Spannend, mitreißend, umjubelt
Elisabeth Leonskaja, Dmitrij Kitajenko und das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart mit russischem Programm
Stuttgart – Der russische Impresario Sergei Djagilew, der schon Igor Strawinsky zum Tanz gebracht hatte, plante, aus Sergei Prokofiews zweitem Klavierkonzert eine Ballettfassung zu machen. Die Idee wurde zwar nie ausgeführt, ist aber Beweis für das kraftvolle Wechselspiel von Bewegungszusammenhängen und -impulsen, die dieses 1913 uraufgeführte, skandalentfachende Werk vorantreibt. Es geht hier nicht um Dramen und Gefühle, um Botschaften oder Seelengemälde. Die Klangwelt ist herb, sachlich, technisch. Der Klavierpart ist in der Virtuositätsskala an der oberen Kante anzusetzen, gleichzeitig verlangt er dramaturgische Voraussicht und äußerste rhythmisch-metrische Flexibilität und Sicherheit. Die großartige Pianistin Elisabeth Leonskaja, die mit diesem Werk im jüngsten Konzert des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart (RSO) im vollbesetzten Beethovensaal zu hören war, hat das alles – und noch viel mehr. Die Wahl-Wienerin, die gerne als die "letzte Grande Dame der russischen Klavierschule" bezeichnet wird, bewies darüber hinaus Prankenkraft, flinkfingrige Leichtigkeit ebenso wie einen warmen, ans Herz gehenden Ton. Andererseits verfügt die 67-Jährige über einen souveränen Blick für das Ganze, für den großen Bogen, der den klangmassigen und scharfkantigen Kopfsatz ebenso zu integrieren weiß wie das maschinell ratternde, quecksilbrige Scherzo, das marschierende Intermezzo und das aufrüttelnde, teils auch meditative Finale, das sich am Ende furios ins Lärmende steigert. Dem RSO und dem russischen Dirigenten Dmitrij Kitajenko als kongeniale Partner konnte Leonskaja im Grunde genommen blind vertrauen – man kennt sich gut –, wenn auch gelegentlich minimale Verspätungen oder Verfrühungen im Zusammenspiel hörbar wurden.
Prokofiews wuchtiges Werk stand in der Mitte eines russischen Programms, das mit Anatoly Liadows impressionistischem Klangaquarell "Der verzauberte See" begonnen hatte – ein Paradestück für das RSO, das als Klangfarbenorchester die irisierende Klangschönheit des Werks in voller Pracht auskostete: Da werden zwar auch Vogelstimmen oder eine leichte Bewegung der Wasseroberfläche hörbar, aber die Aura mystischer, ja fast gefrorener Stille, die die ruhige Klangwelt ausstrahlt, wird dabei nie gestört. Einen scharfen Kontrast dazu setzte anschließend Liadows lustiger Hexenspuk "Baba-Jaga", vom RSO bis zum pointierten Schluss sehr präzise und plastisch gestaltet.
In den finalen "Bildern einer Ausstellung" von Modest Mussorgskij, orchestriert von Maurice Ravel, setzte Dirigent Dmitrij Kitajenko auf sorgsam ausgestaltete Details und viel Zeit. Jedes der zum größten Teil verschollenen Bilder Viktor Hartmanns baute sich bewegt und farbenkräftig auf vor dem inneren Auge: das quirlige Treiben auf dem Marktplatz von Limoges, die wuselnden Küken in ihrem Eierschalen-Ballett, die finstere Welt der Hexe Baba-Jaga, das mächtige Tor von Kiew. Dass der Spagat zwischen Humor und monumentaler Klangpracht, der hier gefordert wird, gelang, daran waren die Bläser maßgeblich beteiligt – ob durch groteske Fagottsoli oder geballte Blechbläserkraft. Ein spannendes Konzert, ein mitreißendes und ein umjubeltes dazu.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 17. Juni 2013. Das Konzert fand statt am 13. Juni.
