Mittwoch, 15. Mai 2013

Weites Land

Der Germanist und Autor Klaus Theweleit stellt im Stuttgarter Literaturhaus sein neues Buch vor

Klaus Theweleit (Foto: www.klaus-theweleit.de)

Stuttgart - Klaus Theweleit ist ein Verknüpfungsvirtuose, der über ein schier unendliches Gedächtnis für Details verfügt. Der Freiburger Kulturwissenschaftler liebt den Exkurs, das gedankliche Mäandern, aber er bleibt dabei immer höchst unterhaltend - in seinen teils sehr umfangreichen Büchern ebenso wie im quirligen Live-Redefluss. Davon konnte man sich jetzt im Stuttgarter Literaturhaus einen Eindruck verschaffen, wo der 71-Jährige sein neuestes Buch vorstellte: sein gut 750 Seiten umfassendes Werk „Pocahontas II: Buch der Königstöchter. Von Göttermännern und Menschenfrauen“, in dem er sein vierbändig angelegtes „Pocahontas“-Projekt weiterführt.

Moderiert wurde der Abend von Krimiautor Wolfgang Schorlau. Keine zufällige Wahl, denn die beiden lernten sich bereits 1968 in Theweleits Freiburger WG kennen, was Theweleit damals dazu veranlasst habe, den Jüngeren sofort zur Schulung in die Betriebsprojektgruppe des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes zu schicken, so erzählt Schorlau.

Wie in seinen Büchern bewegt sich Theweleit auch im zweistündigen Gespräch in einem riesigen Denkkosmos, in dem man sich nicht immer leicht orientieren kann, weil die Gedankengänge oft assoziativ vorwärtsschreiten. Dafür stellt er ein wahres Paradies neuer Erkenntnisse bereit und zieht mit seiner argumentativen Mischung aus Poststrukturalismus, Popkultur und Psychoanalyse die Hörer in Bann.

Es geht um die Demontage der amerikanischen Gründungsmythen, die sich um Pocahontas ranken: die Tochter des Indianerfürsten Powhatan, in dessen Reich sich die ersten Briten auf dem amerikanischen Kontinent ansiedelten. Pocahontas soll die Weißen mit Nahrung unterstützt haben, Captain John Smith das Leben und damit auch die erste amerikanischen Kolonie Virginia gerettet haben. Und es soll sich eine Romanze zwischen Smith und Pocahontas abgespielt haben. Alles so nicht wahr, sagt Theweleit, der den Mythos umdeutet zu einer ausgreifenden Theorie über koloniale Landnahmen durch weiße Eroberer mithilfe und auf Kosten der Körper indigener Königstöchter - Muster, die Theweleit schon in der griechischen Mythologie entdeckt hat.

Weil Theweleit ein bekennender Allesverwerter ist, wird der Abend per Projektor mit viel Bildmaterial aus der Hoch- und Popularkunst garniert. Da darf Walt Disneys Pocahontas-Comic so wenig fehlen wie dessen pornographische Parodie. Diverse Gemälde der letzten Jahrhunderte begleiten die Erläuterungen zum Inhalt des neuen Buchs, in dem Theweleit die frühesten, vorhomerischen griechischen Mythen untersucht und ein Wiederholungsmuster entdeckt hat: Die Erzählungen berichten von etwa 30 Töchtern lokaler Herrscher, die von Göttermännern - mitgebracht von den einwandernden Indogermanen, den späteren Griechen - gegen ihren Willen beschlafen und geschwängert wurden. Die Menschentöchter wie Europa, Leda, Semele, Danae, Alkmene oder Ariadne wurden also vergewaltigt von den neuen griechischen Göttern namens Zeus, Poseidon, Apollon und Dionysos, während die einheimischen Könige, die Väter dieser Töchter, ihr Land verloren. Es war, so eine der zentralen Thesen Theweleits, der Mythos, der die (Un-)Taten der Sterblichen überhöhte und zum Zwecke der Legitimation die weniger schönen Seiten der Geschichte schön sang.

Besprechung für die Eßlinger Zeitung von heute. Die Lesung fandf statt am 13. Mai 2013.

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