Zahnlosigkeit der Gesamtinterpretation.
Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 18. September. Das Konzert fand statt am 16. September.
eduarda - 18. Sep, 09:13