„In der Hölle gibt es immer noch Hoffnung“
Andres Veiels Bankenstück „Das Himbeerreich“ ist am Stuttgarter Staatsschauspiel uraufgeführt worden

Stuttgart - Alle fühlen die Bedrohung, aber wer versteht sie schon, die globale Finanzkrise, welche auch die hart erarbeitete europäische Einheit gefährdet? Wer hat wirklich Einblick in die komplexen Zusammenhänge, die Staaten in den Bankrott treiben, unsere gemeinsame Währung gefährden oder das mühsam Ersparte verschlingen? Kein Nichtexperte ist in der Lage, sich die Mechanismen vollends zu erklären, die diese Krise auslösten und sie jetzt weiter befeuern. Nichtwissen aber gebiert irrationale Angst. Das Theater schreit deshalb geradezu nach Projekten, die sich über die Gründe der Krise Gedanken machen, was andererseits ein heikles Unterfangen bleibt angesichts der Komplexität des Themas.
Der Dokumentar-Filmer Andres Veiel hat es jetzt gewagt. „Das Himbeerreich“ heißt sein Stück, eine Äußerung Gudrun Ensslins zitierend, die mit dieser Metapher so etwas wie das Paradies auf Erden meinte. Hinsichtlich der deprimierenden Welt auf den Hund gekommener Investmentbanker, die Veiel auf die Bühne bringt, ist der Titel freilich ein ironisches Schmankerl, was allerdings im Stück selbst keinen Widerhall findet. Denn es wird ein ernster, comedyfreier Abend daraus. Im Stuttgarter "Nord", der Interimsspielstätte des Staatsschauspiels, fand am Freitagabend die Uraufführung statt. Als Koproduktion mit dem Deutschen Theater Berlin folgt die Premiere dort an diesem Mittwoch.
Hohe Erwartungen
Die Vorschusslorbeeren waren enorm, „Das Himbeerreich“ wurde schon im Vorfeld zum Theaterereignis der Saison deklariert. Von Andres Veiel, dem emsigen Aufklärer - bekannt unter anderem durch seinen Dokumentarfilm „Black Box BRD“, in dem er 2001 die Biografien des ermordeten Deutsche-Bank-Chefs Alfred Herrhausen und des RAF-Terroristen Wolfgang Grams gegenüberstellte -, erwartete man offenbar Großes in Sachen Krisenerklärung. Und die Vorarbeit, die Veiel für sein Stück leistete, das er nun selbst inszenierte, war immens. Er führte gut 25 Interviews mit ehemaligen und aktiven Bankern aus den Führungsetagen der großen Finanzinstitute. Er kochte das Textmaterial ein, wählte aus, montierte es und legte es sechs fiktiven Figuren in den Mund: fünf Investmentbankern, darunter eine Frau, sowie deren Chauffeur.
Da stehen sie nun im Nord vereinzelt auf der zugigen, großflächigen Bühne von Julia Kaschlinski. Den Riesenraum umschließen fensterlose, zunächst gold-bronzen, dann silbern schimmernde Wände, die von prallen Geldkammern künden. Hinten ist eine riesige Schiebetüre, die sich geräuschlos öffnet und schließt. Den Abstieg der immer armseliger wirkenden Gestalten dokumentiert am Ende die kalte Beleuchtung, die den Raum flugs in eine unwirtliche Lagerhalle verwandelt. Doch zunächst dämpft noch dicker Teppichboden jeden Schritt, links und rechts gleiten gläserne Aufzüge hoch und runter, Möbel gibt es nur in Form einiger lederner Drehsessel. Man steht starr, die Hände in den Hosentaschen, oder sitzt im Sessel, mit dem Rücken zum Publikum, wirkt verloren in der Weite des Raumes.
