Dienstag, 23. April 2013

Muckis und Köpfchen

„Der starke Wanja“ am Jungen Ensemble Stuttgart

Stuttgart - Praktisch, dass Wanja auf a endet. So kann aus dem Wanja flugs die Wanja werden. Wie jetzt am Jungen Ensemble Stuttgart (JES), wo „Die Abenteuer des starken Wanja“ Premiere hatte. In einer Bühnenbearbeitung des Kinderbuchs, das Otfried Preußler 1968 nach Motiven russischer Märchen verfasste, spielt Prisca Maier den nicht nur männlich kraftstrotzenden Helden, der seiner Familie zunächst mit einem reichlich kuriosen Fitnessprogramm auf den Keks geht. Laut Weissagung eines geheimnisvollen Pilgers ist der Bauernsohn Wanja nämlich dazu bestimmt, Zar zu werden im Land hinter den weißen Bergen. Er soll nun für dieses Amt die nötigen Kräfte mit Hilfe eines Trainings sammeln, das seiner extrem faulen Natur entgegenkommt: So döst und träumt er sieben Jahre lang auf warmem Ofen und Schafsfellen vor sich hin, vertilgt Säcke an Sonnenblumenkernen und schweigt. Erst dann ist er fit für die bevorstehenden Abenteuer.

Aber auch wenn Wanjas Händedruck im JES die männlichen Gegenüber jaulend in die Luft gehen lässt, ist die Botschaft eine andere: Es kommt nicht nur auf die Kraft an, sondern vor allem aufs Köpfchen. Deshalb spielt das JES-Ensemble das Märchen, das sich an Kinder ab 7 Jahren richtet, auch nicht einfach nach, sondern hat sich in der Regie von Grete Pagan ein kluges, spannendes Konzept überlegt. Die Geschichte beginnt nämlich mit dem bereits alten, kranken Zaren Wanja, der sich, gestützt auf einen Brokat-Rollator, über die Bühne schleppt. Und aus Angst, der gierige, fiese Großfürst Dimitrij übernehme nach Wanjas Tod die Macht, werden nun die zuschauenden Kinder zur neuen Zarenhoffnung erklärt, müssen sich aber vorher genau in den Abenteuern bewähren, die einst der junge Wanja durchlebte.

Teamwork ist gefragt

Nun erzählt und spielt die ratzfatz verjüngte Wanja ihre Geschichte von vorne und stellt den Kids im Saal immer wieder Aufgaben: drei Säcke Sonnenblumenkerne auf die Bühne zu bringen, ohne sich zu bewegen und einen Mucks von sich zu geben; dem bösen Och, der Dörfer zerstört, den Garaus zu machen, indem man mit präparierten Kartoffelbällen die grünen Luftballons zerplatzen lässt, die ihm als Panzer dienen; Wanja aus dem Feuerlabyrinth herauszulotsen oder die aufdringliche Moorhexe Baba Jaga, die den Dorfbewohnern die Pferde stiehlt, zu vertreiben. Da ist Teamwork gefragt, alleine kommt man nicht weit.

Auf der kleinen Drehbühne mit Bergpanorama glänzt das quirlige Darsteller-Trio nicht nur in Slapsticks. Pietro Micci als Bösewicht mit Ausstrahlung und Benedikt Abert als sein geschurigelter Diener spielen verschiedene Rollen und begleiten das Geschehen auf Kontrabass und Mandoline mit mal melancholischen, mal tänzerischen russischen Weisen (Musik: David Pagan). Unter den teils russisch-folkloristischen, teils skurril-witzigen Kostümen von Ausstatterin Lena Hinz ist allein schon die knautschige, aufragende Zipfelmütze des Großfürsten ein Lacher.

„Regiere gerecht und milde!“

Das Mitmachtheater klappt prima. Am Ende haben alle 30 Kinder es auch geschafft, unter den zackig-zischenden Schwertern der steinernen Ritter durchzukrabbeln. Alle Prüfungen bestanden und Ziel erreicht: Jeder erhält bei der feierlichen Regierungserklärung seine Zarenernennungsurkunde mit der Anweisung „Regiere gerecht und milde!“ - und damit auch eine Prise Politikunterricht. Denn was sich gerade vollzog, war der Wechsel eines politischen Systems: von der Alleinherrschaft zur Demokratie. Allerdings könnte man zu Beginn des Stücks den Kids kurz erklären, was ein russischer Zar ist.

Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 22. April 2013. Premiere war am 20. April.

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