So muss es sein
Grandios: Manfred Honeck mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra in der Stuttgarter Liederhalle
Stuttgart - Als das Rauchverbot in Deutschland eingeführt wurde, rieb sich so mancher verwundert die Augen, als er seine Stammkneipe betrat. Bis dahin hatte dichter Zigarettenqualm den Blick vernebelt. Nun lag der Raum bis in den hintersten Winkel in scharfen Konturen vor einem. Das Gesicht des Wirts hinterm Tresen offenbarte plötzlich Falten, und man konnte zum ersten Mal die Etiketten auf den Whiskeyflaschen im Regal entziffern.
Plastisches Klangbild
Überträgt man diese visuelle Erfahrung auf das Hören, so geschah Vergleichbares jetzt im Stuttgarter Beethovensaal im Konzert des US-amerikanischen Pittsburgh Symphony Orchestra in der Leitung seines Chefdirigenten Manfred Honeck. Peter Tschaikowskys viel gespielte Fünfte Sinfonie erklang in einem solch geschärften, plastischen Klangbild, dass man den Eindruck hatte, bisher nur das Skelett und die äußere Haut der Sinfonie gehört zu haben, nun aber endlich einen von feinsten Äderchen durchbluteten Organismus. Dem Orchester in praller Tourneebesetzung und in deutscher Aufstellung - in der erste und zweite Violinen nicht nebeneinander, sondern sich gegenüber sitzen - gelang die vollkommene Balance zwischen Bläser- und Streicherapparat und ein absolut transparenter, glasklarer Zusammenklang. Kaum jemals wahrgenommene Neben- und Gegenstimmen, Fragen und Antworten, räumliche Effekte und farbliche Abschattierungen der musikalischen Gedanken wurden auf diese Weise plötzlich hörbar, wo sonst oft aus dichtem Streicherwald die Bläser nur blass ertönen. Und wie phänomenal sanft und leise artikulierten sich die knapp 60 Streicher beim herzergreifenden Hornsolo von William Caballero zu Beginn des Adagio!
Emotionale Durchleuchtung
Honeck, Garant für straffe Spannungsbögen, meisterhaft gestaltete Übergänge und emotionale Durchleuchtung, sorgte mit perfekt getimten Impulsen für den dramatischen Strom, in den sich selbst das immer wieder penetrant einbrechende, düstere Schicksalsthema integrierte. Dass es am Ende überraschend aufgehellt und hymnisch in strahlendem Dur erklingt, wirkt in all dem Weltschmerz meist wie ein inszenierter, erzwungener Jubel. An diesem Abend aber war es Ziel einer bis ins Detail erarbeiteten und dadurch hörbar gemachten sinfonischen Logik: So und nicht anders muss es sein.
Im Gepäck hatten die Pennsylvanier auch die naturschildernde Sinfonische Dichtung „Silent Spring“ ihres Landsmannes Steven Stucky, in der aus trägen Klangflächen Orkane entfacht werden, um dann wieder zu verdämmern.
Gershwin? Yeah!
Doch zum Publikumsliebling des Abends wurde George Gershwins Klavierkonzert, in dem der amerikanische Komponist 1925 Swing, Blues und Ragtime in die klassische Konzertform gegossen hat. Der rhythmische Drive, den das Orchester jetzt freisetzte, wurde so eindringlich, dass sich ein Zuhörer nach dem ersten Satz zum euphorisierten „Yeah“-Schrei hingerissen fühlte und sich das Publikum das verpönte Zwischen-den-Sätzen-Klatschen nicht mehr verkneifen konnte. Rudolf Buchbinder beantwortete am Flügel die federnde Lässigkeit, mit der das Orchester plötzliche Rhythmuswechsel, Broadwaysound und groovende Melodien gestaltete, mit klassischer Genauigkeit, feinen und leicht perlenden Läufen, tarantellaartigen Akkordsalven, impressionistischen Klangfarben und schuf damit eine faszinierende Gegenwelt. Dem begeisterten Publikum gelang es aber nicht, den Pianisten zu einer Zugabe zu bringen.
Rezension für dei Eßlinger Zeitung von heute. Das Konzert fand statt am 9.11.2012.