Wie Schachfiguren ordnet Veiel sein Bühnenpersonal in immer neuen Formationen an, während monologisiert wird, was das Zeug hält. Sie in High Heels und dunklem Kostüm, die anderen in korrektem Anzug mit Krawatte. Sechs, die das Finanzsystem wieder ausgespuckt und abgebaut hat: Sei es altersbedingt, wegen Burnouts oder Aufmüpfigkeit. Das System frisst eben seine Kinder. Ob es sich dabei um die skrupellose Personalchefin Manzinger (Susanne-Marie Wrage) handelt oder den altgedienten Banker Ansberger (Manfred Andrae).
Veiel zielt offenbar darauf ab, die Denkweise der vom schnellen Reichtum geblendeten, immer wieder nach neuen Investitionsgütern gierenden Investmentbanker möglichst authentisch zu vermitteln. Es sind ja schließlich jene, die einst im Verein mit den vor Geldgier blinden Hypothekensammlern, -bündlern und -verkäufern die globale Wirtschaftskrise auslösten. Veiel hatte eine Menge Text zu verbraten.
Derivate und Volatilität
In Monologen, Reden und - seltener - in Dialogen darf sich das Bühnenpersonal nun ausbreiten, das meist dann verständlich bleibt, wenn es in Merksätzen spricht: „Risiko und Ertrag sind siamesische Zwillinge“, „Der Euro ist ein Homunculus“, „In der Hölle gibt es immer noch Hoffnung“ oder „Wer auf uns zeigt, meint sich selbst“; oder wenn der gewitzte Chauffeur (Jürgen Huth) das Wort hat: „Ich geb mir Mühe, dass man mich versteht. Die geben sich Mühe, dass man sie nicht versteht.“ Stimmt. Wer im Publikum kann schon etwas mit „Derivaten“ oder „Volatilität des Risikos“ anfangen? Und wie genau soll das Handelsgeschäft mit den Lebensversicherungen von Todkranken funktionieren, as am Ende ruinös verläuft, weil die angeblich Todkranken nicht sterben wollen?
In guter alter Dokumentaristenmanier hält Veiel sich raus, lässt das Recherchierte für sich sprechen. Von staatlich gewollten, hanebüchenen „Deals“, die nur in Gang kommen, weil Zahlen geschönt werden, wird berichtet. Niemand widerspreche, alle machten mit. Im Zweifelsfall hafte ja der Staat. Mehr und mehr geraten die Figuren ins Lamentieren, klagen über Überwachungsmechanismen, perfide Kündigungsverfahren, erklären sich zu Opfern des Systems, das auch von Wirtschaftsjournalisten und der Regierung mitgetragen werde. Und greifen am Ende auch noch zur Theodizee. Ein schlechtes Theaterstück erkenne man daran, sagte einmal jemand, dass auf der Bühne pathetisch gefragt werde, warum Gott das alles zulasse. Ansberger tut genau das.
Dass die Finanzwelt ein Haifischbecken ist und dass dort skrupellos agiert wird, ist ja nichts Neues. Viel mehr jedoch kann uns auch Andres Veiels Stück nicht lehren. Die Finanzwelt transparent zu machen, Mechanismen zu durchleuchten, Zusammenhänge herauszuarbeiten, das alles bleibt er uns am Ende schuldig. Das schwallige O-Ton-Theater kreist um sich selbst, und überdies degradiert es die Schauspieler zu Sprechern: Sebastian Kowski als Modersohn, Joachim Bißmeier als von Hirschstein, selbst Ulrich Matthes als Kastein, Ankläger des Systems, bleiben blass.
Und was mag Veiel bloß mit den Zuspielungen chorisch gesprochener Erinnerungen an Nachkriegserlebnisse oder Schlägereien mit einer Rockerbande zu bezwecken? „In seiner innewohnenden Abstraktheit sperrt sich das Investmentbanking gegen jede vereinfachte Etikettierung“, sagt Frau Manzinger einmal im Stück. Hermetisch und fremd bleibt die Finanzwelt am Ende auch dem Publikum. Krisenerklärung misslungen.