Stuttgart – Der russische Impresario Sergei Djagilew, der schon Igor Strawinsky zum Tanz gebracht hatte, plante, aus Sergei Prokofiews zweitem Klavierkonzert eine Ballettfassung zu machen. Die Idee wurde zwar nie ausgeführt, ist aber Beweis für das kraftvolle Wechselspiel von Bewegungszusammenhängen und -impulsen, die dieses 1913 uraufgeführte, skandalentfachende Werk vorantreibt. Es geht hier nicht um Dramen und Gefühle, um Botschaften oder Seelengemälde. Die Klangwelt ist herb, sachlich, technisch. Der Klavierpart ist in der Virtuositätsskala an der oberen Kante anzusetzen, gleichzeitig verlangt er dramaturgische Voraussicht und äußerste rhythmisch-metrische Flexibilität und Sicherheit. Die großartige Pianistin Elisabeth Leonskaja, die mit diesem Werk im jüngsten Konzert des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart (RSO) im vollbesetzten Beethovensaal zu hören war, hat das alles – und noch viel mehr. Die Wahl-Wienerin, die gerne als die "letzte Grande Dame der russischen Klavierschule" bezeichnet wird, bewies darüber hinaus Prankenkraft, flinkfingrige Leichtigkeit ebenso wie einen warmen, ans Herz gehenden Ton. Andererseits verfügt die 67-Jährige über einen souveränen Blick für das Ganze, für den großen Bogen, der den klangmassigen und scharfkantigen Kopfsatz ebenso zu integrieren weiß wie das maschinell ratternde, quecksilbrige Scherzo, das marschierende Intermezzo und das aufrüttelnde, teils auch meditative Finale, das sich am Ende furios ins Lärmende steigert. Dem RSO und dem russischen Dirigenten Dmitrij Kitajenko als kongeniale Partner konnte Leonskaja im Grunde genommen blind vertrauen – man kennt sich gut –, wenn auch gelegentlich minimale Verspätungen oder Verfrühungen im Zusammenspiel hörbar wurden.
Prokofiews wuchtiges Werk stand in der Mitte eines russischen Programms, das mit Anatoly Liadows impressionistischem Klangaquarell "Der verzauberte See" begonnen hatte – ein Paradestück für das RSO, das als Klangfarbenorchester die irisierende Klangschönheit des Werks in voller Pracht auskostete: Da werden zwar auch Vogelstimmen oder eine leichte Bewegung der Wasseroberfläche hörbar, aber die Aura mystischer, ja fast gefrorener Stille, die die ruhige Klangwelt ausstrahlt, wird dabei nie gestört. Einen scharfen Kontrast dazu setzte anschließend Liadows lustiger Hexenspuk "Baba-Jaga", vom RSO bis zum pointierten Schluss sehr präzise und plastisch gestaltet.
In den finalen "Bildern einer Ausstellung" von Modest Mussorgskij, orchestriert von Maurice Ravel, setzte Dirigent Dmitrij Kitajenko auf sorgsam ausgestaltete Details und viel Zeit. Jedes der zum größten Teil verschollenen Bilder Viktor Hartmanns baute sich bewegt und farbenkräftig auf vor dem inneren Auge: das quirlige Treiben auf dem Marktplatz von Limoges, die wuselnden Küken in ihrem Eierschalen-Ballett, die finstere Welt der Hexe Baba-Jaga, das mächtige Tor von Kiew. Dass der Spagat zwischen Humor und monumentaler Klangpracht, der hier gefordert wird, gelang, daran waren die Bläser maßgeblich beteiligt – ob durch groteske Fagottsoli oder geballte Blechbläserkraft. Ein spannendes Konzert, ein mitreißendes und ein umjubeltes dazu.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 17. Juni 2013. Das Konzert fand statt am 13. Juni.
eduarda - 13. Jun, 19:23