Donnerstag, 4. Oktober 2012

Der Löwe ist los

Späte Uraufführung der Oper „La Tisbe“ von Giuseppe Antonio Brescianello mit dem Ensemble Il gusto barocco im Stuttgarter Mozartsaal

Stuttgart - Eine Brescianello-Straße gibt es nicht in Stuttgart, auch keinen Brescianello-Platz. Der italienische Komponist, der von 1717 bis 1737 und dann noch einmal von 1744 bis 1755 Oberkapellmeister am Stuttgarter Hof war, hat hier keine Spuren hinterlassen. Immerhin überlebte seine einzige, nie aufgeführte pastorale Oper „La Tisbe“ von 1718 in den Archiven der Württembergischen Landesbibliothek. Dort wurde sie vor zwei Jahren von Jörg Halubek entdeckt. Der 35-Jährige, Professor für historische Tasteninstrumente und Aufführungspraxis an der Stuttgarter Musikhochschule, brachte „La Tisbe“ jetzt gemeinsam mit seinem Ensemble Il gusto barocco und Gesangssolisten konzertant im Mozart-Saal zur Uraufführung.

Nun ist Halubek nicht Harnoncourt, und Brescaniello war nicht Händel. Aber der dreistündige Abend bot doch viel schöne Barockmusik, auch die eine oder andere Koloratur- oder Wut- arie. „La Tisbe“ besticht vor allem durch melodische und harmonische Einfachheit, nicht durch dramatisch ausladende Gesangsnummern. Nach 90 Minuten begannen denn auch trockene Rezitative und ariose Dacapos zu ermüden. Brescianello verzichtete in seiner Schäferoper auf einen Kontraste schaffenden Chor, lediglich vier Protagonisten sind am Geschehen beteiligt.

Als Librettovorlage diente die in Ovids „Metamorphosen“ überlieferte Sage von Pyramus und Thisbe - von Shakespeare im „Sommernachtstraum“ parodiert und in „Romeo und Julia“ adaptiert. Einzig der bereits satte Löwe sorgt in der Oper für ein bisschen Spannung, weil seine Anwesenheit die verboten sich Liebenden zu unreflektierten Handlungen veranlasst - was sie im Original in den Selbstmord treibt, bei Brescianello aber glücklich werden lässt. Nur der intrigante Alceste und die Schäferin Licori, die Alceste liebt, der es aber auf Tisbe abgesehen hat, stehen dem Paar auf der Bühne zur Seite. Richtig viel passiert da nicht, außer Phrasen wie „Liebe ist Narrheit, wenn man liebend leidet“ haben sich die vier nicht viel zu sagen.

Dem auf Barockinstrumenten musizierenden Ensemble Il gusto barocco war es vor allem zu verdanken, dass der Abend nicht in Gleichförmigkeit erstarrte. Hochkonzentriert bis zum Schluss, mit rhythmischem Drive und lebendiger Phrasierung hielt das Ensemble die Ohren wach und sorgte mit lustig schmetternden Jagdhörnern, fröhlich tirilierenden Blockflöten und sonor singendem Cello für so manchen musikalischen Höhepunkt. Nina Bernsteiner sang die Tisbe leidenschaftlich, mit farbenreichem Sopran, Tenor Julius Pfeiffer verlieh dem Pyramus eine schöne, aber etwas zu leise Stimme, während Bass Matteo Bellotto als Alceste ein wenig monochrom und am Geschehen unbeteiligt wirkte. Dagegen überzeugte Altus Flavio Ferri-Benedetti als Licori mehr durch die komödiantische Ausgestaltung der Travestie-Rolle denn durch sauberes Intonieren von Koloraturen.

Besprechung für die Stuttgarter Nachrichten und die Eßlinger Zeitung vom 2. Oktober 2012. Premiere war am 30. September.

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