Besprechung für nachtkritik.de und die Eßlinger Zeitung vom 14. Januar 2013. Premiere war am 11. Januar.

Stuttgart - Alle fühlen die Bedrohung, aber wer versteht sie schon, die globale Finanzkrise, welche auch die hart erarbeitete europäische Einheit gefährdet? Wer hat wirklich Einblick in die komplexen Zusammenhänge, die Staaten in den Bankrott treiben, unsere gemeinsame Währung gefährden oder das mühsam Ersparte verschlingen? Kein Nichtexperte ist in der Lage, sich die Mechanismen vollends zu erklären, die diese Krise auslösten und sie jetzt weiter befeuern. Nichtwissen aber gebiert irrationale Angst. Das Theater schreit deshalb geradezu nach Projekten, die sich über die Gründe der Krise Gedanken machen, was andererseits ein heikles Unterfangen bleibt angesichts der Komplexität des Themas.
Der Dokumentar-Filmer Andres Veiel hat es jetzt gewagt. „Das Himbeerreich“ heißt sein Stück, eine Äußerung Gudrun Ensslins zitierend, die mit dieser Metapher so etwas wie das Paradies auf Erden meinte. Hinsichtlich der deprimierenden Welt auf den Hund gekommener Investmentbanker, die Veiel auf die Bühne bringt, ist der Titel freilich ein ironisches Schmankerl, was allerdings im Stück selbst keinen Widerhall findet. Denn es wird ein ernster, comedyfreier Abend daraus. Im Stuttgarter "Nord", der Interimsspielstätte des Staatsschauspiels, fand am Freitagabend die Uraufführung statt. Als Koproduktion mit dem Deutschen Theater Berlin folgt die Premiere dort an diesem Mittwoch.
Hohe Erwartungen
Die Vorschusslorbeeren waren enorm, „Das Himbeerreich“ wurde schon im Vorfeld zum Theaterereignis der Saison deklariert. Von Andres Veiel, dem emsigen Aufklärer - bekannt unter anderem durch seinen Dokumentarfilm „Black Box BRD“, in dem er 2001 die Biografien des ermordeten Deutsche-Bank-Chefs Alfred Herrhausen und des RAF-Terroristen Wolfgang Grams gegenüberstellte -, erwartete man offenbar Großes in Sachen Krisenerklärung. Und die Vorarbeit, die Veiel für sein Stück leistete, das er nun selbst inszenierte, war immens. Er führte gut 25 Interviews mit ehemaligen und aktiven Bankern aus den Führungsetagen der großen Finanzinstitute. Er kochte das Textmaterial ein, wählte aus, montierte es und legte es sechs fiktiven Figuren in den Mund: fünf Investmentbankern, darunter eine Frau, sowie deren Chauffeur.
Da stehen sie nun im Nord vereinzelt auf der zugigen, großflächigen Bühne von Julia Kaschlinski. Den Riesenraum umschließen fensterlose, zunächst gold-bronzen, dann silbern schimmernde Wände, die von prallen Geldkammern künden. Hinten ist eine riesige Schiebetüre, die sich geräuschlos öffnet und schließt. Den Abstieg der immer armseliger wirkenden Gestalten dokumentiert am Ende die kalte Beleuchtung, die den Raum flugs in eine unwirtliche Lagerhalle verwandelt. Doch zunächst dämpft noch dicker Teppichboden jeden Schritt, links und rechts gleiten gläserne Aufzüge hoch und runter, Möbel gibt es nur in Form einiger lederner Drehsessel. Man steht starr, die Hände in den Hosentaschen, oder sitzt im Sessel, mit dem Rücken zum Publikum, wirkt verloren in der Weite des Raumes.
Wie Schachfiguren ordnet Veiel sein Bühnenpersonal in immer neuen Formationen an, während monologisiert wird, was das Zeug hält. Sie in High Heels und dunklem Kostüm, die anderen in korrektem Anzug mit Krawatte. Sechs, die das Finanzsystem wieder ausgespuckt und abgebaut hat: Sei es altersbedingt, wegen Burnouts oder Aufmüpfigkeit. Das System frisst eben seine Kinder. Ob es sich dabei um die skrupellose Personalchefin Manzinger (Susanne-Marie Wrage) handelt oder den altgedienten Banker Ansberger (Manfred Andrae).
