Sonntag, 30. September 2012

Die einsame Nacht gebiert Ungeheuer

Sandrine Hutinet stellt auf der Esslinger Landesbühne Fontanes „Effi Briest“ in den gesellschaftlich luftleeren Raum

Wahrhaftig und echt spielt Lara Beckmann die Effi Briest als nervtötende Kindfrau (links, mit Kristin Göpfert als Bedienstete Johanna und Ralph Hönicke als Effis Gemahl Baron von Innstetten). Foto: Zauner
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Esslingen - Schon wieder ein Roman auf der Bühne. Schon wieder „Effi Briest“, derzeit deutschlandweit beliebtes Adaptionsopfer, wenn es darum geht, mit Hilfe von Lehrplanthemen die Theater zu füllen. Deshalb wohl wird nun auch die Esslinger Landesbühne (WLB) fontanisiert. Wieder wird ein berühmter Roman auf sein Handlungsskelett reduziert, einzelne Charaktere - hier etwa die Kinderfrau Roswitha oder der Apotheker Gieshübler - werden bis zur Unkenntlichkeit zusammengestrichen, Dialoge zusammengepresst auf theatertaugliche Länge und der Stoff auf Teufel komm raus in die heutige Zeit katapultiert.

Warum gerade Fontanes ausschweifender Erzählstil ins Dramatische gebogen werden muss, befremdet, stellt er doch durch seine detaillierten, minuziösen Beschreibungen von Personen, ihrem Verhalten und ihrer Umgebung das genaue Gegenteil vom theatralischen Geist dar. Bei Fontane bedeutet das „wie“ oft mehr als das „was“, das seine Personage von sich gibt. Aber Letzteres ist für die Bühne eben das eigentlich Verwertbare.

Der Abend der Hauptdarstellerin

In der Inszenierung von Sandrine Hutinet, die „Effi Briest“ selbst umgeschrieben hat, ist Fontane fern. Sehr fern. Zunächst sei gesagt, dass es ein durchaus unterhaltsamer, kurzweiliger Abend geworden ist. Manchmal etwas albern in der Darstellung etwa der Briest-Eltern (gespielt von Nikolaos Elftheriadis und Kristin Göpfert), manchmal arg heulsusig in den hysterischen Ausbrüchen der Titelheldin. Aber langweilig nicht. Zweieinhalb Stunden legt sich die Hauptdarstellerin Lara Beckmann mit Haut und Haaren ins Zeug, um Effi Briest in einer bewusst aufdringlichen Mischung aus Gretchen, Heike Makatsch und Lolita lebendig werden zu lassen: Eine nervtötende Kindfrau, unreflektiert, naiv, ungebildet, ausgestattet mit einem Hang zu Gefühlsausbrüchen, zur Liebe aber lange noch nicht reif genug, wenn überhaupt fähig, bemitleidenswert allenfalls in ihrer Hilflosigkeit dem eigenen Unvermögen und dem ihres Mannes gegenüber. Lara Beckmann spielt das wahrhaftig und echt, und sie wird dafür am Ende vom begeisterten Publikum bejubelt. Es ist ihr Abend.

Wie im Roman wird die 17-jährige Effi auch in Hutinets Inszenierung von ihren Eltern an den gut situierten Beamten und über 20 Jahre älteren Baron Geert von Innstetten verheiratet. Eine gute Partie, denken sie sich. Effi zieht aus dem Kindheitsparadies auf Innstettens modriges Gut in einem verschlafenen Nest namens Kessin und wird dort mit ihrer inneren Leere konfrontiert. Denn der Mann ist immer auf Arbeit, im Ort ist nichts los, dazu lauert die gouvernantenhafte Bedienstete Johanna beständig hinter den Gardinen. Da kriegen die Wände Ohren, und die Nacht wird gesprächig. Im Hause Innstettens spukt es. Ein vor einiger Zeit verstorbener Chinese erscheint Effi im Alptraum und in der Realität. Die einsame Nacht gebiert Ungeheuer.

Die Ehe mit Innstetten bleibt körperlos. Wie das Kind gezeugt wurde, das Effi zur Welt bringt, bleibt ein Rätsel. Ralph Hönicke spielt den Innstetten als ungeheuer steifen, unsinnlichen, todlangweiligen Krawattenträger in dunklem Anzug, einer jener unangenehmen Menschen, die stets plötzlich in der Türe stehen, einen dadurch erschrecken und genauso schnell wieder verschwinden.

Dass sich Effi irgendwann aus Langeweile auf ein erotisches Abenteuer mit dem attraktiven dichtenden Major Crampas (Matthias Zajgier) einlässt, ist mehr als verständlich. Unverständlich bleiben Effis Schuldgefühle, die sie später dazu bringen, Innstetten die gesammelten Liebesbriefe Crampas‘ vor die Nase zu legen - nach dem beruflich bedingten Umzug der Eheleute nach Berlin, als die Affäre längst Geschichte ist. Unverständlich bleibt das, weil Sandrine Hutinet Fontanes radikale Kritik an gesellschaftlichen Konventionen einfach unter den Tisch fallen lässt, sein preußisches Sittenbild aus dem späten 19. Jahrhundert auf ein heutiges Ehedrama reduziert, das sich im gesellschaftlich luftleeren Raum abspielt. Wovon sich die Schuldgefühle Effis speisen, erklärt sich nicht. Und warum Innstetten dann, als er vom Fremdgang seiner Gattin erfahren hat, Effi verstößt, das Kind aber behält, zur Waffe greift und den Ex-Liebhaber erschießt, wo er doch eigentlich geneigt war, seiner „süßen, kleinen“ Effi zu verzeihen: Das bleibt ebenso wenig nachvollziehbar.

Effekte à la Hitchcock

Statt Gesellschaftsanalyse setzt Hutinet auf psychodramatische Effekte à la Hitchcock. Heftig wölben sich die überlangen Gardinen im Wind, die den quadratischen, kastenförmigen Raum des Bühnenbilds von Nicolaus-Johannes Heyse einrahmen. Eine geisterhafte Hand greift als Videoprojektion nach Effi, Blitze fahren in die Szene, elektronisch erzeugte Spukgeräusche lassen Thrilleratmosphäre aufkommen. Alles, um die Alpträume Effis möglichst plastisch zu machen. Immer wieder. Und lange bleibt offen, ob der gefühlskalte Ehemann nicht der Urheber dieses Spektakels ist - um seine hilflose Gattin in den Wahnsinn zu treiben, warum auch immer.

Fällt der gesellschaftliche Zwang als Motor für eigentlich überflüssige Handlungen aus, bleibt von Fontanes klarer Charakterzeichnung nicht mehr viel übrig. Der finale Nervenzusammenbruch Effi Briests - ihren Bühnen-Tod spart Hutinet zum Glück aus - zeigt das ganz deutlich: Im ganzen Müll, den sie sich von der Seele schreit, prangert Effi auch die Verlogenheit der Gesellschaft an, ihre Scheinmoral, ihre Zwangsnormen vorgeblicher Tugendhaftigkeit. Aber genau dieser Aspekt spielte an diesem Abend überhaupt keine Rolle. Auch weil Effis Eltern in Hutinets Fassung eigentlich ganz nette, sympathische Leute sind, die gerne mal verliebt herumturteln und Federball spielen.

Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 29. September 2012. Premiere war am 27. September.

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