Stuttgart - Als das Rauchverbot in Deutschland eingeführt wurde, rieb sich so mancher verwundert die Augen, als er seine Stammkneipe betrat. Bis dahin hatte dichter Zigarettenqualm den Blick vernebelt. Nun lag der Raum bis in den hintersten Winkel in scharfen Konturen vor einem. Das Gesicht des Wirts hinterm Tresen offenbarte plötzlich Falten, und man konnte zum ersten Mal die Etiketten auf den Whiskeyflaschen im Regal entziffern.
Plastisches Klangbild
Überträgt man diese visuelle Erfahrung auf das Hören, so geschah Vergleichbares jetzt im Stuttgarter Beethovensaal im Konzert des US-amerikanischen Pittsburgh Symphony Orchestra in der Leitung seines Chefdirigenten Manfred Honeck. Peter Tschaikowskys viel gespielte Fünfte Sinfonie erklang in einem solch geschärften, plastischen Klangbild, dass man den Eindruck hatte, bisher nur das Skelett und die äußere Haut der Sinfonie gehört zu haben, nun aber endlich einen von feinsten Äderchen durchbluteten Organismus. Dem Orchester in praller Tourneebesetzung und in deutscher Aufstellung - in der erste und zweite Violinen nicht nebeneinander, sondern sich gegenüber sitzen - gelang die vollkommene Balance zwischen Bläser- und Streicherapparat und ein absolut transparenter, glasklarer Zusammenklang. Kaum jemals wahrgenommene Neben- und Gegenstimmen, Fragen und Antworten, räumliche Effekte und farbliche Abschattierungen der musikalischen Gedanken wurden auf diese Weise plötzlich hörbar, wo sonst oft aus dichtem Streicherwald die Bläser nur blass ertönen. Und wie phänomenal sanft und leise artikulierten sich die knapp 60 Streicher beim herzergreifenden Hornsolo von William Caballero zu Beginn des Adagio!
Emotionale Durchleuchtung
Honeck, Garant für straffe Spannungsbögen, meisterhaft gestaltete Übergänge und emotionale Durchleuchtung, sorgte mit perfekt getimten Impulsen für den dramatischen Strom, in den sich selbst das immer wieder penetrant einbrechende, düstere Schicksalsthema integrierte. Dass es am Ende überraschend aufgehellt und hymnisch in strahlendem Dur erklingt, wirkt in all dem Weltschmerz meist wie ein inszenierter, erzwungener Jubel. An diesem Abend aber war es Ziel einer bis ins Detail erarbeiteten und dadurch hörbar gemachten sinfonischen Logik: So und nicht anders muss es sein.
Im Gepäck hatten die Pennsylvanier auch die naturschildernde Sinfonische Dichtung „Silent Spring“ ihres Landsmannes Steven Stucky, in der aus trägen Klangflächen Orkane entfacht werden, um dann wieder zu verdämmern.
Gershwin? Yeah!
Doch zum Publikumsliebling des Abends wurde George Gershwins Klavierkonzert, in dem der amerikanische Komponist 1925 Swing, Blues und Ragtime in die klassische Konzertform gegossen hat. Der rhythmische Drive, den das Orchester jetzt freisetzte, wurde so eindringlich, dass sich ein Zuhörer nach dem ersten Satz zum euphorisierten „Yeah“-Schrei hingerissen fühlte und sich das Publikum das verpönte Zwischen-den-Sätzen-Klatschen nicht mehr verkneifen konnte. Rudolf Buchbinder beantwortete am Flügel die federnde Lässigkeit, mit der das Orchester plötzliche Rhythmuswechsel, Broadwaysound und groovende Melodien gestaltete, mit klassischer Genauigkeit, feinen und leicht perlenden Läufen, tarantellaartigen Akkordsalven, impressionistischen Klangfarben und schuf damit eine faszinierende Gegenwelt. Dem begeisterten Publikum gelang es aber nicht, den Pianisten zu einer Zugabe zu bringen.
Rezension für dei Eßlinger Zeitung von heute. Das Konzert fand statt am 9.11.2012.
eduarda - 12. Nov, 11:26