Veiel zielt offenbar darauf ab, die Denkweise der vom schnellen Reichtum geblendeten, immer wieder nach neuen Investitionsgütern gierenden Investmentbanker möglichst authentisch zu vermitteln. Es sind ja schließlich jene, die einst im Verein mit den vor Geldgier blinden Hypothekensammlern, -bündlern und -verkäufern die globale Wirtschaftskrise auslösten. Veiel hatte eine Menge Text zu verbraten.
Derivate und Volatilität
In Monologen, Reden und - seltener - in Dialogen darf sich das Bühnenpersonal nun ausbreiten, das meist dann verständlich bleibt, wenn es in Merksätzen spricht: „Risiko und Ertrag sind siamesische Zwillinge“, „Der Euro ist ein Homunculus“, „In der Hölle gibt es immer noch Hoffnung“ oder „Wer auf uns zeigt, meint sich selbst“; oder wenn der gewitzte Chauffeur (Jürgen Huth) das Wort hat: „Ich geb mir Mühe, dass man mich versteht. Die geben sich Mühe, dass man sie nicht versteht.“ Stimmt. Wer im Publikum kann schon etwas mit „Derivaten“ oder „Volatilität des Risikos“ anfangen? Und wie genau soll das Handelsgeschäft mit den Lebensversicherungen von Todkranken funktionieren, as am Ende ruinös verläuft, weil die angeblich Todkranken nicht sterben wollen?
In guter alter Dokumentaristenmanier hält Veiel sich raus, lässt das Recherchierte für sich sprechen. Von staatlich gewollten, hanebüchenen „Deals“, die nur in Gang kommen, weil Zahlen geschönt werden, wird berichtet. Niemand widerspreche, alle machten mit. Im Zweifelsfall hafte ja der Staat. Mehr und mehr geraten die Figuren ins Lamentieren, klagen über Überwachungsmechanismen, perfide Kündigungsverfahren, erklären sich zu Opfern des Systems, das auch von Wirtschaftsjournalisten und der Regierung mitgetragen werde. Und greifen am Ende auch noch zur Theodizee. Ein schlechtes Theaterstück erkenne man daran, sagte einmal jemand, dass auf der Bühne pathetisch gefragt werde, warum Gott das alles zulasse. Ansberger tut genau das.
Dass die Finanzwelt ein Haifischbecken ist und dass dort skrupellos agiert wird, ist ja nichts Neues. Viel mehr jedoch kann uns auch Andres Veiels Stück nicht lehren. Die Finanzwelt transparent zu machen, Mechanismen zu durchleuchten, Zusammenhänge herauszuarbeiten, das alles bleibt er uns am Ende schuldig. Das schwallige O-Ton-Theater kreist um sich selbst, und überdies degradiert es die Schauspieler zu Sprechern: Sebastian Kowski als Modersohn, Joachim Bißmeier als von Hirschstein, selbst Ulrich Matthes als Kastein, Ankläger des Systems, bleiben blass.
Und was mag Veiel bloß mit den Zuspielungen chorisch gesprochener Erinnerungen an Nachkriegserlebnisse oder Schlägereien mit einer Rockerbande zu bezwecken? „In seiner innewohnenden Abstraktheit sperrt sich das Investmentbanking gegen jede vereinfachte Etikettierung“, sagt Frau Manzinger einmal im Stück. Hermetisch und fremd bleibt die Finanzwelt am Ende auch dem Publikum. Krisenerklärung misslungen.
Besprechung für nachtkritik.de und die Eßlinger Zeitung vom 14. Januar 2013. Premiere war am 11. Januar.
eduarda - 15. Jan, 11:07